Todesrunen. Corina C. Klengel

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Название Todesrunen
Автор произведения Corina C. Klengel
Жанр Ужасы и Мистика
Серия
Издательство Ужасы и Мистика
Год выпуска 0
isbn 9783947167081



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durch das Fenster aus kugelsicherem Glas über die verschiedenen Rottöne der Dächer Ilsenburgs. Unten vor dem Haus strebte die stets zornige Ilse durch den kahlen Novemberwald zu Tal.

      Es waren einfache Dorfburschen, die in jener Nacht zu Killern wurden. Sein Glück, dass sie es versäumten, ihm die Beine zu brechen. So hatte er sich doch noch bis zur Harzhochstraße schleppen können, wo ihn der Alte aufgelesen hatte. Der nahende Tod hatte ihn nicht halb so verstört wie das Jahr danach, das von Schmerzen und Hilflosigkeit erfüllt gewesen war. Das Sehfeld seines rechten Auges war seither eingeschränkt, und eine von Zeit zu Zeit aufsteigende Taubheit im rechten Arm erinnerte ihn daran, dass man ihm damals den Schädel eingeschlagen hatte. Er hatte die Zeit der Schwäche überwunden. Das Schwert, Gabe seines Vaters und Zeichen seines Ordens, war ihm auf diesem Weg hilfreicher gewesen als jeder Arzt. Seine Ordensbrüder hatten es ihm gebracht, nachdem sie seine und Gerfrieds Studentenwohnung nach diesem verhängnisvollen Abend von allen Zeichen des Ordens befreit hatten. Mit diesem Schwert hatte er seinen Körper so unnachgiebig trainiert, dass es noch heute niemand in seinem Umfeld mit ihm aufnehmen konnte, was ihn mit leisem Stolz erfüllte. Immerhin war er doppelt so alt wie die, die unter seinem Befehl standen. Seine Fähigkeiten sicherten ihm ein solides Salär und der Organisation führte sein Können hervorragend ausgebildete, junge Kämpfer zu. Er unterhielt mittlerweile zahlreiche Kampfsportschulen in ganz Deutschland. Die Organisation war sehr zufrieden mit ihm. Was würden sie erst sagen, wenn er das Artefakt fände?

      Sein Blick wurde starr. Hedera war tot. Sie konnte ihm nicht mehr sagen, wo es war. Und doch wusste er, sie hatte es. Um in ihre Denkmuster hinein zu finden, musste er sich den Geschehnissen von vor dreißig Jahren stellen.

      Kapitel 7

      Die Tapferkeit der Kelten erklärt sich durch ihren ausgeprägten Unsterblichkeitsglauben und den Glauben an die Seelenwanderung.

      – Caesar, de Bello Gallico, VI 14 –

      Lieber hätte Tilla die Asche ihrer Mutter zu einem heiligen Ort der Kraft irgendwo in der Nähe gebracht, am liebsten zum Elfenstein. Sie wusste, ihre Mutter hatte den Elfenstein geliebt, aber der Friedwald im Südharz war eine wirklich schöne Alternative. So folgte Tilla der Bundesstraße nach Bad Sachsa in gedrückter Stimmung. Sie fühlte sich unendlich allein.

      Es hatte sie gleichzeitig verstört und mit Ärger erfüllt, als sie einige Tage zuvor erfuhr, dass ihre Mutter ihre eigene Beerdigung bis hin zur Auswahl des Baumes, an dessen Wurzeln ihre Asche beigesetzt werden sollte, selbst vororganisiert und bezahlt hatte. Astrid Volkers, mit der ihre Mutter zusammen aufgewachsen war, hatte sie über diesen Umstand informiert. Seither fragte sich Tilla unaufhörlich, ob ihre Mutter ihren Tod geahnt oder womöglich doch geplant hatte?

      »Nein!«, schrie Tilla trotzig auf und schlug auf ihr Lenkrad. Der Fahrer eines silbergrauen Wagens überholte sie mit röhrendem Motor und bedachte Tilla mit aggressiven Gesten. Vermutlich klebte der arme Mann seit Braunlage hilflos hinter ihrem Auto, das Tilla unter der Last wild strudelnder Gedanken viel zu langsam über den Harz steuerte.

      Endlich erreichte sie ihr Ziel und bog auf den bereits erstaunlich vollen Waldparkplatz ab. Widerstrebend stieg Tilla aus und schritt langsam auf Astrid zu, die sich mit einer Frau in Förstergrün unterhielt.

      »Tilla-Liebes, schön, dass du schon da bist.«

      Herzlich nahm die Ältere Tilla in den Arm, die sich sofort an der Freundin ihrer Mutter festklammerte.

      »Oh Astrid, ich komme mir so nutzlos vor … auch ein bisschen ausgeschlossen. Ich wusste gar nichts von all dem hier.«

      Tilla versuchte den Vorwurf ihres letzten Satzes mit einem Lächeln zu übertünchen. Astrid strich ihr über die Wange. Tilla wandte sich ab und sah sich verloren um. Für sie war nicht nur die Menge der Besucher erstaunlich, die auf Hederas Beisetzung warteten, es wunderte sie zudem, dass sie so wenige kannte.

      »Mach dir darüber keine Gedanken, Tilla. Deine Mutter und ich hatten schon öfter über dieses Thema gesprochen. Wir haben uns gemeinsam eine wunderschöne dicke Buche in der Nähe eines Teiches ausgesucht. Es wird dir gefallen.«

      Tilla sah Astrid fassungslos an. »Ihr ward zusammen hier?«

      »Aber ja. Es wird auch mein Baum werden«, sagte Astrid mit einem fröhlichen Lächeln, als spräche sie über ihren nächsten Urlaub und nicht über ihre Beerdigung. Verwirrt tappte Tilla hinter Astrid und der Försterin her, die sie zuvor mit einem freundlichen Nicken und einem leisen Beileidsbekunden begrüßt hatte.

      Das Grüppchen, das nun gemächlich durch den Hochwald östlich der kleinen Harzstadt Bad Sachsa schritt, sah so gar nicht wie eine Trauergemeinde aus. Wetterfeste, dem grauen Himmel angepasste praktische Kleidung herrschte vor. Astrid trug einen weinroten Mantel, eine dunkle Hose und bequeme Halbschuhe. Nur Tilla war mit einem schwarzen Trenchcoat bekleidet. Wieder sah sie sich um. Menschen aller Altersgruppen waren gekommen. Eine Familie wurde von ihrer kleinen Tochter begleitet. Mit den wippenden blonden Zöpfen und der liebevoll bestickten hellblauen Strickjacke unter der offenen, leuchtend roten Wetterjacke bot das Mädchen einen fröhlichen Blickfang. Tilla warf ihr ein Lächeln zu. Ihre Augen begannen zu brennen und sie bedauerte unendlich, dass Nina an diesem Tag nicht hier sein durfte. Das kleine Mädchen lächelte zurück und winkte ihr zaghaft.

      Mutsch, wie hast du es geschafft, in deinem Leben so viele Leute kennenzulernen?, dachte Tilla und spielte kurz mit dem Gedanken, zu einem wilden Lauf anzusetzen, der sie von hier wegbrachte. Vermutlich hätte sie es mal wieder zu irgendeiner überstürzten Dummheit gebracht, hätte Astrid ihr nicht in diesem Moment den Arm um die Schultern gelegt. Endlich erreichten sie eine stattliche Buche, vor der sich ein Rund aus Efeuranken um eine Holzscheibe in den Waldboden schmiegte. Ein Mann in konventioneller Schwarzkleidung, vermutlich vom Bestattungsinstitut, brachte die Urne und stellte das, mit einem Ginkgoblatt verzierte helle Gefäß, auf die Scheibe. Es roch wunderbar nach Waldboden und frischem Holz. Tilla blickte auf die grüne Rosette aus Efeu.

      Die Trauergäste bildeten einen großen Halbkreis um die Buche. Als jeder seinen Platz gefunden hatte, trat Tilla an den grünen Kreis heran und nahm einen hellen Stein mit glitzernden Einsprenkelungen aus der Manteltasche. Sie hatte den Stein völlig verkrampft in der Hand gehalten, seit sie ihren Wagen verlassen hatte.

      Steine sind die ältesten Wächter der Erde, hörte Tilla die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf wispern, was sie ruhiger werden ließ. Sie dachte an gemeinsame Ausflüge, bei denen sie Steine gesammelt hatten. Der Stein in ihrer Hand stammte vom Elfenstein, einer Klippe oberhalb von Bad Harzburg, die Tilla unzählige Male zusammen mit ihrer Mutter besucht hatte. Behutsam legte Tilla ihn auf die Efeuranken, richtete sich auf und trat zurück, damit die anderen Trauergäste vortreten konnten. Als Erstes legte das kleine Mädchen einen kleinen Tannenzweig nieder und dankte mit vor Aufregung stolpernden Worten dafür, dass Hedera ihrer Mama geholfen hatte. Weitere Äste, Zapfen, ein paar Kastanien und unzählige beschriebene Steine sammelten sich nunmehr um die Efeurosette. Viele waren es, die das Bedürfnis hatten, sich von Hedera Leinwig zu verabschieden. Tilla ließ ihren Tränen freien Lauf. Doch im Gegensatz zu den Tränen der letzten Tage waren diese irgendwie befreiend.

      Wie aus weiter Ferne drang Astrids Stimme an ihr Ohr. »Deine Mutter hat viele dieser Menschen kennengelernt, als die sich mit einer Krankheit quälten. Menschen, die an einem Scheideweg standen. Einige haben überlebt und sind heute hier. Du kannst stolz auf deine Mutter sein!«

      Tilla blickte in Astrid Volkers blaugraue Augen, die ihr aufmunternd zulächelten. Sie strich Tilla noch einmal über die Schultern, bevor sie sich zu der grünen Rosette begab. Bewundernd sah ihr Tilla zu, wie sie ohne Notizen und Zettel ihre Rede begann. Tilla war ihr unendlich dankbar dafür. Sie selbst war so durcheinander, dass sie nicht einmal einen Dreizeiler ohne zu stottern auf den Weg gebracht hätte.

      »Hedera, botanischer Name für die Efeupflanze; Efeu, Immergrün, seit der Antike als Heilpflanze bekannt. Ihr Name war wohl gewählt von ihrer Mutter, die ihr Leben im fernen Wales verließ, um der Liebe nach Deutschland zu folgen. Hederas Vater starb, bevor er seine Tochter in den Armen halten