Название | Die Königsfälschung |
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Автор произведения | Max Melbo |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711449295 |
Am überraschendsten wird die »Germanisierung« beim Offizial-Bruder Philippe d’Orléans vorgenommen. Dessen Gesicht stimmt schon als Kind mit dem späteren sarazenisch-persischen Flair des erwachsenen Mannes überein. Als Junge darf er oft seine original-schwarzen Haare zeigen. Doch um zu verhindern, dass Hofklatsch sich zum Steppenbrand einer Beschaffungs-Fama ausbreitet, wurde dem in Mädchenkleidern kostümierten Körper des »dauphin substitut« Philippe d’Orléans plötzlich in seinem vierten bis sechsten Lebensjahr mehrmals ein völlig anderer Kopf – ein anderer als der, den er bisher gezeigt hatte – aufgepfropft.
Unüblich ist auch die sich immerzu wiederholende malerische Ausstellung der Mutter-Söhne-Beziehung, in der sich Anna von Österreich mit ihren Offizial-Prinzen Louis XIV und Philippe d’Orléans zeigen musste.
Die Eltern-Kind-Beziehung war kein Permanenz-Thema in der höfischen Malerei. – Die europäisch bekannte Familiendarstellung um den preußischen König Friedrich Wilhelm I. ist ein Ausdruck der Verbürgerlichung des Adels: Kind als materieller und später als psychischer Besitz, mit dem sich gebrüstet wurde, wie es bürgerliche Familien auf zahlreichen Abbildungen schon ab dem ausgehenden Mittelalter zeigten. – Die Kinder von Königen vor dem 18. Jahrhundert wurden prinzipiell nicht in Begleitung ihrer Eltern gemalt oder allenfalls als »Beiwerk« auf Porträts der Erwachsenen mitgeliefert. Es gibt in der Generation vor Anna d’Austria nur vereinzelt königliche Eltern-Kind-Gemälde wie das von Henri IV, seiner zweiten Frau Maria Media und ihren vier ältesten Kindern (s. S. 314). Aber generell war auch für Annas Schwiegermutter, Maria Medici, Mutterschaft kein profiliertes Thema in der Selbst-Apotheose, die sie von Rubens über ihr Leben im Palais du Luxembourg malen ließ.
Im Gegensatz dazu existieren noch heute in Europa bis zu 20 bildliche Demonstrationen der Königin Anne d’Autriche Seit’ an Seit’ mit Louis XIV oder mit Louis und Philippe d’Orléans.
Als ob das Misstrauen des Landes sich erst nach Ludwigs Präsentation zusammengebraut hätte, werden die Gesichter von Anna und Ludwig auf einigen der Gemälde ähnlichkeitshalber geradezu eineiig verzwillingt! (Abb. 11)
Glich man das Gesicht des älter werdenden Louis-Kindes dem Gesicht seiner Offizial-Mutter immer mehr an, so arbeitete die ölmalerische Mimikry in der »Vater-Sohn«-Beziehung genau umgekehrt.
Aus den »Massen« von optischen »Ungereimtheiten« bei Louis XIV im Bilde ragt eine »Vater«-bezügliche Auffälligkeit heraus: Ab etwa 1635, dem Zeitpunkt des Starts der Aktion »Kronprinz« mit dem religiös-astrologischen Training der französischen Öffentlichkeit für das Erscheinen des Dauphins, verändert sich das Gesicht des Offizial-Vaters in spe, Ludwigs des Dreizehnten, in Richtung mediterraner Kontur! Louis XIII wird in seinen letzten vier bis fünf Lebensjahren nach der Beschaffung seines Offizial-Sohnes Louis XIV schließlich so gemalt, dass er ähnlichkeitshalber durchaus der Vater des Dieudonnés hätte sein können, vor allem seine ursprünglich runden braunen Augen schwärzen sich ein und verschmälern sich, bis sie den zukünftigen Fast-Schlitzaugen Ludwigs XIV. angepasst sind!
Louis le Dérangé
Louis XIV wurde ab 1667 zu »Ludwig dem Verrückten«, da er nach dem Tod seiner Offizial-Mutter, Anna von Österreich, 1666, zu einem – Zehntausende metzelnden – Mörder explodierte, der ab nun Europa mit Kriegen überzog und sein eigenes Land mit militärischen Aktionen peinigte, dabei unzählige Menschen foltern und töten ließ. Seine staatspolitischen Destruktionen dauerten bis 1714, bis ein Jahr vor seinem Tod 1715.
Louis XIV gibt während seiner letzten Lebensmomente seine fast 50 Jahre in ihm wütende Kriegsmanie sogar zu. Auf dem Sterbebett gesteht er seinem Nachfolger, seinem fünfjährigen Urenkel, Louis XV, er habe zu viele Kriege geführt, Ludwig 15 möge es besser machen!
Der Tod von Königin Anna markiert für Louis XIV eine der schärfsten Zäsuren innerhalb von Herrscherbiografien, die in der Geschichte untersucht werden können. Vorher führte Louis XIV ein unauffälliges Männerleben an der Spitze seines Landes. Er war Bühnenkünstler, Tänzer, Schauspieler, Regisseur, Musiker, Liebhaber von Frauen, Intimus des fünf Jahre älteren schwulen, aus Italien stammenden französisierten Komponisten Jean Baptiste Lully, geboren als Giovanni Battista Lulli! (Abb. 12)
Louis XIV war auch gelehriger politischer Schüler seines Paten, Kardinal Mazarin, der ihn ab Ludwigs 16. Lebensjahr täglich mindestens vier Stunden lang im Regieren unterwies, ja an den politischen Entscheidungen beteiligte. Vor Mazarins Tod war Louis nicht interessiert, über den De-facto-Regenten hinwegzuregieren, was er von seiner Stellung her gekonnt hätte, da er bereits am 7. September 1651, zwei Tage nach seinem 13. Geburtstag, für volljährig erklärt worden war.
Nach Mazarins Tod am 9. März 1661 war Louis XIV – inzwischen 22 – als Schüler des ehemaligen Staatsführers ein autokratischer, aber noch kein auffällig destruktiver Herrscher.
Da er ein solcher, ein Diktator, erst sechs Jahre später, nach dem Tod von Königin Anna wurde, muss angenommen werden, dass die streng religiös eingestellte ehemalige spanische Habsburgprinzessin sich vor ihrem Tode von der Königsfälschung geständnishalber reinigen wollte. Sie hatte in ihrer zentralen Position als Königin von Frankreich an einem genealogischen Betrug mitgewirkt, denn von »Gottes Gnaden« wären 1643 nach dem Tod ihres Mannes Louis XIII dessen Bruder Gaston d’Orléans oder höchstadlige Franzosen kronberechtigt gewesen.
Die seit 1664 an einem Krebs ihrer linken Brust erkrankte Anne d’Autriche führte kurz vor ihrem Tod am 20. Januar 1666 letzte Einzelgespräche unter vier Augen mit beiden ihrer Offizial-Söhne. Louis XIV war während seines privaten Beisammenseins mit Königin Anna ohnmächtig geworden, hatte sich später geweigert, das Sterben Annas zu begleiten, und seinem Offizial-Bruder Philippe verboten, bis zum Tod am Bett von Anna zu verweilen. Ludwig war 27, als er zusammenbrach.
Die Menschen des 21. Jahrhunderts mit einer bürgerlich-kapitalistischen Psyche können sich den Schock nicht mehr vorstellen, den die Nachricht bei einem jungen König des 17. Jahrhunderts ausgelöst hat, er ist null legitimiert, in Wahrheit ein beschafftes Kind!
Louis XIV hatte während seiner höfischen Erziehung ein royal-feudalistisches Ich ausgebildet bekommen.
Ein König im Feudalismus besaß zwei Leben, ein ewiges und ein sterbliches. Das ewige wurde ihm als Königs-Abgestammtem und Königs-Fortsetzendem zuteil. Er gab es an seinen Sohn oder seinen rechtmäßigen verwandten Erben weiter. In Frankreich herrschte die Ideologie: Der König stirbt nie. Der physische Tod des leibhaftig regierenden Königs kann der Regentschaft des ganzen Königtums nichts anhaben. Mit einer Art Automatismus begann der Kronprinz sofort als König zu leben, wenn sein königlicher Vater gestorben war.
Nicht abzustammen, nicht Sohn des (ehemals) regierenden Königs zu sein, ja, auch keinen einzigen königlichen Vorfahren mütterlicherseits zu haben hieß für Louis XIV, als König tot zu sein. Er musste von Stund an seine Herrscher-Berechtigung mit den tolldreistesten, törichtsten und brutalsten Legitimationsverrenkungen unter Beweis stellen. Von der »Allongeperücke« bis zum »Absolutismus« war Louis XIV kein Mittel zu blöd und zu blutig.
Louis l’Explosé
Frankreich und Europa werden 47 Jahre lang militärisch in Atem gehalten, um weder Zeit noch Kraft zu bekommen, Ludwig dem Vierzehnten Abstammungsfragen zu stellen:
1667/68 sogenannter Devolutionskrieg gegen Spanien, geführt im spanisch besetzten Flandern und Burgund. Louis XIV behauptete zu Anfang seiner Militäraktionen, er habe ein Recht, die Fürstenthrone in den überfallenen Gebieten zu besetzen.
1670 Einfall in Lothringen, Vertreibung des dort rechtmäßig regierenden Herzogs. Fast 30 Jahre erzwungene französische Fremdherrschaft über Lothringen (bis 1697).
1672–1678 Französisch-niederländischer Krieg. Zehn Jahre zuvor, 1662, hatte der noch nicht verrückte Ludwig der Vierzehnte eine Defensiv-Allianz mit den Niederlanden geschlossen. Anlass zum Einmarsch 1672 war nichts anderes als Ärger Ludwigs über das prosperierend-vive, protestantisch selbstbewusste