Название | Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg |
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Автор произведения | Sophie Wörrishöffer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711487587 |
„Und dann?“ flüsterte Lionel, während sein Herz schneller schlug und eine geheime Unruhe ihn erfasst hielt, „und dann, Hermann?“
„Dann wird die Schuld herausgefunden, gleichviel, ob eine vorhanden ist oder nicht. Man sperrt den Verurteilten in die Keller der Brauerei, wenn man es nämlich nicht vorzieht ihn sogleich abzuschlachten. In beiden Fällen ist natürlich sein Eigentum der Konfiskation unrettbar verfallen.“
„Das ist ja entsetzlich!“ rief Lionel. „Und wohin hat sich die arme Frau Schaumann mit ihren Kindern begeben?“
„Das mag der Himmel wissen, — in der Stadt sind sie nicht geblieben. Wahrscheinlich haben alle in den Gebirgen ihren Tod gefunden.“
Lionel erbleichte. „Verhungert!“ sagte er. „In den Wäldern zugrunde gegangen! Und auf Seven-Oaks haben wir mehr Korn, mehr Herden und Obst, als in ganzen Jahren gegessen weroen könnte. — Kostet übrigens wirklich in der Stadt das Mehl achtzig Dollar das Fass?“ setzte er dann hinzu. „Es ist ja doch wohl durchaus unmöglich!“
„Keineswegs. Ich bin überzeugt, dass heute schon hundert gezahlt werden. Die Spekulanten kaufen alle Vorräte auf und machen nun den Preis nach eigenem Ermessen; es kann ja in den Bannkreis der Blockade nichts von draussen her eingeführt werden. Kaffee kostet zwölf Dollar das Pfund, Salz einen Dollar, — Tee gibt es überhaupt nicht mehr.“
Lionel verstummte, er dankte dem Himmel, als das Gasthaus erreicht war und Ralphs schwarzes Gesicht ihm wieder entgegensah. Die Pferde wurden vorgespannt, Hermann und Lionel besprachen noch den Plan der nächsten Tage und schieden dann mit der Hoffnung, einander schon morgen auf der Plantage wiederzusehen. Hermann sollte es nach so vielen ausgestandenen Leiden einmal für eine Zeitlang recht angenehm haben.
Der Wagen fuhr schleunigst davon, wie ein schwarzer Streifen verschwanden rechts und links die Seitenstrassen, dann kam das freie Feld und endlich der Wald, durch dessen grüne, weite Hallen ein Wiesenpfad, wie ihn die Natur erschaffen, hinausführte zur entfernten, am Fusse des Gebirgszuges liegenden Farm.
Bisher hatten Ralph und Lionel geschwiegen, jetzt endlich nahm der letztere das Wort.
„Sage mal, Ralph,“ fragte er, „hast du meine Eltern gekannt?“
„Ja, Sir.“
„Mein Vater war ein entfernter Verwandter des Onkels, nicht wahr?“
„Ich denke wohl, Massa Lionel.“
Unser Freund schüttelte den Kopf. „Weshalb tust du, als sei die Sache ein Geheimnis, Ralph? — Ich selbst war bei dem Tode meiner Eltern ein ganz kleines Kind und kann mich also aus diesem Grunde an nichts erinnern. War meine arme Mutter eine gute Frau, Ralph? Hatten die Schwarzen sie lieb?“
Der Alte nickte. „Mrs. Jane?“ sagte er halblaut. „O, sie war ein Engel, der Tod sass ihr in der Brust, seit Mr. Forster so weit fortgehen musste.“
„Mein Vater?“ rief Lionel. „Weshalb verliess er sie?“
Der Neger erschrak. „Er verliess sie nicht, Master Lionel! Nein, nein, es war nur eine notwendige Reise. Ganz gewiss, nur eine Reise.“
„Wohin denn?“ fragte ungläubig der Knabe. „Weshalb begleitete sie ihn nicht?“
„Das kann ich Ihnen unmöglich sagen. Vielleicht war sie schon damals zu krank, um sich auf die Reise zu begeben, vielleicht hatte sie auch andere Gründe, aber gewiss ist nur, dass Mr. Forster allein fortging.“
„Um niemals wieder zurückzukehren, Ralph?“
„Niemals. Er ist bald darnach gestorben.“
„Und meine arme Mutter wurde vor Gram krank, nicht wahr?“
„Ja, Sir, sie folgte ihrem Manne sehr schnell in das Grab.“
Lionel schüttelte den Kopf. „Eine eigentümliche Geschichte!“ sagte er. „Ich sehe da nie so recht auf den Grund, ich kann nicht erfahren, was mein Vater war, und ob überhaupt noch Verwandte von ihm leben. Onkel Charles ist mir in dieser Beziehung schon mehrfach ausgewichen, und heute machst du es ebenso, Ralph.“
Der Neger trieb die Pferde zu schnellerer Gangart. „Ich weiss nicht mehr, als was ich sagte, Sir, wirklich.“
Jetzt hielt der Wagen, und nach allen den aufregenden Empfindungen der letzten Stunden umgab die traute Stille des Landhauses sanft beruhigend die Sinne des Knaben. In der weiten Vorhalle brannte eine Kugellampe, auf der Veranda stand mit Flaschen und Gläsern der Abendtisch gedeckt, ein grosser Wildbraten dampfte in der Schüssel, frisches Gebäck und lockende Fruchtschalen füllten die Zwischenräume der schweren Gerichte. Vor dem Tische lagen die beiden Jagdhunde und erwarteten geduldig, was für sie abfallen würde.
Es ging durch Lionels Herz wie ein Messerstich. Hier der Ueberfluss, dort unten in der Stadt die bitterste Not! — Er vermochte, als sich die kleine Familie um den Tisch versammelt hatte, kaum zu essen, so sehr beschäftigte ihn das Schicksal der bedrohten Deutschen.
„Onkel Charles,“ sagte er, „du glaubst nicht, wie viel Elend ich in der Stadt mit eigenen Augen angesehen habe! Du solltest mir aus deinen grossen Vorräten von Lebensmitteln möglichst viel schenken, damit ich es den Armen in der Stadt überbringen kann, oder besser noch —“
Mr. Manfred Trevors Augen funkelten, das gelbe Gesicht wurde noch fahler. „Du wirst doch eine so unsinnige Bitte nicht erfüllen, Charles?“
„Ich kann es leider nicht, Manfred, das weisst du sehr wohl!“ sagte der Gutsherr. „Die Besonnenheit verbietet mir aus mehrfachen Gründen jedes Eingreifen in die Verhältnisse der Bedrohten.“
„Natürlich,“ murmelte Mr. Manfred, „natürlich. Du könntest erleben, dass der Pöbel hierherzöge, um Seven-Oaks dem Boden gleichzumachen und uns alle umzubringen.“
Der Gutsherr nickte. „Leider!“ seufzte er. „Leider! — So gern ich deinen Wünschen willfahren möchte, Lionel, es ist undenkbar. Du selbst musst in der Stadt jedes deiner Worte sorgfältig abwägen, mein guter Junge, — für einen Abolitionisten zu gelten, kann dir das Lynchgericht in jedem Augenblick zuziehen, ohne dass sich zu deinem Schutze irgendeine Hand erhöbe.“
Lionel schwieg. Er war mit den Ansichten seines Onkels nicht einverstanden, aber er fühlte, dass es unpassend sein würde, jetzt noch dagegenzusprechen, daher unterhielt er sich mit Philipp, und die beiden beschlossen, wenigstens den Inhalt ihrer Sparbüchsen heimlich zu verteilen. „Ich habe nur einen einzigen Dollar,“ gestand Philipp, „aber ich gebe ihn gern. Du bist gewiss reicher als ich, Lionel!“
„In meinem Kasten befinden sich mehr als hundert Golddollar, die sollen die Abgebrannten haben. Onkel Charles hat schon erlaubt, dass Hermann Neubert die Ferien mit uns verbringt, wir können also morgen zur Stadt fahren, um ihn zu holen und dabei gleich das Geld mitnehmen.“
Am andern Tage brachte Ralph sie im Wagen in die Stadt und vor Herrn Neuberts Haus. Im Nachbargebäude hatte über Nacht das Feuer gewütet und eine klaffende Lücke in die Strassenflucht hineingerissen. Wo waren die Unglücklichen, denen wilde Frevler die Heimat mit allem, was sie ihr eigen nannten, plötzlich und gewaltsam entrissen hatten?
„In dem Warenschuppen des Baumaterialienhändlers drüben hinter der Schenke,“ flüsterte Hermann, als Lionel diese Frage stellte. „Zwischen Kalktonnen und Bretterstapeln hat ihnen der unerschrockene Gastwirt ein Asyl gewährt.“
„Ich will gleich die Abgebrannten besuchen,“ rief Lionel, „ich will ihnen etwas Geld bringen und sie ermahnen, den Mut nicht zu verlieren.“
Er sprang, während sich Hermann zur Reise rüstete, über die Trümmer der verbrannten Häuser bis zu dem Schuppen, welcher ihm bezeichnet worden war, öffnete leise eine Tür und sah in das Innere des Raumes.
Auf einigen alten Wolldecken lag ein Mann, dessen Kopf und