Todesrunen. Corina C. Klengel

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Название Todesrunen
Автор произведения Corina C. Klengel
Жанр Ужасы и Мистика
Серия
Издательство Ужасы и Мистика
Год выпуска 0
isbn 9783947167081



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die Staatsanwältin zufrieden. »In allen bekannten Sektenstrukturen sind die Mitglieder die letzten, die zugeben würden, von jemandem manipuliert worden zu sein. Darin liegt ja gerade das Perfide. Wie gefährlich der Wiccakult letztlich ist, wird nicht hier und nicht heute entschieden. Die Vorgehensweise dieser Sekte ist jedoch durchaus bedeutsam für die Beweisführung. Wichtig ist nämlich die Frage: Wie viel hat der von der Angeklagten praktizierte Neo-Hexenkult mit dem von ihr selbst eingebrachten Terminus ›Naturreligion‹ zu tun? Geht es dabei womöglich um rüde Sittenlosigkeit unter dem verharmlosenden Mantel einer Religion?« Die Staatsanwältin ließ den Blick kurz durch den Saal schweifen. »Frau Leinwig fungierte als Bezugsperson für Nina von Steinfels. Die Einlassungen des Antragsstellers, der Frau Leinwig als promiskuitiv und krankhaft sexsüchtig beschreibt, haben überzeugend gezeigt, wes’ Geistes Kind die Antragsgegnerin ist. Fraglos wird eine solche Bezugsperson ihre abstrusen Ideen weitergeben und eine unschuldige Zwölfjährige von den gesellschaftsüblichen Werten abbringen!«

      Tillas Beine stemmten sich wie von selbst hoch. Ihre verschiedenfarbigen Augen funkelten in unmäßigem Zorn. In klarem, überraschend ruhigem Ton fragte sie in den Saal: »Hatte ich hier eigentlich je eine Chance?«

      »Hatte ich Ihnen erlaubt, das Wort zu ergreifen?«, donnerte Richter Jürgens zurück.

      »Nein, aber Sie hätten es mir wohl auch kaum erteilt, oder?«, schrie Tilla.

      Richter Jürgens’ Gesicht verfärbte sich weiß. Dr. Bleibtreu und Achim von Steinfels starrten Tilla mit offenen Mündern an. Doch die achtete längst nicht auf die spitzen richterlichen Schreie, die Worte wie »Schweigen Sie« und »weiteres Ordnungsgeld« enthielten. Sie stach mit ihrem Zeigefinger Löcher in Richtung des Richterpultes.

      »Das hier zu fällende Urteil stand doch schon fest, als Sie alle heute Morgen vor Ihrem Frühstücksbrötchen gesessen und Ihren blödsinnigen Schulaufsatz über die Wicca auswendig gelernt haben! Sie alle machen diesen Gerichtssaal zu Ihrer persönlichen politischen Bühne und diesen Prozess zu einer Farce …«, brüllte Tilla.

      Bevor sie jedoch auch noch mit der anderen Hand bekräftigend auf den Aktenberg ihres Anwaltes schlagen konnte, wurde sie von vier kräftigen Händen hochgehoben. Die vom Richter herbeigerufenen Gerichtsdiener packten Tilla grob und brachten sie aus dem Saal, während diese laute Verwünschungen ausstieß.

      Als sich Peter Ehlers nach dem Ende des Prozesses zu ihr in den Flur gesellte, sah er alles andere als zufrieden aus.

      »Du kommst mit einer Geldstrafe davon. Vor allem aber musst du dich von Nina fernhalten«, verkündete er.

      Tilla reagierte nicht. Sie blickte stattdessen die gegenüberliegende Flurwand an, als versuchte sie, diese in Brand zu setzen.

      Peter Ehlers setzte sich seufzend neben sie. »Tilla, tu mir den Gefallen und halte dich daran«, bat er sie eindringlich. »Richter Jürgens machte in der Urteilsbegründung deutlich, dass er den Verdacht der Förderung der Prostitution einer Minderjährigen ebenfalls hatte, dies aber nicht hinlänglich bewiesen werden konnte.«

      Tilla traute ihren Ohren nicht. »Was? Verdammt, ich liebe Nina wie eine eigene Tochter! Ich habe mich fast zwei Jahre ausschließlich um sie gekümmert. Achim dagegen glänzte mit chronischer Abwesenheit. Selbst ihr Schulbusfahrer kannte Nina besser als ihr Vater. Ich würde doch nie etwas tun, was ihr schadet! Wie kommen die nur auf so was?«

      Peter Ehlers nickte matt. »Ich weiß es doch. Dasselbe hat übrigens auch Nina gesagt, als sie im Richterzimmer verhört wurde. Im Grunde genommen hat dir die Kleine den Hals gerettet. Sie hat wie eine Löwin für dich gekämpft.« Er lächelte. »Mensch, ich weiß gar nicht, wie Achim an so eine großartige Tochter kommt.« Seine Augen ruhten auf ihr. »Weißt du was? Nina ist dir irgendwie ähnlich.« Nun wurden Tillas Augen groß und füllten sich unaufhaltsam mit dicken Tränen. Peter Ehlers legte den Arm um sie. »Es tut mir wirklich leid, dass ich nicht mehr für dich tun konnte.«

      »Das hätte wohl niemand geschafft. Hier konntest du gar nichts mehr tun.« Tilla wischte sich mit einer ärgerlichen Bewegung die Tränen aus dem Gesicht. »Mein Ex, die Staatsanwältin und dieser Richter kennen sich gut, nicht wahr?«

      Ehlers gab ein Schnaufen von sich und nickte. »Mich hat das auch kalt erwischt.«

      »Aber … kann man denn da nichts machen? Sind die nicht irgendwie befangen oder so?«, fragte Tilla hilflos.

      »Befangenheit und ein daraus resultierendes Fehlurteil – das zu beweisen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Braunschweig ist überschaubar, die Juristen hier kennen einander alle.« Er betrachtete Tilla sorgenvoll. »Ich mache mir wirklich Sorgen um dich. Erst der Tod deiner Mutter und dann das hier ...«

      Tilla zog ein Taschentuch aus ihrer überdimensionierten Umhängetasche und schnäuzte sich geräuschvoll.

      Peter Ehlers schüttelte den Kopf. »Ich werde irgendwie das Gefühl nicht los, dass es Achim nicht dabei bewenden lässt. Tilla, verschwinde aus Braunschweig! Geh zurück in den Harz.«

      »Zurück nach Bad Harzburg?«

      Er nickte.

      Sie dachte einen Augenblick still nach und meinte dann kopfschüttelnd: »Scheiße! Ich mache auch nur Mist!«

      Peter Ehlers lächelte sie aufmunternd an. »Komm schon Tilla, du bist wahrlich kein Alltagsheld, aber für diese Farce hier kannst du ausnahmsweise mal wirklich nichts!«

      Tillas Miene wandelte sich aprilwetterartig zu einem Lächeln.

      »Diesen Mist meinte ich auch nicht.«

      Sie kam ihm entgegen, küsste ihn und flüsterte: »Aber dass ich zu dumm war, dich zu behalten, als es noch möglich war, das war wohl der größte Mist, den ich je angestellt habe.« Sie lächelte ihn mit feuchten Augen an. »Ich danke dir. Und jetzt geh nach Haus. Grüß deine tolle Frau von mir und mach sie und deine Zwillinge glücklich!«

      Kapitel 9

      Ungestüm und zäh, doch auch wehleidig und ohne Ausdauer, mal unendlich grausam, dann wieder unendlich liebenswürdig und gastfreundlich. Wildheit, Feinsinn, Stumpfsinn, Begeisterung, Verstand und Gemüt wechseln sich stetig ab.

      – Cassius Dio über den Charakter der Kelten XII 50 ff –

      Nach einigen Tagen depressiven Herumlungerns hatten es Tillas Mitbewohner übernommen, sie wieder auf die richtige Spur zu bringen. Die Brüder Daniel und Oliver Regner bemühten sich nach Kräften, ihr zu helfen. Nicht nur, dass sie sich gebührend mit ihr über das ungerechte Gerichtsurteil echauffiert hatten, sie hatten auch Peter Ehlers Vorschlag, dass Tilla zurück nach Bad Harzburg gehen sollte, beigepflichtet und nach und nach ihre Habe in Kartons verpackt. Daniel Regner hatte ihr sogar einen Auftrag im Fliegerhorst Goslar besorgen können, in dem er stationiert war. Da Tillas Großmutter aus Wales stammte, war Englisch ihre zweite Muttersprache. In ihrer Familie hatten sie noch lange englisch gesprochen, da selbst Hedera nur schwer von der Sprache ihrer Mutter lassen konnte. Erst als Großmutter Leandra starb, hatten sie ausschließlich deutsch gesprochen. So konnte sie als Übersetzerin helfen, wenn demnächst eine Gruppe von englischen Militärs den Stützpunkt Goslar besuchte, bevor dieser geschlossen wurde.

      Wenngleich ihr die Idee, in der alten und neuen Heimat vielleicht als Übersetzerin zu arbeiten, immer besser gefiel, so fiel doch ihr Abschied von ihren Mitbewohnern verhalten aus. Geradezu muffelig war sie in ihren mit letzten Umzugskartons und Großmutter Leandras Stuhl vollgestopften Wagen gestiegen, um endgültig in den Harz zurückzukehren.

      Daniel und Oliver hatten recht, sie sollte versuchen, etwas aus ihren Sprachkenntnissen zu machen. Tilla dachte wehmütig an die so unterschiedlichen Brüder, die sie in der kurzen Zeit in Braunschweig sehr ins Herz geschlossen hatte. Noch wusste Daniel nicht, dass sein Bruder sich in einen Mann verliebt hatte. Vermutlich war sie die Einzige, mit der Oliver je über seine sexuelle Orientierung gesprochen hatte. Wie würde Daniel auf Olivers Freund Dirk Sundermann reagieren? Tillas Augen begannen zu brennen. Sie vermisste die beiden