Название | Die Clans der Wildnis - Amisha |
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Автор произведения | Delia Golz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783949348235 |
Zu meinem Erstaunen reicht er mir noch ein Stück Brot und ich nehme es dankbar entgegen. Ich kann spüren, wie meine Kräfte allmählich zurückkehren und ich mich das erste Mal seit der Entführung einigermaßen wohl fühle.
Ich weiß instinktiv, dass ich mich für diese Nettigkeiten nicht zu überschwänglich bedanken sollte, denn Tyron scheint sich selbst nicht wirklich sicher zu sein, warum er all dies für mich macht. Er könnte mich genauso gut tagelang hungern lassen und mir keine Pause gönnen. Also belasse ich es dabei, mich stumm in die Decke zu wickeln, während er dabei ist, ein Feuer zu entfachen.
Die Flammen lassen groteske Schatten über sein Gesicht tanzen und ich erwische mich wieder einmal dabei, wie ich ihn anstarre. »Wir werden schon übermorgen bei Morigans Festung ankommen«, sagt er plötzlich in die Stille hinein und wirft mir einen unergründlichen Blick zu. »Was wird dort mit mir passieren?«, frage ich und spüre dabei seltsamerweise kaum Furcht.
»Ich weiß es nicht«, erwidert Tyron nach kurzem Zögern.
»Vermutlich wird er dich gefangen nehmen und darauf hoffen, dass er deinen Clan auf irgendeine Art erpressen kann.«
»Was ist, wenn er herausfindet, dass ich nicht mal reinblütig bin?«
Seine Kiefermuskeln spannen sich an und er schaut mich mit einem seltsamen Blick aus seinen ungewöhnlichen Augen an. »Ich werde dafür sorgen, dass er es nicht erfährt«, sagt er schließlich.
Überrascht schaue ich ihn an. »Warum?«, ist das einzige, was ich hervorbringe.
Doch er antwortet mir nicht und blickt emotionslos in die Flammen.
Irgendwann scheint er es sich aber doch anders zu überlegen.
»Es ist noch nicht lange her, dass ich unsterblich geworden bin.
Gerade einmal drei Jahre. Leider lässt mich ein Menschenleben noch nicht kalt.«
»Das ist doch gut«, sage ich heftiger als geplant.
»Eben nicht, es bringt mich bloß in Schwierigkeiten. Außerdem habe ich auch meine Ziele, wofür ich Morigans Wohlwollen gewinnen muss.«
Ich schlucke schwer und traue mich nicht zu fragen, was für Ziele er meint.
»Schlaf jetzt endlich«, sagt er in einem brüsken Tonfall und sofort kommt es mir wieder so vor, als wäre er Welten von mir entfernt. Mit gemischten Gefühlen schließe ich die Augen und versuche, seine Anwesenheit zu ignorieren. Selbst als ich wieder dieses beklommene Gefühl verspüre, dass sich Tyrons Schatten in unserer Nähe aufhält, kneife ich trotzig die Augen zusammen. Dennoch scheint es mir nahezu unmöglich zu sein, einzuschlafen, trotz dieser lähmenden Schwere, die schon den ganzen Tag von mir Besitz ergriffen hat.
Also beschließe ich nach einer Weile, an eine schöne Erinnerung in meiner Vergangenheit zu denken. Es ist erschreckend, dass mir nichts einfällt, denn jedem Erlebnis haftet ein bitterer Beigeschmack an. Schließlich entscheide ich mich für die Reise zum Clan des großen Adlers, die ich vor Jahren mit meinen Eltern unternommen habe, auch wenn der Grund dafür alles andere als schön war. Und so schicke ich meinen Geist in die Vergangenheit und gebe mich völlig der Erinnerung hin.
Es war einer der schlimmsten Sommer in meinem Leben, denn seit Shivani zu ihrer Mission aufgebrochen ist, haben sich die Verspottungen meiner Altersgenossen noch verschlimmert. Im Gegensatz zu Shivani konnten meine Eltern jedoch wenig dagegen ausrichten, da sie im Grunde die Quelle des Übels waren. Die meiste Zeit verbrachte ich bloß eingebunkert in meinem Zimmer und wollte nichts und niemanden sehen. Irgendwann waren meine Eltern so verzweifelt, dass sie sich an die Anführerin richteten und sie anflehten, etwas zu unternehmen. Sie grübelte lange über dieses Problem nach und entschied, dass es das Beste wäre, wenn wir eine Zeitlang Abstand von diesen Feindseligkeiten bekommen würden.
In der Zwischenzeit würde sie im Clan neue Regeln aufstellen, um den Frieden in den eigenen Reihen wiederherzustellen. Erst als wir das Hauptlager hinter uns gelassen hatten, merkte ich, wie mir
eine große Last von den Schultern fiel. Mit jedem Tag wurde ich fröhlicher und als wir endlich die Grenze zum Hochgebirge passierten, wurde ich von ungebändigter Freude durchströmt. Auch meine Eltern waren in deutlich besserer Stimmung, obwohl meine Mutter ihren Clan über alles liebte.
Alles kam mir so riesig vor. Die Berge, die Seen und vor allem die großen Adler fand ich so faszinierend, dass ich stundenlang nur gestaunt habe.
Als wir die Höhle des Hauptlagers erreichten, wurden wir sofort herzlich empfangen, obwohl die Mitglieder vom Clan des großen Adlers als sehr verschlossen galten. Doch ich fühlte mich sofort wohl und fand nach kurzer Zeit sogar Freunde.
Am liebsten wäre ich für immer dortgeblieben, aber ich wusste, dass irgendwann der Tag der Rückkehr kommen würde. Aber eines Nachts passierte etwas Seltsames. Eine Gruppe von Kriegern kam aus einem der Nebenlager und irgendetwas war vorgefallen, von dem ich und meine Familie nichts erfahren durften. Bald schon sagte uns der Anführer mit Bedauern, dass es wohl Zeit wäre, zu unserem eigenen Clan zurückzukehren.
Die letzte Nacht verbrachte ich damit, traurig durch die endlosen Gänge zu wandern und mir dabei vorzustellen, wie es wäre, in diesen Höhlen zu leben.
Plötzlich hörte ich ein ersticktes Schluchzen und wusste nicht, ob ich nicht lieber umkehren sollte. Nach einiger Zeit entdeckte ich einen Mann, fast noch im Alter eines Jungen, der seinen Kopf gegen die steinerne Wand gelehnt hatte und am ganzen Körper zitterte.
Ich konnte sein Gesicht nicht gut erkennen, da der Gang nur sehr schwach beleuchtet war, und wagte es nicht, näher zu gehen.
»Alles in Ordnung?«, traute ich mich schließlich zögerlich
zu fragen. Der junge Mann blickte erschrocken auf und wischte sich hektisch die Tränen aus dem Gesicht. Er wirkte gehetzt und noch etwas anderes kam mir an ihm seltsam vor.
Dieser Blick, diese Augen…
Ich setze mich sofort kerzengerade auf und brauche lange Zeit, um meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Er war es! Ich bin mir völlig sicher, dass es Tyron gewesen ist.
Ich blicke verwirrt zu ihm und er schaut mit einem seltsamen Ausdruck zurück. »Du hast dich also erinnert.« Es ist eine Fest-stellung und ich frage mich, wie er es erahnen konnte. »Du warst das in der Höhle«, presse ich hervor und merke, wie sich ein Frösteln in meinem Körper ausbreitet. Wieso kam er mir bis jetzt nicht bekannt vor? »Was ist damals passiert?«, frage ich.
Tyron blickt mich mit einem fast traurigen Gesichtsausdruck an. »Hast du keine Gerüchte gehört?«
Ich überlege fieberhaft und versuche mich an irgendetwas zu erinnern. Plötzlich kommt mir ein Gespräch meiner Eltern in den Sinn, welches ich eigentlich nicht mithören sollte.
»Angeblich hat ein Mann einen Clankameraden umgebracht. Aber ist das wirklich wahr?«
Tyron schließt für einen Moment die Augen und atmet schwer, fast so, als hätte er einen langen Sprint hinter sich. Es scheint ihn größte Anstrengung zu kosten, mir zu antworten.
»Ja und nein. Es klingt wie Mord, aber das war es nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Es war ein schrecklicher Unfall, aber die Leute glauben, was sie glauben wollen.«
»Du warst das«, sage ich leise und muss die Tränen zurückhalten.