Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Sophie Wörrishöffer

Читать онлайн.
Название Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg
Автор произведения Sophie Wörrishöffer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711487587



Скачать книгу

hielten die Kleinen umfasst, ihre Köpfchen mit den blonden Haaren und den furchtsam blickenden Augen lagen dicht an seinem Herzen.

      Vor der elenden Lagerstätte sass eine Frau von etwa fünfunddreissig Jahren; sie stützte den Kopf in die abgezehrte Hand und las mit vom Weinen unterbrochener Stimme den Ihrigen aus der Bibel vor.

      „Guten Tag, liebe Frau,“ begrüsste sie Lionel, „fürchten Sie sich nicht, ich komme, um Ihnen meine paar Sparpfennige zu bringen, alles, was ich habe, aber recht von Herzen gegeben. Möchte es Ihre augenblickliche Not ein wenig lindern können.“

      Er legte mit leiser Hand das Geld in den Schoss der Frau und wollte sich wieder entfernen, als ihn der Mann bat, doch noch einige Minuten zu bleiben. „Sind Sie ein Deutscher, junger Herr?“

      „Nein, Sir, ich bin ein geborener Virginier und ein Verwandter der Familie Trevor auf Seven-Oaks. Glauben Sie denn, dass nur ein Deutscher mitleidig und teilnehmend empfinden könne?“

      Der kranke Mann lächelte. „Das gewiss nicht,“ versetzte er, „aber in dieser bösen Zeit hält man unwillkürlich jeden Amerikaner für seinen Todfeind. Ach, junger Herr, vor einem einzigen kurzen Jahre war ich ein wohlhabender Mann, hatte mein blühendes Geschäft und zwei eigne Häuser, — jetzt bin ich ein Bettler, mein armes Weib, meine Kinder sind ruiniert für immer.“

      Die Frau kniete neben seinem Lager, sie streichelte das überall verbundene, von Brandwunden bedeckte Gesicht, ihre Tränen fielen heiss auf die unschuldigen Stirnen der schluchzenden Kinder.

      „Sieh, wie viel Geld wir jetzt haben, Martin! Gott ist wirklich bei uns, er hat den Retter in der Not hierhergeschickt. Hundert Golddollar, — damit kommen wir hinüber in das Gebiet der Nordstaaten.“

      Der Kranke machte den vergeblichen Versuch, sich aufzurichten, er sank matt in die Wolldecken zurück, aber sein Auge glänzte und um die bleichen Lippen zuckte zum erstenmale ein Lächeln voll neuen Mutes.

      „Und alles dieses Geld wollen Sie uns armen Verfolgten schenken, junger Herr? — Ach, der liebe Himmel lohne es Ihnen tausendfältig. Geben Sie mir Ihre Hand, Sir! Martin Reuter will zum Schuft werden vor Gott und den Menschen, wenn er diesen Sonntagmorgen jemals vergisst! So, das ist ein Eid wie jeder andere — möchte die Stunde kommen, in der es mir vergönnt ist, Ihnen einen Dienst zu leisten, junger Herr, ich will sie als die schönste meines Lebens betrachten.“

      Lionel nahm vorsichtig die verbrannte Hand, er sprach einige freundliche Worte, mit denen er den Kranken zu beruhigen suchte, dann verabschiedete er sich.

      „Gottes Segen mit euch allen! Adieu! Adieu!“

      „Der Himmel vergelte es Ihnen, Sir! Leben Sie wohl! Leben Sie wohl!“

      Jetzt stand er draussen, das Herz voll einer stillen, überschwenglichen Freude. Welch eine Seligkeit ist es doch, fremde Tränen trocknen zu können!

      Zweites Kapitel

      Philipp und Hermann sassen schon auf dem Wagen. Man gelangte glücklich zur Plantage, wo der Hausherr den wohlbekannten Schulkameraden seines Pflegesohnes mit Gruss und Handschlag willkommen hiess; dann wanderte das Kleeblatt zunächst hinab in den Hof, um die Tiere zu besehen.

      Eine seltsame Erscheinung kam ihnen dort entgegengeschritten. Ein ledernes Hemd, ebensolche Beinkleider und hohe Schaftstiefel bildeten den Anzug eines schlanken, noch jugendlichen Mannes, dessen Brust mit blitzenden goldenen und silbernen Medaillen geschmückt war. Im breiten schwarzen Ledergurt steckte das Jagdmesser, daneben sechsläufige Drehpistolen, deren blanke Griffe im Sonnenlicht funkelten. Eine Kugelbüchse und ein grauer Filzhut von gewaltigem Umfange vervollständigten diese achtunggebietende Ausrüstung. Zwei Jagdhunde, jedem Blick, jeder Handbewegung gehorchend, begleiteten den hübschen, stattlichen Jäger.

      „Jack Peppers, der Trapper!“ rief Lionel. „Willkommen auf Seven-Oaks, Sir!“

      Der Fremde dankte höflich. „Ist Mr. Charles Trevor zu sprechen?“ fragte er. „Ich möchte ihm gern eine Mitteilung machen.“

      „Ueber eine Jagd, Sir? Sind Antilopen in der Gegend?“

      „Besseres! Viel Besseres!“

      „Doch unmöglich ein Jaguar?“

      Der Trapper nickte. „Ein schwarzer noch dazu, ein Bestie wie ein Königstiger.“

      Lionel klatschte vor Freude in die Hände. „Wo? mein guter Jack! Wo? Wird man zu Pferd die Stelle erreichen können?“

      „Ganz bequem,“ versetzte der Jäger. „Die Raubkatze ist jedenfalls durch die Truppenbewegungen an der Grenze hierher verschlagen worden; sie hat ihr Lager im Röhricht an den grossen Sümpfen, da wo der Waldsaum den See streift.“

      „Onkel Charles ist nur vor Tisch auf ein Stündchen davongeritten, um nach dem Weizen zu sehen. Ganz gewiss nimmt er schon morgen die Jagd auf. Wie glücklich wäre ich, wenn meine Kugel den Jaguar erlegte!“

      Wenige Minuten später kam Mr. Charles nach Hause, der Trapper wurde vorgelassen und musste seinen Bericht wiederholen. Auch Manfred Trevor horchte hoch auf. „Ein Jaguar? Und unten in der Wildnis an den unübersehbaren Sümpfen? — sollte das eine Treibjagd geben?“

      „Gewiss!“ rief der Gutsherr. „Ich kann fünfzig bis achtzig Schwarze stellen!“

      Die Nachricht kam wie eine wahre Freudenbotschaft in das Haus; schon in aller Frühe des nächsten Tages sollte der Jagdzug beginnen, die Dienerschaft musste gleich das Zelt des Gebieters instand setzen, die Pferde auswählen, Vorräte zusammenpacken und Waffen putzen, alle Hände waren in fieberhafter Tätigkeit.

      „Hast du eine gute Kugelbüchse für mich, Charles?“ fragte Manfred Trevor. „Ein armer Stadtgelehrter besitzt dergleichen nicht, wie du wohl weisst. Das heisst,“ setzte er schnell hinzu, „wenn du überhaupt gestattest, dass ich dich zur Jagd begleite!“

      „Manfred, — welche Frage! Da in der Waffenkammer hängen Dutzende von Büchsen aller Art, suche dir eine aus und behalte sie gleich ein für allemal zum Andenken an mich.“

      Die Farbe auf dem Gesicht des andern wechselte unaufhörlich. „Danke! Danke!“ sagte er hastig. „Wenn du es also gestattest, werde ich mich gleich heute nachmittag ein wenig einschiessen, — drüben im Walde. Man muss doch das Ding zu handhaben wissen. Wie ist es denn,“ setzte er gleich darauf hinzu, „nimmst du auch die beiden Knaben mit? Philipp muss natürlich zu Hause bleiben.“

      „Das ist wohl leider nicht anders möglich, aber Lionel und Hermann können uns ja sehr gut begleiten.“

      Manfred schwieg, indem er aus dem Fenster in den Hof hinabsah; es schien, als tobe in seiner Seele ein Kampf. Endlich ergriff er die im Waffenschrank ausgesuchte Kugelbüchse und begab sich nach kurzem Abschied hinaus in den Wald hinter dem Hofe. Hier befestigte er ein Kartenblatt an den Stamm einer Eiche und lud dann die Büchse.

      Er zielte und schoss — aber seine Hand hatte so heftig gezittert, dass die Kugel weit an der Karte vorüberflog.

      „Gut, dass du nicht schon den Jaguar vor dir hattest, Onkel!“ rief hinter dem Schützen eine jugendliche Stimme, und Lionel erschien auf der Lichtung, um mit einer Büchse, die er von der Schulter nahm, sekundenlang zu zielen und dann das Herz aus der Karte herauszuschiessen. „Hurra, getroffen! Jetzt bist du dran, Onkel Manfred!“

      Dieser sah aus, als sei ihm ein Gespenst begegnet. Dann aber raffte er sich gewaltsam auf, und Hand und Auge waren plötzlich fest geworden. Der Schuss krachte, und die Kugel flog in das Loch, welches die Stelle des Herzens auf der Karte bezeichnete; noch zwei, drei andre folgten, dann sah Mr. Manfred Trevor spöttischen Blickes hinüber zu dem Pflegesohne seines Vetters. „Ich werde den Jaguar, wenn er mir zum Schusse kommt, nicht fehlen,“ sagte er in sonderbar bedeutsamem Tone. „Vorhin mag mir etwas ins Auge gekommen sein.“

      Dann wandte er sich ab und schritt ohne Gruss davon.

      Lionel sah ihm betroffen nach. „Onkel Manfred hasst mich,“ dachte er, „aber warum nur? Ich habe ihm nie etwas zuleide getan.“