Die Königsfälschung. Max Melbo

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Название Die Königsfälschung
Автор произведения Max Melbo
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711449295



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zu locken. Die Gefahr eines damaligen Weltkrieges, der Ausweitung des schon laufenden »Dreißigjährigen Krieges«, wird gebannt, der Mantuanische Erbfolgestreit am 26. Oktober 1630 vorläufig beigelegt.

      Der erfolgreiche Unterhändler Mazzarino, weder ein päpstlicher Nuntius noch als ursprünglicher Konfliktschlichter vorgesehen – er war lediglich ein Ersatz für den erkrankten Nuntius in Mailand, Gian Francesco Sacchetti –, hätte nun lorbeerbekränzt »nach Hause fahren« können. Er hatte sein Meisterstück aus der erst 1628 eingenommenen offiziellen Position nur des Sekretärs des Mailänder Nuntius heraus vollbracht.

      Das Gegenteil von »Nach-Hause-Fahren« tritt ein – eine Involvierung Mazzarinos in das französische regierungspolitische Leben, die weit über sein Wirken für den Mantuanischen Erbfolgestreit hinausgeht. – Diese Seltsamkeit wird ersichtlich aus Mazzarinos wiederholten Begegnungen mit dem französischen Königspaar Louis XIII und Anne d’Autriche. Für die Treffen 1630/31/32 gibt es keine andere Erklärung als die Besprechung der Kardinalsbabyschaft, die das Königspaar zutiefst und hautnah selbst anging.

      Ludwig 13 war politisch unbegabt und uninteressiert. Er »aß« alles, was sein Regierungschef, Kardinal Richelieu, ihm »vorkaute«. Ausgeschlossen, dass er sich für ein – die französischen Interessen verhältnismäßig peripher betreffendes – Problem wie den Mantuanischen Erbfolgestreit aus eigenen Motiven so sehr interessiert hätte, dass er einen italienischen Nuntius-Sekretär, zweimal persönlich hätte sprechen wollen. – Ludwig 13 konnte nicht Europa-verflochten auf die Bedingungen seines Landes hin denken – einer der Gründe, die ihn zwangen, immer und immer wieder seinen Regierungs»dreck«macher, den in Frankreich verhassten Richelieu, das politische Genie, im Amt zu halten.

      Und für die innerhalb von anderthalb Jahren sich wiederholenden Treffen zwischen Mazzarino und der Königin Anna d’Austria versagt jede politisch aktuelle Kalkulation. Richelieu hat die gegen ihn renitente und vielmals konspirierende spanisch gebürtige Königin strikt aus allen politischen Aktivitäten herausgehalten, höfisch isoliert und nach jedem gescheiterten oder verhinderten Komplott für eine Weile »hausarrestieren« und reiseplanmäßig extrem observieren lassen. Nun aber das überraschende plötzliche Gegenteil in Richelieus Strategie gegenüber der Königin: Jetzt muss Anna Ö. zu ihrer ersten Begegnung mit Mazzarino im Januar 1631 sogar anreisen – zweieinhalb Monate nach Abschluss der Mantuanischen Erb-Verhandlungen!

      Nach diesem Vertragsabschluss beginnt eine Beziehung zwischen den französischen Staatsrepräsentanten und Mazzarino, die umso erstaunlicher ist, als sie zwischen positionell Obersten und einem positionell Untersten läuft.

      Schon 1631 fordert Richelieu Mazzarino bei Papst Urban VIII. als Nuntius an, als offiziellen Botschafter des Heiligen Stuhls am französischen Hof. Dem Antrag wird nicht entsprochen. Dennoch reist Mazzarino zwischen April und Juli 1632 nach Frankreich. Ohne eine diplomatische Position wird er von König und Königin empfangen, vom König zum dritten Mal, von der Königin zum zweiten Mal.

      Am 18. November 1632 bekommt Mazzarino den knautschigen Ehrentitel »protonotaire apostolique«, was so etwas bedeutet wie päpstlicher »Honorarkonsul«, ein päpstlicher Untergesandter mit eingeschränkten Vollmachten.

      Eiertänzerisch geht es mit Mazzarinos Priesterschaft zu. Nach seiner Rückkehr von den Mantuanischen Verhandlungen nach Rom ab Herbst 1630 verlangt Urban VIII. von ihm, er solle Priester werden. Ein ultimatives Datum wird ihm gesetzt, der 11. Januar 1631. Mazzarino lehnt ab, reist jedoch Mitte Januar 1631 wieder nach Frankreich.

      Anderthalb Jahre später, am 18. Juni 1632, erhält Mazzarino in Sainte-Menehould, unweit von Verdun (!), die »Tonsur«, den religiös motivierten Kreisrundhaarausschnitt auf dem Hinterkopf, den danach ein Käppchen bedecken muss. – Doch im Oktober 1632 wird er Domherr von San Giovanni di Laterano in Rom.

      Das eine Ereignis geschieht in Frankreich, das andere in Italien. Beide werfen ein Licht auf Mazzarinos subdiplomatische Tätigkeit als Italien-Frankreich-Pendler, der weder ein eindeutig positionsfixierter, römischer Kurienbeamter ist – »Domherr« war nur eine Geldquelle – noch französisiert wurde.

      Im Februar 1633 wird Mazzarino »auditeur à la légation d’Avignon«, ein Berichterstatter, ein Beobachter in der südfranzösischen Stadt Avignon, die im 14. Jahrhundert Papstsitz war und auch in den Jahrhunderten danach immer noch gut klerusbestückt wurde – von Rom im benachbarten Land gehalten wie ein »Heiliger Schemel« für Notfälle.

      Im März 1633 »nimmt« Mazzarino die »Soutane« – er kleidet sich nun in die Gewänder der Führer der katholischen Kirche, ohne je Priester geworden zu sein, was heißt, er demonstriert die Mitgliedschaft im Kader des Kirchenapparates nur, und auch das tut er in Frankreich, nicht in Italien!

      Im Jahr 1633 ernennt Urban VIII. Mazzarino zum »Referendar«. Mazzarino ist Jurist und hat 1622 in Rom zum Doktor juris promoviert. – Normalerweise werden Jurastudenten bald nach ihrem Studium »Referendar« und als solcher von amtierenden Juristen ernannt. Doch Päpste machen, was sie wollen. »Referendar« heißt auch »Referent«. Mazzarino referiert seinem Dienstherrn tatsächlich unentwegt über alles, was dieser wünscht, was zwischen beiden vereinbart wurde. So ist »Referendar« wieder nur ein demonstrativer Titel, der nichts Näheres über die Tätigkeit besagt, mit der Mazzarino geheimdiplomatisch zwischen Rom und Paris auf Reisen ist.

      Am 24. Juli 1634 wird Mazzarino in Avignon, dem Ort permanenter päpstlicher Dependance, »pro-légat« = »Legationsrat«. Papst Urban schickt ihn noch im selben Jahr nach Paris als »nonce extraordinaire«. »Extraordinaire« ist nicht, wie sich der Wortsinn umgangssprachlich verschoben hat, »außergewöhnlich«, sondern »halbamtlich«, »außer«- = »nicht«-ordentlich, somit ist Mazzarino aufs Neue nur ein ehrenhalber Botschafter des Papstes in Paris.

      Und trotzdem spricht die Chronik von »entrée solennelle de Mazarin à Paris« (26. 11. 1634) (99, S. XIV). – »Glänzend, fürstlich, feierlich« wird Mazzarino als ein nichtoffizieller Botschafter des Papstes empfangen? Solch ein Empfang wird nicht einmal den regulären Botschaftern am französischen Hof zuteil, allerhöchstens obersten Herrschern, wenn die Gastgeber ihnen eine Sonderbewillkommnung demonstrieren wollen.

      Mazzarino bleibt von 1634 bis 1636 eineinhalb Jahre in Paris. Am 7. Mai 1635 findet ein erneutes Treffen zwischen ihm und der Königin Anna statt.

      Mazzarino verflicht sich in seinen fast zwei Jahren in Paris mit der rechten Politszene, bindet sich eng an den Kardinal Louis Nogaret de La Valette, einen Vertrauensmann Richelieus – jüngster Sohn des Herzogs von Epernon, einem der Drahtzieher des Attentats auf Henri IV 1610!

      Alle weiteren Treffen zwischen Richelieu und Mazzarino nach den ersten vier im Jahre 1630 in Norditalien werden in der Chronik nicht mehr aufgeführt, da sie zum Alltag der beiden Kurien- und Staatspolitiker gehören.

      Doch etwas scheinbar Nebensächliches wird der Mitteilung für wert befunden: Mazzarino steht mit dem französischen König Ludwig 13 inzwischen so auf »Du und Du«, dass sich im September 1635 die seit fünf Jahren von Richelieu ausrangierte, exilierte Königin Mutter, Maria Medici, an ihren Landsmann Mazzarino heranmacht, um über den neuen Intimus ihres Sohnes eine abermalige Versöhnung mit Ludwig 13 zu erreichen und ein Comeback nach Frankreich zu versuchen. – Mazzarino kann es sich leisten, abzuwinken und die Ex-Königin abblitzen zu lassen. Er ist »durchlöchert« mit politischen Verpflichtungen und Koordinationen, befindet sich aber immer noch in einer geisthaften Nicht-Positioniertheit.

      Von April bis November 1636 ist Mazzarino wieder in Avignon. Ende 1636 Rückkehr nach Rom.

      Richelieu intensiviert formal-diplomatisch seine Anstrengungen bei Urban VIII., dieser möge Mazzarino als »nonce ordinaire« an den französischen Hof entsenden. Von 1637 bis 1638 bemüht sich Richelieu demonstrativ, Mazzarino mit einem Rechtstitel zurück an den französischen Hof zu holen. Ohne diplomatischen Erfolg – so scheint es.

      Eine Anstrengung scheinbar »rein« privater Natur unternimmt Richelieu jedoch erfolgreich: Als das Kardinalsbaby Louis XIV am 5. September 1638 der Weltöffentlichkeit übergeben wird, »bittet« Richelieu seinen Coproduzenten Mazzarino, die