Todesrunen. Corina C. Klengel

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Название Todesrunen
Автор произведения Corina C. Klengel
Жанр Ужасы и Мистика
Серия
Издательство Ужасы и Мистика
Год выпуска 0
isbn 9783947167081



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und stand auf der Arbeitsplatte vor dem Fenster.« Vorsichtig fügte er hinzu: »Das war es, was ich mit dem Entschluss Ihrer Mutter meinte.«

      Tilla starrte den jungen Mann verstört an. Selbstmord? »Hören Sie, das ist völlig unmöglich! Meine Mutter würde niemals …«, begann Tilla fahrig, um dann jedoch verwirrt abzubrechen. Es war ihr einfach nicht möglich, das Unaussprechliche auszusprechen.

      »So etwas ist immer besonders schmerzhaft für die Hinterbliebenen«, bemerkte Kamenz leise.

      Tilla hätte ihm am liebsten in das vor Mitgefühl triefende Gesicht geschlagen, doch ihre Hand mit den klappernden Armreifen hob sich lediglich, um wirr durchs Haar zu fahren.

      »Sie verstehen nicht … meine Mutter ist eine … wir sind … wir haben eine besondere Religion. Selbstmord … stört das Gleichgewicht«, haspelte Tilla, sah aber, dass er nichts davon verstand. Wie sollte er auch. Verzweifelt wedelte sie mit den Armen herum. »Meine Mutter würde sich doch nicht … umbringen. Sie war eine anerkannte Heilpraktikerin. Sie war beliebt. Ich wüsste wirklich nicht, was sie zu einem Selbstmord treiben sollte!«

      »War sie vielleicht krank?«

      »Krank?«, wiederholte Tilla dümmlich. »Äh, nein. Nicht, dass ich wüsste.«

      »Würden Sie es denn wissen?«

      Tilla erstarrte.

      »Sehen Sie, manchmal verheimlichen die Menschen so etwas. Die Nachbarn sagten, Hedera Leinwig habe allein gewohnt. Sie wohnen also nicht hier? Wann waren Sie zuletzt hier?«

      Tilla blickte den jungen Polizisten an. Seiner Frage haftete nichts Vorwurfsvolles an und doch war es ein Vorwurf. Einer, den sich Tilla selbst machte. »Ich … es ist schon etwas her. Ich habe bis vor kurzem in Göttingen gewohnt, wegen meines Studiums. Dann kam der Umzug, da habe ich sie nicht so häufig gesehen.«

      Kamenz machte ein zustimmendes Geräusch und zog ein Notizbuch aus seiner Tasche. »Umzug? Und wo wohnen Sie jetzt?«

      »In Braunschweig, also in Lehndorf.« Tilla nannte ihm ihre Wohnanschrift.

      Während er schrieb, fragte er: »Dieses Aconitum Napellus, Eisenhut, es ist ziemlich giftig, oder?«

      Tilla schlang die Arme um den Körper und sagte abweisend »Ja.« Sie wollte nicht mehr reden. Sie wollte hier weg, allein sein.

      »Sie konnten mir sofort den deutschen Namen für das Kraut nennen. Verstehen Sie auch etwas von all diesen …« Sein Stift machte eine kreisende Bewegung in Richtung des Zimmers, in dem Hederas Apotheke untergebracht war. »… von all diesen Giftkräutern?«

      Sein dunkles Haar war kurz geschnitten und nach hinten gekämmt. Ein paar Strähnen hatten sich dennoch aus der Gelstarre gelöst und standen rebellisch nach vorn. Seine blauen Augen, die zu Beginn des Gespräches noch etwas müde gewirkt hatten, schienen nun wacher und eine Nuance schmaler geworden zu sein.

      Tilla begann ihre Antwort abzuwägen. »Nein, ich verstehe nicht viel davon. Pflanzenkunde ist natürlich etwas, mit dem ich aufgewachsen bin, es ist der Beruf meiner Mutter. Sie ist … sie war eine Naturheilkundige. Aber ich hatte nie viel damit zu tun.«

      Kamenz Blick ruhte eine Weile auf ihr. »Kann sie sich mit der Dosierung irgendwie vertan haben?«

      Tilla antwortete ungehalten: »Man kann sich nicht mit einer Dosierung vertun, Eisenhut ist einfach nur verdammt giftig.«

      »Wenn das Zeug so giftig ist, wozu hatte Ihre Mutter dann so etwas?«

      Tilla versuchte sich zu erinnern, wozu man Eisenhut einsetzte. »Ich glaube, meine Mutter machte Salbe daraus. Gegen starke Schmerzen.«

      »Aha. Ein Tee aus Eisenhut war also eher ungewöhnlich?«

      Tilla war verwirrter als je zuvor in ihrem Leben. Nach einiger Zeit antwortete sie mit dünner Stimme: »Ein Tee aus Eisenhut ist absolut tödlich.«

      Kapitel 6

      Mädchenreden vertraue kein Mann, noch der Weiber Worte.

      Auf geschwungnem Rad geschaffen ward ihr Herz, trug in der Brust verborgen.

      – Edda, Hávamál, des hohen Lieds 83 –

      Er konnte es nicht fassen. Auch wenn sie dreißig Jahre älter geworden war, so hatte sie doch nichts von ihrem Reiz eingebüßt. Ganz im Gegenteil – das Leben, das man ihr durchaus ansah, hatte ihre besondere Ausstrahlung noch um einiges vergrößert. Sie gehörte zu den Menschen, denen die Zeit einfach nichts anhaben konnte. Wieso wunderte er sich darüber? Sie war schließlich eine Hexe. Sagte man Hexen nicht nach, dass sie Raum und Zeit beherrschten? Ein Lächeln stahl sich in seine Züge, was selten passierte. Die ungewohnte Gefühlsregung erstarrte und verflog. Sie war tot. An dem Gift gestorben, das auch ihn um ein Haar nach Walhall gebracht hatte.

      Wieder einmal war er dem Tod nahe gekommen, sehr nahe. Er war sicher, beim nächsten Mal würde der Tod gewinnen. Was sie anging, war er wirklich keinen Deut klüger geworden. Ihr gastfreundliches Gehabe, wie hätte er sich gewünscht, dass es ehrlich gewesen wäre. Doch noch als sie ihm zu verstehen gab, dass sie genau wusste, was er suchte, war ihm der Gedanke an so einen perfiden Angriff gar nicht gekommen. Er hatte noch darauf geachtet, dass sie zuerst von dem Tee trank. Dann hatte auch er ein paar beherzte Schlucke genommen und sich über den bitteren Geschmack hinter der Süße gewundert. Es brauchte einige Minuten, bis er ihren Plan erkannt hatte, und da war es schon fast zu spät gewesen. Sein Mund hatte gebrannt, sein Körper gekribbelt und der kalte Schweiß war ihm ausgebrochen. Sofort war er aus der Küche geeilt und hatte sich übergeben. Wie hatte sie die schmerzhaften Auswirkungen des Giftes nur unterdrücken können? Gegen seinen Willen stieg Hochachtung in ihm auf.

      Erst nach einer Ewigkeit hatte er sich wieder genügend unter Kontrolle gehabt, um das Telefon bedienen zu können. Seine Leute, die er herbeordert und die das Haus gründlich durchsucht hatten, konnten nichts finden. Rein gar nichts.

      Immer wieder dachte er über die Möglichkeit nach, dass sie die Suche vielleicht doch aufgegeben hatte. Aber hätte er dann nicht wenigstens die Aufzeichnung über das Artefakt finden müssen? Nein. Der einzige Grund dafür, dass er gar nichts fand, war der, dass er nichts finden sollte. Ihr Versteck war genial, da war er ganz sicher. Sie hatte ihn überlistet. Das völlige Ausbleiben von Ärger erstaunte ihn. Ihr Venuszauber hatte ihn wohl noch immer im Griff, über ihren Tod hinaus. Nicht dass er je der Typ gewesen wäre, der an so etwas wie Zauberei glaubte. Obwohl … sie hatte ihr Leben für dieses Artefakt gegeben. Ein Artefakt, von dem man annahm, dass es rund zweitausend Jahre alt war. Und wenn ihm wirklich eine so starke Magie innewohnte, wie die Sage behauptete? Er hielt nicht viel von alten Sagen, doch nun erfüllte ihn plötzlich ein geradezu bohrendes Verlangen nach dem Artefakt.

      Er stieß die befremdlichen Gefühle mit einem ärgerlichen Schnaufer aus. Ob magisch oder nicht, wenn er das Kleinod fand, stand ihm in der Organisation jeder Weg offen. Kaum jemand wusste, wie dicht Hedera davor gestanden hatte, den Kreis der Geschichte zu schließen. Nur er. Er … und sein Bruder. Das kurze Hochgefühl zerstob. Seit jenem verhängnisvollen Abend vor dreißig Jahren hatte er nichts mehr von Gerfried gehört. Seit dem Abend, an dem man ihn fast getötet hatte.

      Es gab viele Dinge in seinem Leben, für die er den Tod verdient hätte. Er war ein kompromissloser Killer. Einzig damals hatte er nichts weiter getan, als sich in eine Hexe zu verlieben. Und er war sicher, dass sie seine Gefühle erwidert hatte. Heute mehr als damals. Ihm war nicht entgangen, wie die Härte in den tannengrünen Augen immer wieder aufbrach und ein Sog von Sanftmut ihn einhüllte. Doch dann hatte sie ihm und sich das Gift eingeschüttet. Er war sicher, die Erklärung dafür war dreißig Jahre alt. Was nur war damals geschehen? Seit damals hatte er sich der Frage verweigert, warum man ihn durch den Wald gehetzt hatte. Hederas Verrat, den er bis heute nicht verstand und den er damals nicht im Mindesten erwartet hatte, war der Grund für diese Weigerung. Ihr Brief, der ihn seinerzeit den Häschern auslieferte, hatte ihn fast das Leben gekostet. Vor einer Woche hatte sie ihn mit einem Tee erneut an die Schwelle