Die Königsfälschung. Max Melbo

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Название Die Königsfälschung
Автор произведения Max Melbo
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711449295



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      Und zwei berühmte Astrologen, Jean-Baptiste Morin und Hugo Grotius, bestätigten den Glanz des von Campanella errechneten Lebensausgangspunktes dieses Teufel-aus-dem-Sack-hervorgezauberten Hofbabys.

      Milchzahn und Schwarzauge

      Es gibt zwei medizinische Merkmale des politischen Väterpräsents »Louis XIV«, die seine Beschaffung indizieren:

      1. Louis XIV hatte bei seiner Dauphin-»Geburt« schon zwei Milchzähne!

      Milchzähne wachsen einem Säugling frühestens zwischen dem dritten und dem vierten Monat nach seiner Geburt. Kinder, die mit Zähnen geboren werden, kommen so selten vor, dass darüber keine Statistiken existieren!

      Vor Installierung der modernen Medizin kam es aber nicht selten vor, dass Babys an der Prozedur des »Zahnens« starben.

      Die beiden Gegebenheiten – die physiogenetische und die medizinhistorische – entblößen, dass Louis XIV bei seiner ersten öffentlichen Präsentation schon mehrere Monate alt war und dass er aus einem »Fundus« von Knaben, die bis zur ersten Zahnung beobachtet worden waren, ausgewählt wurde. Die Kronprinzen-Macher wollten sichergehen, dass der Säugling, der die spätere Königsrolle spielen sollte, das im 17. Jahrhundert noch gefährliche Stadium des ersten Zahnens unbeschadet überstanden hatte.

      Um das bedeutungsgeschwängerte Baby mit besonders vielen Immunstoffen zu versorgen, die in der Milch einer Mutter entsprechend deren durchlaufener gesundheitlicher Widerstandsgeschichte enthalten sind, wurde Louis XIV von mehreren Ammen genährt.

      Aber der schon früh vorgenommene häufige Wechsel der über acht Louis-XIV-Ammen hatte auch negative Gründe. Ludwig 14 biss mit seinen munter weitersprießenden Zähnen die Brüste der Ammen wund, die bei entzündeter Brust pausieren sollten oder ausgewechselt werden mussten. – Bauernkinder wurden geschlagen, kopfbehämmert, geschüttelt und gestaucht, wenn sie begannen, brustzubeißen. Solche Traktierungen durfte die Ludwig’sche Versorgungstruppe ihrer kostbaren Frucht nicht antun.

      Es hatte sich 1638 im Lande sofort die Nachricht verbreitet, der Kronprinz ist ein außerordentlich großes Baby und »gesegnet« mit einem unersättlichen Appetit, der Scharen von Ammen verschleißt.

      2. Eines der ersten Porträts des Säuglings Louis XIV mit seiner ersten Amme zeigt ihn mit pechschwarzen Augen, die auch von allen späteren Porträts des erwachsenen Königs in die Welt schauen. Das Ammen-Louis-Doppel-Bild ist ein paar Tage nach Ludwigs erstem Hof-Erscheinen am 5. September 1638 angefertigt worden (Abb. 1).

      Ein frischgeborenes Baby hätte wie alle hellhäutigen Babys blau wirkende, das heißt hell-farblos leuchtende Augen haben müssen, weil der Farbstoff Melanin, der im Verlaufe des ersten Jahres die echte Farbe der Iris produziert, bei Neugeborenen noch kaum vorhanden ist.

      Die schwarzen Augen auf Louis’ Baby-Porträt – dem Louis-Ammen-Doppel – sind nach Milchzähnen und Nottaufe der dritte Hinweis darauf, dass Ludwig der Vierzehnte seine königliche Laufbahn nicht bei null, sondern nach dem dritten oder vierten Monat seines Daseins auf der Erde begonnen hat – zu einem Zeitpunkt, als das Melanin schon die später fixierte schwarze Augenfarbe bestimmen konnte.

      Aber noch entlarvender für die Prinzen-»Geber«, die zur Vertuschung ihrer Aktion nicht an Dinge denken konnten, von denen sie noch keine Kenntnisse hatten: Die Augenfarbe eines jeden Menschen ist genetisch festgelegt, sie ergibt sich aus den Angeboten der Augenfarben seiner Großeltern.

      Von Louis’ vier Offizial-Großeltern Henri IV, Maria Medici, Philipp III. von Spanien und Margareta von Österreich hatte keine Person schwarze Augen. Die Augen der Vier changieren auf den Gemälden zwischen grau-grünblau und braun – ein Umstand, der zusammen mit dem frühen Schwarz der Augen des Louis-XIV-Kleinkindes heute den Zeitgenossen leicht die Beschaffung dieses Neugeborenen plausibel macht, was den Menschen des 17. Jahrhunderts zu erkennen noch nicht möglich war (Abb. 2, 3, 26, S. 183).

      Mit dem Augenfarbentest, der bei Louis XIV Bourbon-Habsburg-Medicinegativ ausfällt, wird auch gleich Ludwigs jüngerer Offizial-Bruder Philippe d’Orléans, der zwei Jahre später nach gleichen Prinzipien wie Ludwig 14 beschafft wurde, aus der königlichen Abstammung gekippt. – Die Organisation des Ersatz-Kronprinzen Philippe lief unspektakulär ohne religiös-astrologisches Begleit-Tamtam, weil das französische Volk nach Erscheinen Ludwigs des Vierzehnten an die Fruchtbarkeit von Anna Ö. und Ludwig 13 »von vornherein« nun glaubte. Aber Philippe d’Orléans’ Augen waren ebenfalls von mediterranem Tiefstschwarz (Abb. 9, 10).

      Parental Cloning

      Zwischen dem Gesicht des Knaben und Jünglings Louis XIV einerseits und dem Gesicht des erwachsenen, ab etwa 17- bis 18-jährigen Königs andererseits gibt es keine physiognomisch-strukturellen Verbindungen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sämtliche Gemälde aus der Ludwig’schen Knaben- und Jünglingszeit retuschiert worden sind. Vor allem wurde das später im Erwachsenen-Stadium eindeutig mediterrane Gesicht Ludwigs des Vierzehnten in dessen Kindheit regelmäßig auf die germanisch konturierte Offizial-Mutter Anna von Österreich »nordisch« abgestimmt, was mit dem zweiten, 1640 beschafften Kind, Philippe d’Orléans, selten gemacht wurde, da Louis’ jüngerer Offizial-Bruder – in Wirklichkeit auch mit Louis XIV nicht verwandt – nicht so im »Rampenlicht« des öffentlichen Interesses stand wie der »Retorten«-Dauphin (Abb. 8, 9, 5, 6, 4, 22).

      Erst ab dem nachpubertären Louis wird unzweifelhaft deutlich, dass dieser behauptete Königssohn nicht physisch von diesen vorgegebenen Königseltern hervorgebracht worden sein kann. Louis XIV zeigt plötzlich ungeniert als junger Mann bis in sein hohes Alter immer sein Mittelmeer-originales, »wahres« Gesicht: zyprisch-sizilianisch braune Haut, griechisch-ägyptisch hervorspringende, gebogene, lange Nase ohne Einkerbung zwischen Stirn und beginnendem Nasenrücken! (Abb. 7, S. 184) Vor allem fehlt Ludwig die sich bis in die fünfte Generation vor ihm ab Karl V. und Ferdinand I. vererbte Habsburg-Maultasch-Unterlippe, die auch seine Offizial-Mutter und -Tante zierte.

      Die Retuschen und »Nordifizierungen«, die mit dem Gesicht des kleinen Louis XIV ölmalerisch vorgenommen wurden, gehen weit über die biologisch-natürlichen Veränderungen hinaus, durch die sich das Gesicht eines männlichen Heranwachsenden entwickeln kann.

      Babys, Kleinkinder und noch Jungs haben im Prinzip rundere Gesichter als Jünglinge und erwachsene Männer – um den sogenannten »Kindchen-Reflex« auszulösen, der die betreuenden Erwachsenen provozieren soll, sich dem Schutzbefohlenen permanent zuzuwenden. Das Gesichtsrund der jungen Exemplare weicht beim Heranwachsen allmählich dem gewohnten, mehr länglichen Schädelbau. – Zur Motivierung des »Kindchen-Reflexes« gestaltet die Natur auch bei allen dem Menschen nahest verwandten Arten die frisch Geborenen gesichtsrund und lässt sie dadurch typisch »süß« wirken.

      Ein ebenfalls natürlicher Prozess der Veränderung findet bei manchen in der Kindheit blonden Menschen mit der Haardunklung statt: Aus Silbrig und Goldblond werden im Laufe der Zeit beim Erreichen der Grenze zum zweiten Jahrzehnt Mittel- oder Dunkelblond.

      Auf den Bildern von Louis XIV handelt es sich jedoch nicht um Darstellungen natürlicher Veränderungsprozesse, sondern um Austauschungen eines ganzen Typs. Das nicht mehr retuschierte Gesicht des erwachsenen Louis XIV hätte ein anderes kleines und groß werdendes Kindergesicht zum Vorläufer haben müssen, und zwar immer. Griechisch-spanisch-süditalienisch-südfranzösisch dunkle Erwachsenengesichter mutieren nicht so »dramatisch« aus mitteleuropäisch-slawisch-britisch-irisch-skandinavisch hellen Konturen, wie die Gemälde es bei Louis XIV suggerieren.

      Louis’ eigene – zu seinem Südtyp passende – schwarze Haare werden dem Kleinkind unter Kappen versteckt oder gold gemalt. Dann – ab dem Alter von zwei/drei – wird Louis’ Haar in der gesamten Knabenzeit mittelblond gefärbt, partienweise hellblond getönt und stocklockengekringelt.

      Eine Blonddunkelung – wenn es sich denn bei Louis XIV um einen mittelbis nordeuropäischen Typ gehandelt hätte – wäre eher abgeschlossen gewesen. Die Bildchronologie der Ludwig’schen Haarfarbe läuft außerdem der Natur entgegen.