Название | Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens |
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Автор произведения | Helmut Schwier |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783374063826 |
Die Feier der kürzeren Osternacht ist immer noch länger als ein normaler Sonntagsgottesdienst. Auch sie mutet den Mitfeiernden etwas zu. Je nach Kirchenraum wird es hier wenig äußere Bewegungen der feiernden Gemeinde geben. Der zunächst dunkle, dann durch Kerzen, schließlich durch die Morgensonne erhellte Raum lässt höchstens vorsichtige Begehungen zu, zeigt aber vor allem als wesentliches Element des Gottesdienstes das intensive Erleben des Übergangs vom Dunkel zum Licht.27 Die Osternacht ist eine Prozess- und Transitusliturgie.28
Neben der Unterscheidung von Lang- und Kurzform ist in der Feiergestalt noch zu differenzieren zwischen der agendarischen und der offenen Form. Dabei sind die unterschiedlichen veröffentlichten Osternachtliturgien in offener Form meist an besonderen Zielgruppen (z. B. Jugendliche) und einfachen Kirchenräumen orientiert. Für Jugendliche eignet sich dabei besonders die Langform; dazu sind die einzelnen Stunden oder Stationen inhaltlich zu qualifizieren: z. B. Stunde der Annäherung (23 h), der Dunkelheit (0 h), der Einsamkeit (1 h), des Widerstands (2 h), der Wandlung (3 h), des Lichts (4 h).29 Manches wird hier aufgenommenvon den sehr erfolgreichen ökumenischen Kreuzwegen der Jugend oder anderen Formen der Nachtwache. Sprachqualität, Stimmigkeit der Musik und der Symbolik sowie ein gelingender Mitvollzug beim Singen und Feiern sind hier wesentliche Merkmale. In solch einen Kontext gehört auch die folgende Äußerung: »Ganz ehrlich habe ich durch das Singen und Musizieren, das so viele Menschen ansteckte und begeisterte, immer einen gewissen Kick gekriegt, das war nach der Messe irgendwie so ein Gefühl, etwas High zu sein – aber irgendwie das Gefühl, ja das ist hier gerade wirklich ein Fest, eine Auferstehungsfeier, und irgendwie die Wurzel meines Glaubens.«30
Zur Osternacht 2012 veröffentlichte das Bayerische Gottesdienstinstitut auf der Grundlage der lutherischen Agende einen Entwurf, der einen Kurzfilm ins Zentrum der Verkündigung und des Erlebens stellt.31 Der Gottesdienst beginnt mit dem Lesungsteil in der dunklen Kirche, darauf folgt der je nach Version ca. 7–10-minütige Film »Earth Connection«, dann die Lichtfeier, Wortteil, Tauffeier, Abendmahl. Hier hängt alles oder zumindest fast alles an der Qualität des Films. Die praktisch-pragmatischen Fragen, wie der Film so projiziert wird, dass die Technik nicht stört, sind umsichtig bedacht worden; hier gibt es zumindest hilfreiche Empfehlungen. Aber die inhaltliche und ästhetische Qualität lässt einige Wünsche offen: »Der Film ist gerahmt von zwei Details des Freskos ›Noli me tangere‹ von Fra Angelico […]: Es beginnt mit dem durchbohrten Fuß Jesu und endet mit den voneinander scheidenden Händen von Maria Magdalena und Jesus. Dazwischen […] finden sich Sequenzen aus colorierten und animierten Pflanzendarstellungen, die ›Leben-Krise / Gefahr / Tod-neues Leben‹ symbolisieren.«32
Dies ist m. E. bildästhetisch nicht überzeugend, vor allem ist es langweilig. Problematisch ist hier aber auch das Medium selbst. Man bringt in eine Gottesdienstfeier mit überreicher Symbolik und starker personaler und in Taufe und Abendmahl auch leiblicher Kommunikation ein weiteres Medium ein, das eher verfremdet. Wie wirkt nach der Filmvorführung und ihrem Beamer- oder Projektorlicht die anschließende Lichtfeier, die ganz auf Osterkerze, Einzug und Weitergabe des Kerzenlichts bezogen ist? Um nicht missverstanden zu werden: Filmgottesdienste können eine gute Sache sein, hier aber – so mein Eindruck – neutralisieren oder stören sich die verschiedenen Sequenzen, Medien und Symbolangebote. Etwas mehr Zutrauen zur Performanz der Riten wäre durchaus wünschenswert.
Die Feier der Osternacht – sei es in agendarischer, sei es in offener Form – benötigt eine intensive Vorbereitung in einer Liturgiegruppe, die dann auch stellvertretend für die Gemeinde Wege geht, betet, Symbole verwendet und Zeichen inszeniert und – notabene – dies alles hoffentlich geübt hat. Auch für den Liturgievollzug gilt, dass »gut gemeint« das Gegenteil von »gut« ist und dass Üben die Qualität steigert.
Wie steht es um die Verkündigung in der Osternacht? Erstaunlicherweise nennt die lutherische Agende den Wortteil zwar »Osterverkündigung« und sieht in der Abfolge auch eine Predigt vor, votiert dann aber in den Rubriken für eine sehr kurze Predigt oder auch für deren Wegfall.33 Dies ist aus meiner Sicht ein falsches Signal. Selbstverständlich ist Verkündigung auch die Lesung des Osterevangeliums und die danach folgenden kraftvollen Osterchoräle; und selbstverständlich ist eine solch reichhaltige Liturgie kein Predigtgottesdienst. Doch ist dies fast so banal, dass man es eigentlich nicht erwähnenmüsste. Um es grundsätzlicher zu formulieren: Gottesdienst ist ein komplexes und kunstvolles In- und Miteinander von Ritus und Rede. Deren Balance wird gestört, wenn die Predigt beseitigt oder marginalisiert wird (das Ergebnis wäre Gottesdienst als bloße Zelebration) oder wenn die Predigt umgekehrt alles Singen und Beten dominieren würde (das Ergebnis wäre eine thematische Veranstaltung, die Martin Nicol nicht zu Unrecht als »Glaubensseminar mit Musik«34 bezeichnet hat). Es gehört zu den Besonderheiten und Stärken des evangelischen Gottesdienstes, dass die Predigt den Ritus unterbricht und dass diese Unterbrechung rituell vorgesehen und notwendig ist.35
Die Stärke der Predigt in der Osternacht zeigt sich nicht in einer akademischen Länge, sondern darin, dass sie die Osterbotschaft angesichts der je gegenwärtigen existentiellen, politischen und intellektuellen Anfechtbarkeit auslegt – auch diskursiv, auch als Gegengewicht zur Doxologie. In religiöser Sprache formuliert: Glaube und Hoffnung wachsen nicht durch ein Bibelzitat, sondern durch das Wagnis einer Auslegung.36
3. Praktisch-theologische Bündelung
Abschließend werden die Wahrnehmungen, Fragestellungen und Ergebnisse in Thesenform gebündelt und praktisch-theologisch weitergeführt:
(1)Theologische Dimension: Die Feier der Osternacht nimmt wie kein anderer Gottesdienst die spannungsreiche Zusammengehörigkeit von Kreuz und Auferweckung in den Blick und gestaltet dies überzeugender als die leicht als historisierend wirkende Abfolge der Stationen von Palmsonntag bis Ostern, dann Himmelfahrt und Pfingsten.
Kreuz und Auferweckung kommen zur Sprache als Bekenntnis zum eschatischen Handeln des einen Gottes, dessen Liebe stärker als der Tod ist, nicht als Abbild menschlicher Ohnmachts- und Überwindungserfahrungen. Das Gottesbekenntnis begründet alles Weitere.
(2)Rituelle Dimension: Jede Feier der Osternacht geschieht zwischen Anfechtung und Hoffnung, Zweifel und Zuversicht, Finsternis und Licht, Tod und Leben. In ihren Symbolen und Riten bildet sie gerade diese Spannung selbst ab und zwar sowohl erlebnisreich wie als Zumutung. Als Prozess- und Transitusliturgie setzt sie wie kein anderer Gottesdienst auf Veränderung und Neuschöpfung. Ihre rituelle Dimension ist dynamisch, nicht statisch oder starr.
(3)Erlebniskritische Dimension: Die Erlebnisdimension ist in der Osternacht