Die Königsfälschung. Max Melbo

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Название Die Königsfälschung
Автор произведения Max Melbo
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711449295



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und wissenschaftlichen Standardwerke zum Thema repetieren es.

      Über die »Empfängnisnacht« gibt es keine schriftlichen Primärquellen eines Zeitzeugen. In zwei Memoiren von Sekundär- und Tertiär-Zeugen, einer Hofdame (151) und einem Geschehens-entfernten Aristokraten (146), wird die »Empfängnisnacht« der Öffentlichkeit schriftlich vorgestellt – erstmals veröffentlicht fast ein Jahrhundert später! Darauf bezieht sich 120 Jahre nach dem fantasierten Ereignis ein Geschichtsschreiber, der sie in seiner dreibändigen Histoire du règne de Louis XIII 1758 zur bis heute kolportierten Story ausbaut (98, III, S. 101).

      Die Bildung der Legende von der »Empfängnis des Louis Dieudonné« funktionierte wie das Mysteriumskonglomerat der Erfindungen um Jesus Christus. Er ist schriftlich = evangelisch von Männern überliefert worden, die ihn alle persönlich nicht mehr gekannt haben. Die Suggestion mit Hilfe der Zeit-prolongierenden Mystifizierung ist unwiderstehlich. Die Nichtfaktizität von »unbefleckter Empfängnis«, »Jungfrauengeburt«, »Auferstehung« und »Himmelfahrt« hat einen solchen Sog, dass im Bewusstsein der Menschen ein Loch gerissen wird, in das sich der Glaube füllen kann.

      Dass die schriftliche Fixierung der Legende von der »Empfängnis des Louis XIV« erst Jahrzehnte nach seiner Geburt unternommen wurde, entblößt das anhaltende metareligiöse Verfahren der »Königsfälschung«, die nicht nur einmal geschah, sondern an der bis heute weitergewirkt wird:

      Nach einem gemeinsam verbrachten Aufenthalt im Schloss Saint-Germain-en-Laye im Verlaufe des Novembers 1637 war die Königin Anfang Dezember 1637 wieder in Paris und befand sich im Schloss Louvre, der König war noch bei seiner beliebtesten Beschäftigung anzutreffen, dem Sitzen zu Pferde, reitend in Richtung eines seiner Schlösser, außer Paris gelegen. Da verhindert widriges Wetter sein Weiterkommen! Er muss außerplanmäßig zurück in den Louvre, findet dort seine Gemächer leer und kalt, denn seine »Belegschaft« erwartet ihn an seinem nächsten Reiseziel. Kein warmes Bett für den König in den 400 Zimmern des Stadtschlosses, nur ein gemachtes Bett bei der Königin, so dass der König in diesem schlafen muss, wobei »es« zur Zeugung von Louis XIV gekommen sein soll – in dieser einen Nacht!

      Es überrascht, dass solch ein Kopulations-Fertilisations-Quark noch im Zeitalter der »sexuellen Revolution« breitgetreten wird:

      1 Die Fruchtbarkeit einer Frau sinkt ab 25, stand 1637 bei einer Frau wie der 36-jährigen Königin Anna vor ihrem Endpunkt.

      2 Um zu einer voraussagbar sicheren Befruchtung zu gelangen, muss das Paar viele Geschlechtsakte regelmäßig absolvieren.

      3 Um ein männliches Individuum entstehen zu lassen, muss sich die Samenzelle eines Mannes, die ein Y-Chromosom enthält, mit einer Eizelle der Frau vereinigen. Die Samenzellen enthalten entweder ein X-oder ein Y-Chromosom. Welchem »Träger« von einem der beiden Chromosomen die Befruchtung gelingt – was über das Geschlecht der neuen Zygote entscheidet –, war im 17. Jahrhundert noch nicht der Manipulation unterworfen.

      4 Die Befruchtung geschieht innerhalb von ungefähr zwölf Stunden des periodischen Höhepunktes eines weiblichen Zyklus, in denen sich das Ei im Eileiter samenempfänglich benimmt.

      5 Ja, es gibt den Sonderfall eines bis-in-die-Haarspitzen-geil ineinander verliebten Paares, das – meist ungewollt – Zeugungen zu den unmöglichsten biologischen Bedingungen zustandebringt, mitten im Tiefstpunkt eines Zyklus, während laufender Periode, als ob Scharen von Follikeln einer heißest begehrenden Frau in den Eileiter geschickt worden wären. Klappt es mit dem einen Ei nicht, schafft es ein anderes, sich allerbereitest follikelsprengend samenzuergeben. Oder ein extrem resistenter, die »holde Kraft« seines Herrn demonstrierender Spermwitzbold hält sich tagelang in seiner neuen ovarialen Umgebung am Leben, bis er sich zeckengleich des nächsten angewanderten Eies nach Ende der Periode bemächtigt.

      Zu viele »Neins« vernichten diesen Sonderfall in Anbetracht von Anna Ö. und Ludwig 13 und spülen seine Eventualitäten aus allen Möglichkeiten der Diskussion. Anna und Ludwig sind ein »altes«, nie aufeinander geiles Ehepaar und haben vor der gemeinsam verbrachten Louvre-Bett-Nacht entweder nie miteinander geschlafen oder seit 20 Jahren nicht mehr.

      Astro-Tricksereien

      Das politische Genie des späteren französischen Alleinherrschers, Kardinal Mazarin, des Organisators der Beschaffung von Ludwig Lebensborn, hat an alles gedacht: Jungfrau Maria und das Jesuskind – das war die eine Ebene des ideologischen Koordinatensystems, in dem die Menschen im 17. Jahrhundert in Frankreich leben mussten. Die andere geistige Orientierung der Massen war die Astrologie. Vor allem Adlige waren horoskopversessen.

      Spätestens nach der Prophezeiung des 1559 geschehenen Turnier-Unfall-Todes des französischen Königs Henri II (1519–1559) – vorausgesagt vom französischen Star-Astrologen Nostradamus – war Prophezeiung gesellschaftlich »in«, war sie ein biografischer Kitzel, dem sich täglich gewidmet wurde und dessen Ergebnisse mit wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit abgesegnet wurden wie im 20. Jahrhundert die Dogmen der Gen-Industrie.

      Der Königsmacher und Papstvertraute Mazzarino kam auf die Idee, einen philosophisch-religiös-astrologischen Sonderling, den italienischen Querdenker und Autor Tommaso Campanella, mit der Aufgabe der astrologischen Kronprinzenpräparierung zu betreuen und nach Frankreich zu holen.

      Campanella, geboren am 5. September 1568, hatte über 30 Jahre seines Lebens in Gefängnissen verbracht, darin sein später weltberühmtes Buch Civitas solis (La Città del Sole) verfasst – Die Sonnenstadt oder Sonnenbürgerschaft, im Deutschen übersetzt mit Der Sonnenstaat.

      Papst Urban VIII. bewahrte Campanella vor erneuter Haft und schickte ihn nach Frankreich. Campanella wurde in Rom unter den Schutz des französischen Botschafters am Vatikan gestellt, der ihn auf seiner Reise nach Frankreich begleitete. Fast gleichzeitig trafen der päpstliche Geheim-Gesandte und der astrologische Ideologiefabrikant in Paris ein, Mazzarino am 26. November 1634, Campanella eine Woche später, am 1. Dezember 1634.

      Campanella hatte zwei Aufgaben:

      1 Er musste Ludwigs des Vierzehnten Horoskop erstellen – eine schwere Aufgabe bei einem beschafften Kind! Normalerweise filtern Astrologen die planetarischen Konstellationen – die Wirkungen des Firmaments auf den Lebenslauf eines Menschen – aus den realen Geburtsdaten heraus. Bei der Organisierung von Ludwig Lebensborn musste Campanella umgekehrt vorgehen – Ende August, Anfang September 1638 die günstigsten astrologischen Gegebenheiten zusammenstellen und nach ihnen dann für den zukünftigen Louis XIV Geburtstag und Geburtszeit festlegen, mit denen der Kronprinz öffentlich als geboren deklariert wurde.Campanella wählte der Einfachheit halber seinen eigenen Geburtstag, an dessen 70. Wiederkehr der Philosoph den zukünftigen König auf die Welt »holte«: am 5. September 1638.

      2 Campanella musste in seinen Schriften Geburt und Superkönigszukunft Ludwigs des Vierzehnten prophezeien.

      Kardinal Richelieu hatte alles vorbereitet, den eingeschleusten Schriftsteller umgehend zu einer berühmten Autorität zu machen. Campanella wurde Hofastrologe von König und Königin, auch freundlichst von der Sorbonne empfangen. Jedes Jahr nach Campanellas Ankunft in Paris erschien eines seiner mehrbändigen Werke – ein regelmäßiges Autorenglück, das Campanella nie zuvor in seinem Leben in Italien gehabt hatte. Richelieu machte Campanella zum französischen Bestsellerautor und infolgedessen zum Weltschriftsteller.

      Die französische Ausgabe von De sensu rerum et magia, erschienen 1636 im Jahr vor der Beschaffung Ludwigs des Vierzehnten, widmet Campanella Richelieu, lobhudelt ihm als Retter Frankreichs, als Bollwerk der christlichen Kirche. Zugleich geschehe durch Richelieus Regierung eine Heilung Europas. Campanella forderte Richelieu auf, den von ihm propagierten »Sonnenstaat« zu bauen – eine neue utopische Gesellschaft.

      Aus diesem für magisch gehaltenen Bezug zwischen Utopia »Sonnenstaat« und geglaubtem »Wundererscheinen von Louis XIV« wurde der Begriff »Sonnenkönig« geboren, mit dessen Hilfe Ludwig der Vierzehnte sich später ein schier unbegrenztes sonnengleiches Herrschaftsrecht usurpierte.

      Campanellas im Januar 1639 publizierte