Название | Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue |
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Автор произведения | Anne-Laure Daux-Combaudon |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783823302469 |
Den Einfluss des Situationsbezugs macht Paul auch in seiner Grammatik mehrfach geltend, so beispielsweise in folgender Bemerkung:
Wo keine Anknüpfung an eine vorhergehende sprachliche Äußerung stattfindet, kann ein einzelnes Glied […] nur dadurch zu einer Mitteilung werden, daß es an die Situation angeknüpft wird. (Paul 1920G: 375)
Am Beispiel des Ausrufs Feuer sowie auch des grammatisch eingliedrigen es brennt macht Hermann Paul klar, wie er sich die Funktion der Anknüpfung genauer vorstellt. Auch hier handelt es sich ja um die Verknüpfung zweier Vorstellungen, die man in diesem Falle als ein Subsumptionsverhältnis konzipieren muss. Die konkrete Erscheinung des Feuers wird unter die „schon in der Seele ruhende Vorstellung von Brennen oder Feuer“ untergeordnet (s. Paul 1920P: 132). Infolgedessen besteht die Aufgabe eingliedriger Sätze darin, „eine konkrete Anschauung mit einem allgemeinen Begriffe zu vermitteln“ (Paul 1920P: 133).
Positionen wie diejenige von Wilhelm Wundt und Hermann Paul werden von dem Sprachphilosophen Anton Marty wenig schmeichelhaft als „gewöhnliche Anschauung“ bezeichnet (s. Marty 1918: 4). Letztere besteht darin, dass jedes Urteil eine Verbindung von Vorstellungen, jede Aussage eine Verbindung von Prädikat und Subjekt sei. Auch Marty identifiziert unpersönliche Konstruktionen als solche, die diesem Bild widersprechen:
In den Sätzen „Es regnet“, „Es blitzt“, obschon sie wahrhafte Aussagen zu sein scheinen, ist aber, wenigstens auf den ersten Blick, keine Subjektsvorstellung gegeben, kein Gegenstand, welchem das „Regnen“ als Prädikat beigelegt würde. (ebd.)
Hieraus zieht er allerdings, auch auf den zweiten Blick, nicht die Konsequenz einer irgendwie gearteten Ergänzungsstrategie, sondern er nimmt diese Formklasse zum Anlass, sie einer eigenen Kategorie zuzuordnen. Der Gang seiner Argumentation entwickelt sich so, dass er zunächst gegen eine theoretische Täuschung plädiert:
Der Schein der Kategorie [der zweigliedrigen Aussage, F.L.] entsteht vielmehr lediglich, indem ein vollsinniges Verbum finitum in der dritten Person des Singulars die Täuschung erweckt, als ob es (mit oder ohne das Flickwörtchen es) sowohl ein pronominales Subjekt als ein verbales Prädikat involviere, während es in Wahrheit nur den Namen eines Vorganges nebst dem Zeichen der Anerkennung oder Verwerfung involviert (so bei „Es regnet“, „Es donnert“, pluit, tonat u.dgl.) […]. (Marty 1918: 272)
Im Anschluss an diese Argumentation trifft Marty sodann seine terminologische Entscheidung:
Wem es aber gezwungen erscheint, auch ihnen diesen Namen zu geben, der mag als universelle Bezeichnung für alle Aussagen, welche Ausdruck einfacher Urteile sind, den Terminus thetische Aussagen wählen. (Marty 1918: 280)
Durch diese kategoriale Entscheidung ist Marty in der Lage, unpersönliche Konstruktionen, Impersonalia oder subjektlose Sätze ihrer ursprünglichen Form entsprechend zu behandeln, ohne Zusatzannahmen auf der Ebene der Form oder des psychologischen Hintergrunds zu machen.
Schaut man sich eine zehn Jahre später erschienene Quelle an, so wird klar, dass um diese Zeit die Debatte um die Eingliedrigkeit abgeschlossen ist. So nimmt beispielsweise Otto Behaghel in seiner Deutschen Syntax (1928) ohne größere Umschweife ein- und zweigliedrige Sätze an, wobei er von letzteren im § 1100 allerdings sagt, sie würden als ‚Vollsätzeʻ bezeichnet (s. Behaghel 1928: 435). Zu den eingliedrigen Sätzen rechnet er Interjektionen, Vokative, Anredepronomen und Imperative. Des weiteren zählen zu diesen – im § 1114 – auch unpersönliche Konstruktionen wie ‚es erträgt sich nicht, daß wir rauchenʻ und unpersönliche Verba ‚es donnerteʻ (s. Behaghel 1928: 444f.). Dass diese Formen als reguläre Einheiten der Syntax angesehen werden, wird auch dadurch klar, dass den genannten Beispielen das Prädikat der ursprünglich eingliedrigen Sätze zuerkannt wird, während demgegenüber die unursprünglich eingliedrigen Sätze abgebrochene Sätze oder durch „Ersparung aus zweigliedrigen Sätzen entstandene eingliedrige Sätze“ darstellen (s. ebd.).
2 Ambienz, versteckte Indexikalität und unartikulierte Konstituenten
Auch wenn man sagen kann, dass die Debatte um eingliedrige Sätze, die sich vor allem an Wetterverben entzündet hatte, in den zwanziger Jahren des 20. Jh. abgeschlossen ist, stellen Konstruktionen wie
(1) Es regnet
und verwandte weiterhin eine sprachtheoretische Herausforderung dar. Dies ist nicht mehr auf die Form des Satzes zurückzuführen, der vermeintlich einem Vollständigkeitsideal widerspricht, sondern auf seine Verankerung in einem räumlichen Koordinatensystem. Es ist schlüssig zu erklären, wie eine Lesart zustande kommt, die eine Beschränkung auf einen mehr oder minder abgegrenzten Raum leistet. Denn es muss der offenkundigen Intuition Rechnung getragen werden, dass die Aussage, dass es regnet, nicht von jedem beliebigen Ort gemacht wird, womit der Satz trivialerweise wahr wäre und somit keinen Informationsgehalt tragen würde. Die standardisierte Interpretation bezieht den Satz auf einen spezifischen Ort, und dies ist in der Regel der Ort, an dem sich der Sprecher / die Sprecherin befindet. Sollte es ein anderer Ort sein, so muss dies explizit angegeben werden oder aus dem unmittelbaren Redekontext hervorgehen.
In einem Beitrag zu einem rezenten Sammelband über unpersönliche Konstruktionen verweist Irmtraud Behr auf die Einsicht Wallace Chafes, der Formen wie (1) den ambienten Konstruktionen zuweist. „Es handelt sich dabei um Zustände (es ist heiß / spät, es ist Dienstag) oder Ereignisse (es regnet / schneit), die als „allumfassend“ bezeichnet werden“ (Behr 2012: 132). Allumfassend, möchte man ergänzen, in Bezug auf einen umschriebenen Raum, in dem Sprecher_in und Hörer_in sich aufhalten. Chafe schreibt zu diesen Konstruktionen: „Die Bedeutung von Sätzen wie diesen scheint in nichts anderem als einer Aussage, aus einem Prädikat zu bestehen, in dem es kein „Ding“ gibt, worüber die Aussage gemacht würde“ (Chafe 1976: 102, zit. n. Behr 2012). Ambienz kann somit als die Eigenschaft eines Prädikats gelten, dass ein Agens von diesem nicht abgetrennt werden kann – bei Marty hatten wir dieses Phänomen als thetischen Satz kennen gelernt. Mit Bezug auf ein Erklärungsmuster von Tosco / Mettouchi (2010) spricht Behr im Zusammenhang mit unpersönlichen Konstruktionen von Herabstufung oder Backgrounding einer Entität oder eines Ereignisses. Diese drückt sich in Konstruktionen wie (1) dadurch aus,
[…] dass generische oder unspezifische Lexeme zur Verwendung kommen. Die Herabstufung des einen Elements bewirkt die Aufstufung oder Hervorhebung des anderen Elements. Dieses kann dann als situationell salient empfunden werden. (Behr 2012: 133)
Der Prozess des Backgrounding würde dann die Entität betreffen, die durch das unspezifische es ausgedrückt wird.
Ambiente Konstruktionen stellen insofern eine Herausforderung dar, als in ihrer Beschreibung der systematische Bezug auf den umgebenden Raum berücksichtigt werden muss. Ich möchte mich im Folgenden mit einem Ansatz auseinandersetzen, der diesen Bezug in Form einer Konstituente des geäußerten Satzes, wenn auch einer unartikulierten Konstituente, auffasst. So ist der Mitbegründer der Situationssemantik, John Perry, bei der Behandlung von Sätzen wie es regnet, es schneit, es donnert, aber auch es stinkt, es ist laut verfahren. Sie sind in seiner Sicht durch ein indexikalisches Element zu ergänzen, das mit hier angegeben werden kann (s. Perry 1998). Wir sprechen es allerdings in der Regel nicht aus, weil es sich als selbstverständlich erweist. Perry fasst es so: „… we don’t articulate the objects we are talking about, when it is obvious what they are from the context“ (Perry 1998: 11). Ein hier bei Wetterverben und anderen unpersönlichen Konstruktionen ist zwar für das Verständnis der Satzäußerung wirksam, aber nicht im Sinne eines artikulierten oder nur zufällig weggelassenen Elements. Es ist von Natur aus unartikuliert, es taucht auf keiner Repräsentationsebene des Satzes auf, weder auf der syntaktischen noch auf der semantischen. Vielmehr handelt es sich um eine interpretatorische Zutat,