Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens. Helmut Schwier

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Название Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens
Автор произведения Helmut Schwier
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783374063826



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den hermeneutischen Streit der Interpretationen sowie eine lebendige und verständliche Sprache braucht. Die Christusbegegnung als Feier des Evangeliums verdeutlicht, dass der ganze Mensch mit all seinen Sinnen und in all seinen Beziehungen, seiner spezifischen Situation und Biographie, als Leib und Seele wahrgenommen wird. Die Dimension der Konvivenz83 lenkt den Blick auf die Lebenswirklichkeiten innerhalb und außerhalb der lokalen und weltweiten Kirchen und motiviert zur gemeinsamen Suche nach Wahrheit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.

      Dass Christusbegegnungen sich nicht nur im Raum von Wort und Sakrament ereignen, sondern auch an unerwarteten Orten, mit unbekannten Menschen und einem verborgen bleibenden Christusbezug, ist bereits eine bleibende Erkenntnis des Evangeliums (vgl. Mt 25,31ff.) und gleichzeitig eine Folge des Wirkens Jesu Christi und des Geistes. Solches Wirken verstärkt die Einsicht in eine universal wirkende, trinitarisch begründete Theologie der Gnade, die die an Christus Glaubenden »demütig und solidarisch mit allen Menschen«84 macht.

       Quellen- und Literaturverzeichnis

       1.Quellen

      Evangelisches Gesangbuch (EG). Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Baden, pour l’Eglise de la Confession d’Augsburg d’Alsace et de Lorraine, pour l’Eglise Reformée d’Alsace et de Lorraine, Karlsruhe 1995.

      Evangelisches Gottesdienstbuch (EGb). Agende für die Evangelische Kirche der Union und für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, hrsg. von der Kirchenleitung der VELKD und i.A. des Rates von der Kirchenkanzlei der EKU, Berlin u. a. 1999.

      Martin Luther: D. Martin Luthers Werke (WA). 120 Bände, Weimar 1883–2009.

       2.Literaturhinweise zum vertiefenden Studium

      Grethlein, Christian, Praktische Theologie, Berlin / New York 2012.

      Grethlein, Christian / Schwier, Helmut (Hgg.), Praktische Theologie. Eine Theorie- und Problemgeschichte (APTh 33), Leipzig 2007.

      Lienhard, Fritz / Bölle, Adrian, Zur Sprache befreit – Diakonische Christologie. Theologischer Umgang mit dem Leiden (Theologische Anstöße 5), Neukirchen-Vluyn 2013.

      Metzger, Paul (Hg.), Die Konfession Jesu (BenshH 112), Göttingen 2012.

      Welker, Michael, Gottes Offenbarung. Christologie, Neukirchen-Vluyn 2012.

       Zur Sache der Texte

       Bibel, Predigt und Hermeneutik aus exegetischer Sicht

      Wenn ein Prediger oder eine Predigerin auf die Kanzel steigen, können sie weihnachtlich gestimmt reden: »Siehe, ich verkündige euch große Freude!« Wenn Exegeten zum Katheder treten, sagen sie meist: »Siehe, ich verkündige euch große Probleme.«1

      Dies ist natürlich ein Klischee, hat aber einen Wahrheitskern. Exegese hat es mit Problemen und Problemstellungen zu tun, die weitab von der Predigt zu liegen scheinen. Exegeten bilden Hypothesen, die sich von denen der Zunftkollegen unterscheiden. Exegeten verlieren sich nicht selten in der Freude an Detailbeobachtungen und enden manchmal beim berühmt-berüchtigten Fliegenbein-Zählen, wobei dieses Bild ja nahelegt, dass das, was ohnehin jeder aus Erfahrung weiß, nämlich dass eine Fliege sechs Beine hat, noch einmal unnötig verkompliziert und möglicherweise mit dem Begriff »Hexapoda« fachsprachlich, also unkommunikativ, klassifiziert wird – ohne wirklichen Erkenntnisgewinn. Um die Metapher zu variieren: Wenn es um die Beine eines Tausendfüßers ginge, wäre die Aufgabe nicht so leicht und eindeutig; man müsste zudem als Exeget vorgängig kritisch gegenüber der dogmatischen Vorgabe »1000« sein und würde doch überhaupt nicht zum eigentlichen Thema oder zur eigentlich wichtigen Fragestellung kommen, wenn man bloß die Dogmatik entlarvt hätte, indem man den Begriff »Myriapoda« als zwar im Gebrauch befindlich, aber doch untauglich bezeichnen würde, weil es schließlich – kritisch und genau gezählt nie mehr als 750 Beine sind.

      Die klassische historisch-kritische Exegese, die wir auch heute im Proseminar vermitteln, hat infolge ihrer Herkunft aus der Dogmenkritik von Aufklärung, Rationalismus und Historismus eine enorm kritische Stoßrichtung, aber sie ist, wie schon bekanntlich Karl Barth im Vorwort der zweiten Auflage seines Römerbriefes meinte feststellen zu können, häufig eben nicht kritisch genug; das war, nota bene, von ihm wahrscheinlich ebenso polemisch gemeint wie der im gleichen Kontext, aber etwas später auftauchende Hinweis auf die »sanften Auen« der Praktischen Theologie.2 Sowohl die gegenwärtige exegetische wie die Praktische Theologie werden diesen Vorwürfen widersprechen, aber sie bleiben wichtige Stachel, damit es uns nicht zu behaglich wird.

      Die Exegese kann ihren Widerspruch durch zwei prinzipielle Hinweise begründen: durch ihre hermeneutische Tradition und durch den inzwischen erfolgten Methodenpluralismus. Ich werde hier in durchaus subjektiver, aber auch exemplarischer Auswahl hermeneutische und methodische Ansätze vorstellen und sie auf ihre praktisch-theologische und homiletische Relevanz befragen. Dabei werde ich vor allem deren Stärken hervorheben, um an und mit ihnen zu lernen. Professoralexegetische Nörgeleien an vermeintlichen Schwächen verkneife ich mir weitgehend, um Ihre und meine Zeit nicht zwischen Sechs- und Tausendfüßlern zu vergeuden.

       1. Die existentiale Hermeneutik: Die theologische Dimension als Sache des Textes

      Rudolf Bultmann hat Martin Heideggers Impulse für die Hermeneutik eigenständig und kenntnisreich aufgenommen und weitergeführt.3 Dabei wurden die Fragen philosophischer Ontologie mit den traditionellen Fragen einer Texthermeneutik verbunden. Bultmann verdeutlicht, dass jedes Verstehen, z. B. eines Textes von Platon oder eines Kunstwerks, ein Vorverständnis im Sinne eines Lebensverhältnisses zur Sache benötigt: »Voraussetzung jeder verstehenden Interpretation ist das vorgängige Lebensverhältnis zu der Sache, die im Text direkt oder indirekt zu Worte kommt und die das Woraufhin der Befragung leitet.«4 Dies kann z. B. ein geschichtliches, psychologisches oder ästhetisches Interesse sein. Es kann aber auch ein existential-ontologisches sein: Es kann »gegeben sein durch die Frage nach dem menschlichen als dem eigenen Sein.«5 Daher ist das Vorverständnis nicht zu eliminieren, sondern ins Bewusstsein zu heben, es ist im Textverstehen kritisch zu prüfen und zu befragen.

      1957 hat Bultmann in einem kleinen Text diese Grundgedanken in fünf Thesen folgendermaßen zusammengefasst:

      »1)Die Exegese der biblischen Schriften muß wie jede Interpretation eines Textes vorurteilslos sein.

      2)Die Exegese ist aber nicht voraussetzungslos, weil sie als historische Interpretation die Methode historisch-kritischer Forschung voraussetzt.

      3)Vorausgesetzt ist ferner der Lebenszusammenhang des Exegeten mit der Sache, um die es in der Bibel geht, und damit ein Vorverständnis.

      4)Das Vorverständnis ist kein abgeschlossenes, sondern ein offenes, so daß es zur existentiellen Begegnung mit dem Text kommen kann und einer existentiellen Entscheidung.

      5)Das Verständnis des Textes ist nie ein definitives, sondern bleibt offen, weil der Sinn der Schrift sich in jeder Zukunft neu erschließt.«6

      Das »Vorverständnis« besteht als »offenes Vorverständnis« nicht aus dogmatischen Vorgaben, sondern aus dem Bewegtsein durch die existentielle Frage nach Gott – »einerlei welche Form diese Frage jeweils in seinem [des Exegeten, H.S.] Bewußtsein annimmt«7. Die existentielle Entscheidung kann zum Bekenntnis, aber auch zur Ablehnung, zum ausgesprochenen Unglauben führen, der als existentielle Entscheidung nicht widerlegbar wäre.8 Gegenüber der Frühzeit der Dialektischen Theologie und Karl Barths Erwählungslehre bleibt die hermeneutische Position Bultmanns offener, in Grenzen diskursiver und stets mit kritischer Exegese verbunden. Die Arbeit des Exegeten zielt darauf, die Schrift selbst zum Reden zu bringen als eine »in die Gegenwart, in die gegenwärtige Existenz, redende Macht«.9