Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet.. Werner Skrentny

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Название Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet.
Автор произведения Werner Skrentny
Жанр Сделай Сам
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Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783895338595



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zu spielen. Und da Karlsruhe, die Fußballmetropole Deutschlands, zum Südkreis gehört (in dem Stuttgart, Freiburg und Pforzheim unter ähnlichen günstigen Bedingungen das Fußballspiel spielen können) (Anm.: gemeint sind die Stuttgarter Kickers, FC Freiburg, 1. FC Pforzheim), so hat sich mit der Zeit ein Kreis von Elitemannschaften gebildet.“

      Pionier Walther Bensemann zog im „Fußball“ bereits 1911 unter dem Titel „Der Ausblick in die Zukunft“ ein frühes Fazit seines Lebens: Etwa 35 Vereinen und Verbänden habe er innerhalb von 24 Jahren angehört. Der Verband Süddeutscher Fußball-Vereine habe ihn bereits vor zwölf Jahren mit einem Bann belegt. „In der alten Fußballmetropole Karlsruhe verkehre ich schon jahrelang bei keinem Sportverein.“ Er habe in all den Jahren mehr Differenzen gehabt als irgendein anderer. „Meine Finanzen sind im Sport nicht besser geworden. Ich bereue nichts.“

      So war es, und die Karlsruher Fußball-Legende inszenierte sich von nun an weiterhin gerne selbst. In „Fußball und Olympischer Sport“, so 1913 der neue Zeitschriften-Titel aus München-Schwabing, schaltete Bensemann eine Anzeige zur „Karlsruher Jubiläumsfeier 1914“. Denn 25 Jahre war es her, seit im September 1889 dort der Associationssport begründet worden war. Das provisorische Festkomitee bildeten Artur Beier, der spätere FIFA-Generalsekretär Dr. Ivo Schricker, beruflich in Kairo ansässig – und Walther Bensemann. Ob die Feier im „Hotel Viktoria“ tatsächlich stattfand, ist ungewiss: Am ausgewählten 1. August begann der Erste Weltkrieg.

       Oxford-Gastspiel mit Zuschauer-Rekord

      Der kleine Exkurs, der die große Bedeutung der frühen Fußball-Metropole Karlsruhe beleuchtet, soll mit einem Ereignis beendet werden, bei dem der junge Julius Hirsch sicherlich Augenzeuge gewesen ist. Erneut ist es Walther Bensemann, der für eine Premiere sorgt. Er verpfl ichtet für einen Werktag (!), es ist Montag, der 8. April 1907, Anstoß 16 Uhr, den Oxford University Association Football Club (O. U. A. F. C.) für das einzige Gastspiel in Süddeutschland beim Karlsruher FV. Stadtrat Leopold Kölsch lobt den Organisator: „Für die Einführung des schönen Fußballsports muss die Stadt Karlsruhe Herrn Bensemann dankbar sein.“

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      Bereits am 19. Februar 1907 kündigte die „Süddeutsche Sportzeitung“ aus Karlsruhe das sensationelle Gastspiel von Oxford beim Karlsruher FV an, das Fußballpionier Walther Bensemann vermittelt hatte.

      Am Sonntag vor dem Spiel, gegen 23 Uhr, fi nden sich zahlreiche Karlsruher am Hauptbahnhof ein, um den Zug aus Prag mit den Fußballern aus Oxford zu empfangen. Doch bis die eintreff en, zeigt die Uhr Mitternacht. Erstaunlich und wegweisend im jungen Fußball-Land Deutschland: Die Stadt Karlsruhe und ihr Fremdenverkehrsamt übernehmen die Kosten der Veranstaltung, ebenso das Frühstück für die Gäste am Montag um elf Uhr vormittags. Zuvor erleben die Engländer eine „Wagenfahrt durch die Stadt“. Nach dem Spiel ist um 18.30 Uhr das „Diner“ im „Hotel Erbprinz“ angesetzt, es schließt sich der „Kommers“ im „Café Bauer“ an, bei dem die Artilleriekapelle Nr. 14 aufspielt, und um Mitternacht steigen die Engländer wieder in den Zug.

      Das Sensationelle am Oxford-Gastspiel ist die Zuschauerzahl: 3.000 kommen zum KFV, Zuschauerrekord für Deutschland, „in agitatorischer Hinsicht der Beweis, dass wir unserem Sport die gebührende Wirkung verschaffen können“ („Süddeutsche Sportzeitung“). „Ein feines Publikum aus den ersten Gesellschaftsklassen“ wird registriert (die Arbeiter gehen werktags um 16 Uhr noch ihrem Beruf nach, der Achtstundentag gilt erst ab 1918), und so viele Damen wie sonst nur beim Pferderennen. Prinz Max von Baden, „Seine Großherzogliche Hoheit“, nimmt auf der neu errichteten Tribüne in der Hofloge Platz. Bensemann stellt ihm die englischen Spieler vor und hebt die politische Bedeutung des Freundschaftsspiels hervor. Ein Hoch auf „den König von Großbritannien und Irland und Kaiser von Indien“, Eduard VII., wird ausgebracht und ein weiteres auf den deutschen Kaiser Wilhelm II. Neben Max von Baden findet sich weitere Prominenz ein: Staatsminister Alexander Freiherr von Dusch, Ministerialpräsident Freiherr von Marschall, der preußische Gesandte Karl von Eisendecher, dazu Generäle, Offiziere und sogar der Professor und Kunstmaler Hans Thoma, Direktor der Karlsruher Kunsthalle.

      Innerhalb des umfangreichen Programms wird natürlich auch Fußball gespielt. Oxford gewinnt mit 3:0, und der damals 15-jährige KFVJugendspieler Julius Hirsch wird bestimmt zugesehen haben. Der andere spätere jüdische Nationalspieler, Mittelstürmer Gottfried Fuchs, wirkt an diesem Tag erstmals in der 1. Mannschaft des KFV mit („der neueingestellte Fuchs“).

       Die „Holz-Füchse“

      Vom Land in die Stadt: Den Weg der Vorfahren von Julius Hirsch beschritten auch die von Gottfried Fuchs, der am 3. August 1889 in Karlsruhe geboren wurde. Auch in seiner Familiengeschichte tauchen Untergrombach und Obergrombach auf. Die Großeltern Hirsch (dies ist der Vorname!) und Fanni Fuchs waren um 1871/72 aus dem Dorf Weingarten bei Karlsruhe, woher auch die Hirschs kamen, in die Residenzstadt gezogen. Dr. Richard Fuchs, Gottfrieds Bruder, hat das nacherzählt: „In Karlsruhe hatten die Urgroßeltern (Anm.: er meinte die Großeltern) ein Haus gekauft. (…) Jahrzehnte später, als reiche Leute, haben sich die Füchse nicht immer gerne an die Tatsache erinnern lassen, dass sie als arme Zuwanderer im ‚Dörfle’ angefangen hatten. Erst die folgende Generation kommt dazu, stolz zu sein auf den bescheidenen Beginn der Familie.“

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      Eine dynamische Fußballszene nahm der unbekannte Fotograf hier auf: Fritz Tscherter treibt das Leder voran, im Vordergrund ist Gottfried Fuchs zu sehen, hinten Julius hirsch. Die Partie KFV – VfR Mannheim endete 1912 mit 9:1.

      „Das Dörfle“ wurde ursprünglich für die beim Schlossbau beschäftigten Handwerker errichtet. Später galt es als Armenviertel der Stadt und Heimat der Tagelöhner. In der NS-Zeit werden von dort die Sinti und Roma deportiert. Seit dem 19. Jahrhundert ist „das Dörfle“ ein Ort der Prostitution, und noch heute beherbergt es am östlichen Ende der Zähringer Straße das kleine Rotlichtviertel der Großstadt.

      Die Fuchs verlegten sich auf den Holzhandel – eine ausgezeichnete Entscheidung. Denn nach der Reichsgründung 1871 und der bereits zuvor fortschreitenden Industrialisierung entwickelt sich eine rege Bautätigkeit. Karlsruhe wächst und wächst: 1865 sind es 30.000 Bewohner, ein Vierteljahrhundert später fast 73.500. 1900 werden bei der Volkszählung 97.183 Bewohner registriert, davon sind 67 Prozent zugezogen. Bald darauf ist Karlsruhe die 34. deutsche Großstadt, als es die Grenze von 100.000 Einwohnern überschritten hat.

      Wie der Tuchhandel der Brüder Hirsch, so florieren angesichts dieser Entwicklung auch die Geschäfte der Familie Fuchs. Die Fuchs-Söhne gründeten wie erwähnt in sehr jungen Jahren die Holzhandel-Firma H. Fuchs Söhne (HFS; das H steht für den Vater Hirsch Fuchs). Sie expandiert bald von Karlsruhe nach Stuttgart und Straßburg, damals Teil des Deutschen Reiches. Um die Jahrhundertwende ist sie auf 46.000 qm im Karlsruher Rheinhafen ansässig, samt Säge- und Hobelwerk sowie Parkettfabrikation. HFS wird die bedeutendste Holzhandlung Südwestdeutschlands, und 1920 meldet das Karlsruher Adressbuch: „H. Fuchs Söhne, Holzhandlung, Hobel- und Sägewerk, Bureau, Lager und Werk am Rheinhafen, Hansastr. 5, Tel. 9, 57, 909 (Anm.: drei Telefon-Anschlüsse!), Ein- und Ausfuhr ausländischer Hölzer.“

       Der „Fußball-Millionär“

      Gottfried Fuchs’ Lebensweg ist vorgezeichnet: Geschäfte und noch einmal Geschäfte. In Karlsruhe wird die wohlhabende und weitverzweigte Familie den Beinamen „die Holz-Füchse“ erhalten. Dazu werden auch jene Familienmitglieder gezählt, die gar nichts mit der Holzbranche zu tun haben. Gottfried Fuchs wird auf seine berufliche Laufbahn u. a. in London und Düsseldorf vorbereitet, und in diesen Städten hat er auch das Fußballspiel kennengelernt, das ihn berühmter machen sollte als seine beruflichen Erfolge. Später wird man ihn den „Fußball-Millionär“ nennen. Ob zu Recht oder Unrecht, werden wir in diesem Buch noch hinterfragen müssen. Für sein Können auf dem Rasen ist er allerdings finanziell nie honoriert worden.

      Beim Oxford-Spiel für den KFV ist Gottfried Fuchs 17 Jahre jung und hat das fußballerische Knowhow neben dem Engländerplatz