Название | Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens |
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Автор произведения | Helmut Schwier |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783374063826 |
Das inhaltliche Profil zeigt sich zunächst in den gottesdienstlichen Grundvollzügen, die die biblische Tradition dem Auferstandenen zuschreibt: Erschließung der Schrift (vgl. Lk 24,25–27), Friedensgruß (Lk 24,36; Joh 20,19.26), Taufe (Mt 28,19b), Abendmahl (Lk 24,30 f. – dies allerdings in bleibender Verbindung mit der Nacht des Verrats) und Sendung zu den Menschen (Mt 28,19 f.) – eine »Polyphonie der gottesdienstlichen Existenz«,14 die gleichzeitig die Wirklichkeit des Auferstandenen bewahrt und dynamisch weiterführt.
Besonders bei Taufe und Abendmahl ist dann das inhaltliche Profil christologisch begründet und gleichzeitig von enormer praktischer Auswirkung. Die Taufe ist Herrschaftswechsel, Lebensgemeinschaft mit Christus und Inanspruchnahme für das Reich Gottes15 und daher seit den Anfängen kirchlicher Praxis das ständige Movens zur Kritik an menschlicher Herrschaft und Gruppenbildung (vgl. auch 1Kor 1,12 f.), zu Freiheit und Gleichheit (vgl. Gal 3,28), zur Freundschaft mit Christus und zur tätigen Nachfolge (Joh 3,5; 15,12–17).
Im Zentrum des Abendmahls steht die Anamnese Christi, also das Gedächtnis an sein Leben, seinen Tod und seine Auferweckung. Dies wird nicht vollzogen als verinnerlichtes, rein kognitives Gedenken, sondern als erneuerte Inkraftsetzung, die durch die Zeiten weiterwirkt und weitergetragen wird.16 Die Feier des Mahles verbindet das Gedächtnis Christi mit der Doxologie des Schöpfers und der Bitte um das Wirken des Geistes – liturgisch in den Abendmahlsgebeten exemplarisch gestaltet – und lässt die Gemeinde ihre Einheit und Gleichheit als Beschenkte erfahren – liturgisch gestaltet im gemeinsamen Friedensgruß und in der gemeinsamen Kommunion. Dies eröffnet eine Intensivierung sowohl der Christusgemeinschaft als auch der Nächstenliebe und Diakonie: Die Kommunikanten sind im Glauben der Gegenwart Christi gewiss und ihnen wird sein Tod und seine Auferweckung als Wahrheit ihres eigenen Lebens zugesprochen und mit Brot und Wein zugeeignet; als Glieder am Leib Christi sind sie in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit füreinander und miteinander Kirche und zu allen Menschen gesandt. Dieser Zusammenhang kommt in poetischer Weise in vielen Abendmahlsliedern des Evangelischen Gesangbuches zum Ausdruck und prägt und bildet dadurch wiederum gegenwärtige Abendmahlsfrömmigkeit.17
Gottesdienst als Feier und Kommunikation des Evangeliums ist ein ebenso vielfältiges wie bezugsreiches und ein, rezeptionsästhetisch gesehen, offenes Kunstwerk. Es ist christologisch und trinitarisch fundiert und erhält daraus wesentliche inhaltliche Prägungen wie Gestaltungen. Die können auch den Freiraum bieten zur Integration neuer Feierformen und Gebete, deren Sprachgestalt nicht ausgeprägt christologisch ist,18 wie es beispielsweise das Evangelische Gottesdienstbuch und andere neuere Agenden vorführen, indem sie neue Texte und Gebete gleichberechtigt berücksichtigen19 und somit in allen Gebetsgattungen (Vorbereitungsgebet und Schuldbekenntnisse, Kollekten- und Eingangsgebete, Fürbitten, Abendmahlsgebete mit Präfation, Postsanctusgebet, Epiklese) eine reiche Auswahl aus Tradition und Gegenwart bieten, die der Entdeckung und Gestaltung von Liturgie als Gebet dienen soll.20
2. Predigt und Homiletik
Luthers christozentrisch-soteriologische Zuspitzung der Predigtaufgabe – nihil nisi Christus praedicandus (»nichts anderes als Christus ist zu predigen«)21 – grenzt sich einerseits scharf ab, sowohl gegenüber dem Fabulieren mit Heiligenlegenden und ähnlichen Geschichten, als auch gegenüber einem völligen Verzicht auf die Predigt im Gottesdienst.22 Sie berücksichtigt andererseits auch Erfahrungen der Hörenden, die aber mit den grundlegenden biblischen Beispielen23 und der neuen Sprache des Evangeliums, die Wirklichkeit neu schafft, aufgegriffen, konfrontiert und verändert werden, so dass es zur »Christusresonanz«24 kommen kann. Dies entspricht Luthers Worttheologie mit seiner Betonung der Relationalität und des Anrede- und Handlungscharakters.25 Predigende und Hörende werden insgesamt in ein aktives Verhältnis zueinander gesetzt, das als »wechselseitiges Verhältnis der Freiheit«26 zu verstehen ist.
Homiletisch grundlegend ist die Unterscheidung von Christus als Gabe und Geschenk sowie als Vorbild:
»Darum sieh nur recht darauf: Christus als Gabe nährt deinen Glauben und macht dich zum Christen. Aber Christus als Vorbild übt dich in Werken. Die machen dich nicht zum Christen, sondern sie gehen von dir aus als einem, der schon zuvor zum Christen gemacht ist.«27
Die elementare Rede von Christus als Gabe und Vorbild, als sacramentum / Geheimnis und exemplum / Beispiel,28 läuft auch hier auf eine systematische Unterscheidung, nicht auf eine Trennung hinaus. Inwiefern sie die evangelische Predigtpraxis seit der Reformation tatsächlich umfassend geprägt hat, ist schon aufgrund der Quellenlage kaum genau festzustellen.
Predigtgeschichtliche Studien zur gegenwärtigen Christuspredigt liegen derzeit nicht vor. Nicht-repräsentative Stichproben zu neueren Predigten über Wunder, Gleichnisse und die Lehre Jesu zeigen, dass gerade hier vielfach Kenntnisse über die sozialgeschichtlichen Bedingungen zur Zeit Jesu und insgesamt über den historischen Jesus verwendet werden und eine veranschaulichende und konkretisierende Funktion haben. Der Mensch Jesus wird greifbar, seine Zuwendung zu den Ausgestoßenen, sein Gegenüber zu den Mächtigen, auch seine Passion. Die Verbundenheit Jesu mit dem Judentum wird sichtbar, aber auch seine Konflikte mit den Herrschenden.
Es ist naheliegend, dass in der Predigtpraxis – wie in den Unterrichtsentwürfen – die exegetische und theologische Betonung des historischen Jesus samt den Einsichten des third quest for the historical Jesus29 prägend wurden – zumindest bei den Pfarrerinnen und Pfarrern, die seit den 1980er- und 1990er-Jahren studiert oder sich intensiv fortgebildet haben. Hinzu kommt eine vermutlich verbreitete Unsicherheit von Predigenden und Unterrichtenden hinsichtlich der Soteriologie, die nach den inner- und außertheologischen Debatten um Opfer und Sühnetod, im Vergleich zu den differenzierten soteriologischen Traditionen30 meist popularisierend und verengt geführt, kaum eine die Praxis prägende Kraft entfaltet, falls sie nicht von vielen ohnehin bereits verabschiedet worden ist.31
Durch die derzeitige, durchaus plurale Wiederentdeckung der theologisch zentralen Bedeutung der Auferstehung32 wird klarer, dass sie auch für die Deutung des Todes Jesu als Heilstod grundlegend bleibt und als Gottes Deutung dieses Todes zu denken ist,33 von der sich alle anderen theologischen, metaphorischen oder symbolischen Deutungen als nachrangig abheben. Eine Ostertheologie, die nicht nur theologia crucis / Theologie des Kreuzes und theologia gloriae / Theologie der Herrlichkeit integriert,34 sondern auch die Einsichten des third quest berücksichtigt, kann die Grundlage bilden für eine künftig stärker ausgearbeitete konkrete Christologie in den Predigten,35 die zu erwarten und zu erhoffen ist.
Auch wenn die Konzentration auf den historischen Jesus einerseits und auf den erinnerten und geglaubten Christus andererseits nicht bruchlos mit den Predigten über Texte aus den synoptischen Evangelien einerseits und den Episteln andererseits einhergeht, ist diese Koinzidenz trotz der Christologie der Synoptiker vielfach vorhanden. Auch daher ist bei den derzeitigen Bemühungen um die Revision der Perikopenordnung die Zielrichtung einer stärkeren Durchmischung der Predigttextreihen mehr als wünschenswert.36
Die gegenwärtige Predigttheorie hat bei ihrer Verarbeitung rhetorischer, psychologischer, sprachtheoretischer, medialer und dramaturgischer Einsichten die theologische Kategorie des Christus praedicandus / verkündigten Christus als Kommunikation des Evangeliums zur Geltung zu bringen. Dabei teilt sie mit den anderen theologischen Disziplinen die Einsicht in den Wortcharakter der Offenbarung37 und kann vor allem durch Exegese und Hermeneutik die »Sache der Texte« neu wahrnehmen38 und zu einer Predigt anleiten, die christologisch etwas zu verstehen und zu begreifen gibt: das Christusereignis in seiner personalen und inhaltlichen Ausrichtung als zentrale Deutungskategorie des christlichen Gottes-, Selbst- und Weltverständnisses – oder in religiöser Sprache formuliert: Christus als Gabe und Vorbild.
Im Licht des munus propheticum / prophetischen