Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Sophie Wörrishöffer

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Название Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg
Автор произведения Sophie Wörrishöffer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711487587



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Sterbende sah ihn unausgesetzt an. Ueber die erbleichten Lippen kam kein Laut, aber das Auge zeigte klares Bewusstsein. Mit äusserster, letzter Anstrengung hob er die Hand und deutete auf Mr. Manfred Trevor, dann umschleierte sich der Blick, matt sank der Arm in das Moos, und alles war vorüber.

      „Er ist tot!“ sagte leise der Trapper. „Friede seiner Seele!“

      Lionel schluchzte laut. Er hatte mit beiden Armen die Brust seines Wohltäters umklammert, er konnte nicht glauben, dass so jählings für alle Zeit geschieden sein sollte.

      „Wir haben hier nichts mehr zu tun,“ sagte seufzend der Trapper. „Ermannen Sie sich, junger Herr, wir müssen jetzt den Heimweg antreten.“

      Er hob zaudernd und mitleidig den weinenden Knaben empor, dann nahm er das seidene Halstuch ab und band es dem Toten über das Gesicht. Vier Neger mussten nach seiner Anleitung aus Baumstämmen eine Bahre anfertigen, und die Leiche wurde behutsam darauf gelegt. Jack Peppers beeilte sich, den Kadaver des getöteten Tieres seiner bunten Haut zu entkleiden. In wenigen Minuten war die Arbeit vollendet, ein Neger erhielt das Fell, um es zu tragen, und nun setzte sich der traurige Zug in Bewegung.

      Einige Neger wurden vorausgeschickt, um die Pferde und die Zeltstangen herbeizuholen. In der warmen Sommerluft musste der Tote spätestens am dritten Tage beerdigt werden, — man hatte keine Zeit zu verlieren.

      Jack Peppers leitete das Ganze, er liess den Knaben still vor sich hinweinen und hörte nicht an, was ihm Mr. Manfred zuweilen sagte. Dieser letztere hatte jetzt seine Besonnenheit wiedergefunden, er schien ruhig und wiederholte wohl zehnmal, dass ihn das Unglück in eine Art von Betäubung versetzt habe. „Mein armer Charles!“ sagte er seufzend. „Ein so biederer Charakter, ein so guter, vortrefflicher Mensch! Wie grossmütig behandelte er das schwarze Gesindel, und doch hat ihn einer dieser Elenden erschossen.“

      Der Trapper lächelte seltsam. „Das glaube ich nicht, Sir!“ versetzte er.

      „Nein? Aber wer hätte es denn sonst tun sollen?“

      „Ob auch kein Menschenauge den Finger gesehen hat, Sir, als er sich gegen den Hahn der Büchse krümmte, um die Mordkugel zu entsenden, so wird doch über diese Geschichte einmal abgerechnet, wenn das Soll und Haben der Menschheit zum Ausgleich kommt. So denke ich wenigstens!“

      Damit liess er den Gentleman stehen und schnürte mit eigenen Händen die Leiche in das Leinentuch des Zeltes, dann wurde die Bahre auf den Rücken zweier Pferde befestigt, und mehrere Neger wurden beauftragt, die Tiere zu führen.

      Da man mit den Leuten in jeder Stunde wenigstens einmal wechselte und die nötigen Mahlzeiten im Sattel einnahm, so gelang es, gegen Abend Seven-Oaks zu erreichen, — genau zu jener Stunde, in welcher der Gutsherr als glücklicher Schütze zurückzukehren gehofft hatte.

      Philipp hatte mit dem Negerknaben Toby und der alten schwarzen Köchin Cassy einen Riesenkranz gewunden und über dem Portal des Hauses befestigt. „Willkommen“ stand mit grosser schöner Schrift darin; überall brannten rings an den Wänden bunte Papierlaternen, die der verkrüppelte Knabe mit eigenen Händen angefertigt hatte.

      Da begann im Hof einer der Hunde zu bellen, und Toby horchte plötzlich auf. „Das ist Diana, sie hört auf eine halbe Meile jeden Ton! Die Jäger kommen nach Hause, Massa Fili, sie kommen mit dem bunten Fell! Hurra! Hurra!“

      Wirklich erklangen Hufschläge, und wenige Minuten später hielt ein Neger vor dem Portale. Sein Zuruf alarmierte das Haus, binnen Sekunden wussten alle Bewohner, was geschehen war, und klägliches Weinen und Jammern durchschallte die Räume. Mr. Charly tot! Mr. Charly, der gütigste Gebieter in ganz Virginien! O, nun hatte der liebe Gott die armen Schwarzen verlassen, nun brach das Unglück über sie herein.

      Wie versteinert stand Philipp. Onkel Charles tot! Der Schmerz betäubte ihn fast.

      Und dann hielt, nur von dem Bellen der Hunde empfangen, der Reiterzug. Die weinenden Neger hatten sich vor der Tür zusammengedrängt, es waren Fackeln angezündet worden, und schweigend hoben mit schonender Hand die vertrautesten Diener des Heimgegangenen seine Leiche von der Bahre, auf der sie immer noch lag.

      Ralph hatte sich, tapfer seinen Schmerz verbeissend, dem Adoptivsohn des Hauses genähert, er legte sanft die Hand auf Lionels Knie. „Wollen Sie nicht in das Haus kommen, Sir? — Ach bitte, sprechen Sie doch ein Wort, weinen Sie wenigstens, — aber nicht dieses erstarrte, todblasse Gesicht!“

      Auch Philipp trat hinzu, er streckte erschüttert beide Hände aus. „Lionel, mein armer Lionel, Gott helfe uns das schreckliche Unglück tragen.“

      Lionel schwankte im Sattel, ohne Ralphs kräftige Arme wäre er vielleicht gefallen. „Tot!“ murmelten die bleichen, zuckenden Lippen, „tot! O Philipp, er, der mein einziger Freund war, mein Wohltäter und Beschützer!“

      Ein unerklärliches Etwas schnürte Philipps Kehle zusammen, er begnügte sich, Lionels Hand zu drücken und ihn der Fürsorge Ralphs zu überlassen, dann, nachdem die Leiche in das beste Zimmer des Hauses getragen worden war, suchte er seinen Vater, um womöglich über das geschehene Unglück etwas Näheres zu erfahren.

      „Wie kam es, dass Onkel Charles erschossen wurde?“ fragte er.

      Mr. Manfred zuckte die Achseln. „Einer der schuftigen Neger natürlich! Die Halunken haben niemals Peitschenhiebe geschmeckt, daher sind sie übermütig geworden.“

      Philipp schüttelte den Kopf. „Ich wüsste keinen einigen, dem ich eine derartige Schandtat zutrauen möchte, Papa. Die armen Leute hatten alle ihren Gebieter von Herzen lieb.“

      Mr. Trevor lächelte spöttisch. „Lassen wir das jetzt, Philipp! Der Verstorbene erwacht nicht wieder, auch wenn wir ihn noch so aufrichtig betrauern, — es ist also an der Zeit, unsere eigene Lage zu überdenken. Du bist der Erbe von Seven-Oaks, mein lieber Junge!“

      Philipp sah auf. „Ich, Papa? — O nein!“

      „Doch Kind, doch. Ich bin ein Vetter des Verstorbenen, unsere Väter waren Brüder, aber du stehst ihm in der Verwandtschaft noch um einen Grad näher, denn deine Mutter war seine Schwester. Ich wiederhole dir, du bist der rechtmässige Erbe von Seven-Oaks, natürlich mit der Beschränkung, dass ich, als dein Vater, bis zu deiner Majorennität das Vermögen für dich verwalte.“

      Philipp schüttelte den Kopf. „Das mag ja alles sein, wie du sagst, Papa, wenigstens dem Gesetze nach, aber doch muss die Farm Lionels Eigentum werden, denn Onkel Charles hätte sie ihm vermacht, wenn —“

      Ein flammender Zornblick traf den Knaben. „Unsinn!“ herrschte Mr. Trevor. „Lass mich derartige Worte von dir nicht nochmals hören, Philipp.“

      „Sie sind aber doch die Wahrheit, Papa! Du kannst unmöglich beabsichtigen, den armen Lionel jetzt schutzlos in die Welt hinauszustossen.“

      Ein höhnisches Lächeln kräuselte Mr. Trevors Lippen. „Schutzlos?“ wiederholte er. „Nein, mein guter Philipp, das wird nicht geschehen.“

      Und dann ging er fort. Es gab zahllose Anordnungen zu treffen, man musste einen Boten zum Arzt schicken, einen anderen zum Friedensrichter, die Leiche wurde gewaschen und einstweilen bis auf weiteres im Salon aufgebahrt. Als der Leichenbeschauer kam, unterzog er sämtliche Mitglieder der Jagdgesellschaft einem vorläufigen Verhör, dann schloss man die Haustür, und alle Lichter erloschen. Hermann war nach schneller Uebereinkunft mit Lionel und Philipp in dem Wagen des Arztes zur Stadt zurückgefahren, er wollte aber in den nächsten Tagen wiederkommen und an dem Begräbnis des Gutsherrn teilnehmen.

      Alles im Hause war todesstill, die Neger sassen in ihren Hütten und schluchzten, die Hausdiener kauerten stumm, voll Grauen in der Küche. Mr. Trevor hatte im oberen Stock sein Zimmer neben dem Schlafgemache des verstorbenen Gutsherrn, während dieses letztere wieder von einem kleinen, auf den Garten hinausgehenden Arbeitskabinett begrenzt wurde. Mit lautlosen Schritten gehend, erreichte der blasse, scheue Mann die beiden äusseren Türen, welche er verschloss, dann wurde mit der Matratze des Bettes das einzige Fenster im Kabinett sorgfältig verhüllt; Mr. Manfred überzeugte sich vom Schlafzimmer aus, dass kein Strahl der Lampe den Garten erreichen könne.