Todesrunen. Corina C. Klengel

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Название Todesrunen
Автор произведения Corina C. Klengel
Жанр Ужасы и Мистика
Серия
Издательство Ужасы и Мистика
Год выпуска 0
isbn 9783947167081



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Jurist hatte sie prompt entsorgt.

      Dabei hatte Tilla ihm ihren Glauben bis zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich verschwiegen, sie hatte nur einfach nie darüber gesprochen. Tillas Offenbarung musste Achim geradewegs in die nächste Partnervermittlungsagentur gejagt haben. Knapp zwei Wochen später hatte sie ihre spärliche Habe in einem kleinen WG-Zimmer verteilen müssen, und in das damals im Bau befindliche Haus in Braunschweig war statt ihrer die ordentliche Lehrerin Gerda mit der artigen Bobfrisur eingezogen.

      Zwar hatte Tilla nicht übermäßig unter dem Verlust von Achim gelitten, dafür hatte sie ihn einfach zu oft betrogen. Doch die Annehmlichkeiten, die eine Ehe mit einem angesehenen Juristen mit sich gebracht hätte, wären schon nicht schlecht gewesen – zumal sie auf ihrem eigenen, nicht gerade linear verlaufenden Berufsweg nicht recht weiterkam.

      Sie hätte es ja noch verstanden, wenn er sie wegen ihres Fehltritts mit seinem Kollegen Peter rausgeschmissen hätte, wenn er den denn überhaupt mitbekommen hatte. Ihre Zeit mit Peter Ehlers, der wie sie aus Bad Harzburg stammte, war überaus vergnüglich gewesen. Resolut vertrieb sie die Erinnerung an den stets ruhigen Juristen mit den sanften braunen Augen. Nein, davon hatte Achim sicher nichts gewusst. Es durfte auch niemand erfahren. Peter hatte eine wundervolle Frau und zwei Kinder.

      Sie musste sich besser in den Griff bekommen, was Männer anging! Sie war mittlerweile in einem Alter angekommen, in dem man Beziehungen gefährdete, wenn man so ungehemmt seinem Vergnügen nachging wie sie.

      Tilla liebte kurze und unkomplizierte Affären. Der einzige Grund dafür, dass sie es ausgerechnet bei dem verknöcherten Achim mit einer längeren Beziehung versucht hatte, war Nina gewesen. Tilla mochte die clevere Zwölfjährige wirklich sehr und litt unter dem Kontaktverbot. Sie brachte es nicht übers Herz, Nina abzuwimmeln, die sie nach wie vor anrief, so oft es ging. Tilla hatte sich damals mit vollem Elan in die plötzliche Mutterrolle gestürzt, so wie sie fast alles mit ungeheurem Elan tat. Achim war dies gerade recht gewesen. Eine junge und somit formbare Frau, angehende Historikerin, die ihm die Tochter abnahm, die drei Jahre zuvor durch einen Autounfall mutterlos wurde, war ihm schon recht. Die Aufgaben eines alleinerziehenden Vaters waren schließlich nicht recht kompatibel mit dem prall gefüllten Terminkalender eines Achim von Steinfels. Obwohl Achim seine ›Hexe‹ abserviert hatte, war Tilla heimlich die Vertraute des Mädchens geblieben. Bis jetzt.

      Was würde er tun? Ausgerechnet die E-Mails. Das aufgeweckte Mädchen hatte sich immer brennend für Tillas Glauben interessiert. Kleine Häppchen davon waren auch in diesen Mails zu finden. Dabei wusste Tilla sehr wohl, wie falsch das war. Ihr Glaube war nicht für jeden das Richtige und für Nina, eine Zwölfjährige, der permanent die Bezugspersonen im Leben wegbrachen, schon gar nicht.

      Altgläubige missionieren nicht!, hörte sie ihre Mutter im Geiste mahnen und ließ den Kopf hängen. Was sollte sie tun? Konnte sie etwas tun? Was würde er tun? Das Handy! Würde er Nina auch das Handy wegnehmen? Was, wenn das heutige Gespräch das letzte zwischen ihnen gewesen war? Erstaunt stellte sie fest, wie weh es ihr tun würde, wenn sie den Kontakt zu Nina verlöre. Und noch erstaunter war sie über das dringende Bedürfnis, mit ihrer Mutter darüber zu sprechen. Versonnen blickte sie ihr Handy an. Dann stellte sie es entschlossen aus und legte es weg. Auf eine telefonische Predigt von Achim, der sich garantiert in nächster Zeit melden würde, konnte sie gut verzichten.

      Widerstrebend nahm sie einen weiteren Umschlag in die Hand.

      Kapitel 3

      Druiden sind für die Kulthandlungen zuständig. Auch fällen sie über Streitigkeiten das Urteil. Ob eine Untat begangen, wenn es über die Erbschaft oder über die Grenzen einen Streit gibt, entscheiden dieselben. Entschädigungen und Strafen setzen sie fest.

      – Caesar BG VI 13 –

      Tilla tappte auf leisen Sohlen über den Flur, es war schon weit nach Mitternacht. Dennoch riss sie ungeduldig den Umschlag auf, ließ sich mit den Seiten ins Bett fallen und begann zu lesen.

       Thurizan wusste, dass sich die Welt um das kleine Paradies, in dem sie lebten, veränderte, und er trug schwer an Sorge, denn die Veränderungen bedrohten die Seinen. So schritt er eines Tages in die Berge hinauf, um mit den Göttern Zwiesprache zu halten. Viele Tage wanderte er und suchte nach einem Götterzeichen. Fast war er am Fuße der höchsten Erhebung angelangt. Die Schritte fielen ihm, betagt wie er war, nun leichter, denn es wurde eben. Lang war es her, als er an dieser Stelle gewesen. Endlich zeigte sich Cernunnos in Form eines Hirsches. Sein Geweih war stark und weit verzweigt, sein Rücken strahlte silbern. Lange schaute das Tier dem Druiden in die Augen, bevor er sich abwandte. Thurizan folgte dem majestätischen Tier durch Hochwald und Dickicht, welches sich plötzlich lichtete. Doch als Thurizan das lichte Plateau erreichte, war der Hirsch verschwunden. Thurizan stand vor einem Abgrund, der ihm einen weiten Blick über das Land der Götter erlaubte. Ein Wolkenhauch waberte vor ihm über das zerklüftete Gestein. Thurizan erkannte den Fingerzeig der Himmelsgöttin und näherte sich der Stelle. Der Boden bestand aus Alisannos’ grauem Gestein, überzogen mit Cerunnos’ gelben Flechten. Hierauf lag ein runder Stein von der Farbe herbstlicher Sonne. Ehrfürchtig nahm Thurizan das eigroße Kleinod in die Hand. Er wusste, solche Edelsteine entstammten dem Saft des Lebensbaumes, jenes immergrünen Baumes, der sie mit seinen wohl duftenden Nadeln im Winter tröstlich daran erinnerte, dass das Leben nur schlief und wiederkehren würde. Besonders zur Wintersonnenwende verehrte das Volk von Thurizan diesen Baum. Sie huldigten durch ihn den Göttern, die sie um die Wiederkehr des Lichtes und des Lebens um sie herum baten. Der große Stein in seiner Hand war viele tausend Fruchtzeiten alt. Warm und rund lag er in der Hand des Druiden und vermochte ihn augenblicklich mit Zuversicht zu erfüllen. Thurizan hob den Stein gegen Belenos’ Sonne, welche gerade in diesem Moment über eine Bergkuppe vor ihm lugte und ihm ihre warmen Strahlen sandte. Ein dunkles Ästchen mit zwei aufsteigenden Streben war in dem Stein zu sehen, die Rune Fehuz, Symbol des Feuers. Die Götter hatten ihm in diesem Stein ein wichtiges Zeichen hinterlassen. Thurizans Blick wanderte demütig und dankbar zu Boden. Dort, wo sich zuvor Cerunnos’ Flechten und Alisannos’ Gestein ein stummes Gefecht geliefert hatten, offenbarte sich dem Druiden nun ein erzdurchsetzter Felsbrocken mit roten Schlieren darin. Sein Blick kehrte zurück zu der Feuerrune. Feuer war das einzige Element, welches Erz zu läutern vermochte. Nun verstand Thurizan endlich, was die Götter von ihm erwarteten.

      Lächelnd drehte sich Tilla in ihren Kissen um und knipste das Licht aus. Sofort tauchte das Bild bewaldeter Bergkuppen vor ihrem inneren Auge auf und begleitete sie sachte in einen wohligen Traum.

      Kapitel 4

      Ne sexum in imperiis discernunt. Beim Oberbefehl machen die Celtae keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern.

      – Tacitus Agricola 16 –

      Ihr kleiner alter Geländewagen, dessen Gaspedal Tilla so ungnädig niedertrat, gab beunruhigende Geräusche von sich. Nicht einmal die großen weißen Ranken, die sie kurzerhand über die Rostschäden gepinselt hatte, konnten über den erbärmlichen Zustand ihres Gefährts hinwegtäuschen.

      Tilla ließ die Ebene des südlichen Salzgitters rechts liegen. Noch ein paar Kilometer weiter und sie würde den Brocken bereits in der Ferne sehen können. Ihr Blick heftete sich geradezu zwanghaft auf den Horizont. Endlich. Die Harzberge tauchten auf. Schlagartig verflüchtigten sich alle schlechten Gefühle in Tillas Innerem. Fast konturengleich mit den Berggipfeln schmiegten sich schwere graue Wolken an die sanft gerundete Gipfellinie von Brocken, Achtermann und Rammelsberg. Die zweiten Wolkengipfel, die sich wie weitere Berge ausnahmen, machten den Harz an diesem Tage zu einem gewaltigen Massiv. Tilla wusste, dass der Mantel, den der Harz an diesem Tag trug, dem Oberharz schlechtes Wetter, Regen und dichten Nebel brachte, während um sie herum auf der Autobahn 395 noch die Sonne schien. Sie wunderte sich wieder einmal, wie sehr sie sich über den Anblick der Harzkuppen freute, die einst das von den Römern so gefürchtete Waldgebiet Hercynia eröffneten.

      Sie hatte ihre Mutter am Morgen mehrfach