Vollgasfußball. Martin Rafelt

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Название Vollgasfußball
Автор произведения Martin Rafelt
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783730703076



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      Was bei dem Fokus auf Jürgen Klopp stets zu kurz kommt, ist die Bedeutung seiner beiden Mitstreiter Peter Krawietz und Željko Buvač. Jede Aussage, die man über den Trainer Klopp trifft, müsste man eigentlich als Aussage über das Trainerteam formulieren. Klopp ist weniger ein Trainer mit zwei Zuarbeitern als vielmehr das mediale Gesicht eines Triumvirats. Er formulierte selber einmal, dass die drei der Ansicht wären, „gemeinsam einen guten Bundesliga-Trainer abzugeben“. Dieser „dreiköpfige Trainer“ arbeitete schon in Mainz zusammen und ging über Dortmund auch gemeinsam nach Liverpool.

      Krawietz wird intern „das Auge“ genannt und ist für den analytischen Teil der Trainerarbeit zuständig. Er sitzt bei Spielen zuweilen auf der Tribüne und bereitet Videomaterial für die Halbzeitansprache vor, in der Klopp gerne Videoanalysen nutzt. Auch in der Gegneranalyse ist er die federführende Instanz.

      Buvač gilt als „das Gehirn“ des Trios. Er ist hauptverantwortlich bei den meisten Trainingseinheiten, konzipiert die Übungen und leitet sie häufig auch. Er spielte von 1992 bis 1995 mit Klopp zusammen bei Mainz und war dort der spielmachende Sechser – die Rolle, die wohl die meisten Toptrainer hervorbringt, so wie beispielsweise Pep Guardiola oder Carlo Ancelotti. Klopp schwärmt von seinem Wissen über Fußball, und so dürfte der zurückhaltende Bosnier vielleicht sogar der wichtigste Mann hinter den meisten taktischen Ideen des Teams sein.

      Konkrete Dinge über „Gehirn“ Buvač dringen derweil kaum an die Öffentlichkeit. Für die ist Klopp im Alleingang zuständig. Seine Aufgabe ist, all das zu verkörpern, zu transportieren und zu vermarkten, was den Fußball des Triumvirates ausmachen soll. Mit seinem Charisma, seiner Energie und geschickter Psychologie fördert er die Intensität im Trainingsalltag, nimmt sich aber auch Auszeiten. Hauptsächlich fokussiert er sich auf den Spieltag und das „Drumherum“. Von außen ist allerdings schwer zu entschlüsseln, welche Prozesse hinter den Entscheidungen des Trainerteams stehen. Das meiste von dem, was Klopp am Ende vor der Öffentlichkeit verantwortet, dürfte aber der Schluss einer zwei- bis dreiköpfigen Diskussion sein und nicht die spontane Idee einer Einzelperson. So ist dieses Buch hier auch so zu interpretieren, dass „Klopp“ eher der Code für die gemeinsame Arbeit von Klopp, Krawietz und Buvač ist.

      „Meistens arbeiten wir telepathisch zusammen.“

       Klopp über die Zusammenarbeit mit Buvač

       Konzeptfußball: Explizite Bewusstheit

      Neben Jürgen Klopp kam in den Jahren nach dem deutschen „Sommermärchen“ eine Reihe weiterer junger und taktisch ambitionierter Trainer in das Bundesliga-Oberhaus. Ralf Rangnick, Thomas Tuchel, Christian Streich und andere wurden schon bald unter dem Stempel der „Konzepttrainer“ zusammengefasst. Dieser Begriff wurde häufig kritisiert; schließlich habe auch ein Trainer der alten Riege ein Konzept. Doch das Wort beinhaltet mindestens eine Wahrheit: Die jungen Trainer legten mehr Wert darauf, ihre Ideen vom Fußball zu konzeptionalisieren. Und sie taten das zielgerichtet, strukturiert und auf eine neue Art und Weise.

      Der Fußball gilt als einfache Sportart, weil er intuitiv ist. Jeder Zuschauer erkennt ein gutes Dribbling oder einen tödlichen Pass. Aus dieser intuitiven Natur hat sich ergeben, dass die Sprache des Fußballs nicht wissenschaftlich oder handwerklich strukturiert ist, sondern ein historisch gewachsenes Sammelsurium von bildlichen Schlagwörtern. Diese sind oftmals emotional gebunden. Der „tödliche Pass“ war eine emotionalere Bezeichnung als der „Vertikalpass“ oder der „Schnittstellenpass“. Ebenso ist „Druck machen“ intuitiver als „Pressing spielen“. Es ist jedoch auch ungenauer: Wenn ich Druck machen will, kann das nicht nur bedeuten, dass ich den gegnerischen Spielaufbau intelligent störe. Es kann auch heißen, viel zu schießen oder riskant aufzurücken. Außerdem lässt sich nicht ablesen, wie genau die Umsetzung erfolgen soll. Im Pressing wird gerne zwischen Angriffs-, Mittelfeld- und Abwehrpressing unterschieden; je nach der Zone, in der man den Ball gewinnen will. In der klassischen Fußballsprache wird im Grunde nur zwischen „tief stehen“ und „Druck machen“ unterschieden, in verschiedenen emotionalen Bezeichnungen; kein Wunder also, dass es Mittelfeldpressing früher kaum gab. Passenderweise ist Mittelfeldpressing eine sehr rationale und ausgewogene Form der Balleroberung – die Form übrigens, die auch von Klopp präferiert wird.

      Die Sprache formt das Denken. Um also Spieler mit besserem Denken auszustatten, muss man eine bessere Sprache anwenden. Die weniger intuitive, aber konkretere Sprache von Klopp und Co. führt dazu, dass auch die Spieler expliziter und definierter über die Geschehnisse auf dem Feld nachdenken. So bekommen sie ein stärkeres Bewusstsein dafür, ob man sich im Spielaufbau oder im Umschaltspiel befindet, und passen ihren Rhythmus dementsprechend besser an, sprich: Wenn ich genau weiß, „jetzt ist ein Umschaltmoment“, dann werde ich auch entschlossener umschalten. Wenn ich weiß, wir spielen als Team ein „Mittelfeldpressing“, werde ich mich an diesem Pressing auch beteiligen, wenn ich nicht in direkter Ballnähe bin, denn ich weiß um meine Aufgaben innerhalb dieser Strategie; das Gleiche wird mir vielleicht nicht notwendig erscheinen, wenn nur gesagt wird, dass wir im Mittelfeld die Zweikämpfe gewinnen wollen. Wenn ich weiß, ich soll das Spiel „vertikal eröffnen“, werde ich häufiger den Blick nach vorne richten und mehr über meine Passentscheidungen reflektieren.

      Vorgaben zur Spielweise sorgen auch dafür, dass man das eigene Verhalten besser vergleichen und einordnen kann. Da damit gleichzeitig Spielziele formuliert werden, kann ich am Ende eine bessere Problemanalyse durchführen. Ich kann überprüfen, ob die taktischen Ziele erreicht wurden – und wenn nicht, habe ich klare Gründe für eine Niederlage und eine klare Vorgabe, woran ich arbeiten muss. Diffuse, intuitive Vorgaben lassen sich schwer überprüfen und schwer erarbeiten. Wann ist „schneller spielen“ schnell genug, und was muss ich konkret dafür tun? Schwer zu sagen.

       „Nachsetzen!“

      Das beste Beispiel für die Wirkung dieser verbesserten Konzeptionalisierung ist das überaus starke Gegenpressing der Dortmunder Borussia. Gegenpressing ist mittlerweile im deutschsprachigen Raum wie ein Schlagwort für guten Fußball, doch das war nicht immer so. Holzschnittartig ausgedrückt: Vor zwei, drei Jahren musste man noch regelmäßig erklären, dass es sich dabei um die Ballrückeroberung handelt; mit Betonung auf „rück“, also direkt nach Ballverlust, anders als das „normale“ Pressing gegen den gegnerischen Spielaufbau. Vor fünf Jahren musste man nicht nur diesen Unterschied erklären, sondern die Idee an sich. Und vor zehn Jahren hat kein Mensch von Gegenpressing geredet.

      Spannend daran ist, dass Gegenpressing an sich nicht neu ist. Man kann sich ein beliebiges Fußballspiel aus einer beliebigen Ära anschauen und wird mit großer Wahrscheinlichkeit einzelne Spielszenen finden, in denen eine Mannschaft den Ball verliert und ihn sofort zurückholen kann. Wenn man direkt Zugriff auf den Ball hat, geht man intuitiv gleich wieder drauf. Jupp Heynckes legte schon in den 1980er Jahren großen Wert auf diesen Aspekt bei seinen Mannschaften. Speziell im deutschen Fußball ist das „Nachsetzen!“ bis in die tiefsten Niederungen eine der am meisten eingeforderten Tugenden. Nachsetzen bezeichnet im Grunde Gegenpressing, nichts anderes. Aber nie in der Fußballgeschichte hat eine Mannschaft so gut „nachgesetzt“, wie Klopps BVB „gegengepresst“ hat.

      Schnippisch könnte man sagen, das habe einfach daran gelegen, dass die Väter der Kinder an den Ascheplätzen der Republik immer nur einzelne Spieler zum Nachsetzen auffordern und nicht die ganze Mannschaft. Der Unterschied ist nämlich vor allem dieser: Bei Klopp ist Gegenpressing eine Mannschaftsstrategie, kein spontanes, individuelles Verhalten. Wenn man einer Gruppe unterschiedlich ausgebildeter Menschen eine neue Strategie vermitteln will, hilft es gleichzeitig ganz enorm, wenn diese einen Namen hat. „Nachsetzen“ ist die Bezeichnung eines Verhaltens, nicht die Bezeichnung einer Strategie. „Gegenpressing“ hingegen klingt nach einer Idee, nach etwas Neuem, Durchdachten. Das ist fancy. Damit kann man Autos verkaufen.