Название | Das Anthropozän lernen und lehren |
---|---|
Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Pädagogik für Niederösterreich |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783706560832 |
Die beiden erdsystemaren analytischen Ebenen des Anthropozäns lassen sich thematisch auch aufgrund ihres interdisziplinären und prozessbasierten Charakters gut in den Schulunterricht integrieren. Auch der Einbau in den fachspezifischen Unterricht ist hier gut möglich (Klimawandel, Landnutzung, Süßwasser, Ozeane, Stoffkreisläufe, Geschichte etc.; siehe Abschnitt 3.).
2.2 Die konsequentiale Metaebene – Komplexitäten begreifen, Verantwortung übernehmen, Lösungsansätze mitentwerfen, Future Literacy fördern
Das oben skizzierte Ausmaß der anthropogenen Umweltveränderungen, deren Wechselwirkungen und die daraus resultierenden erdsystemaren Auswirkungen, aber auch der historische und dynamische Aspekt der Entwicklung hin zum Anthropozän erscheinen als geeignete Ausgangsbasis, um mögliche Lösungsansätze, aber auch Herausforderungen und Hindernisse auch im Schulunterricht zu thematisieren. Insbesondere eignet sich die Vernetztheit der anthropozänen Abläufe gut dazu, von einfachen „Richtig-Falsch“-Lösungen wegzukommen, gesellschaftliche und mediale „Filterblasen“ zu hinterfragen, partizipatives, kreatives und systemisches Denken und Handeln einzuüben und „Future Literacy“ zu erwerben. Dies steht in Übereinstimmung mit der sich aus den analytischen Konzeptebenen ableitenden und derzeit ebenfalls stark beforschten konsequentialen Metaebene des Anthropozän-Konzepts (sensu Leinfelder 2017a).
Diese konsequentiale Metaebene des Anthropozäns kann an einer Hypothese festgemacht werden: Die zur erdsystemaren und geologischen Kraft gewordene Menschheit, welche – jeweils in sehr unterschiedlichem Ausmaß und Verantwortung (siehe Allen et al. 2018) – das Erdsystem an den Rand eines möglichen Kippens gebracht hat, sollte umgekehrt auch in der Lage sein, nun wissensbasiert und das Vorsorgeprinzip beachtend ihr Handeln so zu gestalten, dass die Menschheit zu einem integrativen Teil eines funktionsfähigen anthropozänen Erdsystems wird. Dies wäre als Grundlage gerechter Entwicklungschancen für gegenwärtige und künftige Generationen zwingend notwendig. Diese Hypothese basiert darauf, dass sich die Menschheit als integrativen Teil des Erdsystems begreift, um besser zu verstehen, dass wir nicht vom Erdsystem, sondern nur mit dem Erdsystem leben können. Um dies bildlich auszudrücken: Erträge einer gut geführten Stiftung können dauerhaft genutzt werden. Sobald man allerdings kräftig in das eingelegte Stiftungskapital greift, wird die Stiftung rasch finanziell kollabieren. Auch das Erdsystem wirft genügend verwendbare Ressourcen ab, um damit grundsätzlich ein gutes Leben für die ganze Menschheit zu ermöglichen, allerdings nur, wenn die „Stiftung Erde“ gut geführt und nicht übernutzt wird. Aus diesem Verständnis heraus resultiert förmlich eine Aufforderung zu anthropozänem (Um-)Denken und Handeln in sehr weiten Bereichen: Politik oder Wirtschaft alleine können eine erdsystemische Integration der Menschheit nicht gewährleisten, da gerade auch individuelles und regionales Handeln in der Summe globale Auswirkungen hat. Daher sind alle zu einer verträglichen, nachhaltigen Nutzung der Erde verpflichtet. Der derzeitige „Parasitismus“ des Menschen an der Natur müsste sich wandeln zu einer echten Symbiose von Mensch und Natur, im Sinne eines gegenseitigen Nutzens (Leinfelder 2016a, 2017b, 2018, auch für Textauszüge).
3. Neue Weltsicht Anthropozän – mögliche Anwendungen für den Unterricht – einige Anregungen
Nicht nur die analytischen Ebenen, sondern insbesondere auch die konsequentiale Metaebene des Anthropozäns eignen sich hervorragend, um im fachspezifischen, fächerübergreifenden und projektbasierten Unterricht fachliche Bildung mit gesellschaftlichen Fragen zu verbinden. Daraus ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, ethische, kommunikative, partizipative und lösungsorientierte Aspekte in unterschiedlichen Kontexten und Formaten zu erarbeiten, Lehren und Lernen wechselseitig zu verknüpfen, und insgesamt eine verbesserte „Future Literacy“ („Zukunftskompetenz“) einzuüben. Im Nachfolgenden sollen einige Möglichkeiten dazu in allgemeiner, teilweise auch konkreter Weise angeregt werden.
3.1 Ethische Aspekte im Anthropozän
Ethik in der Umweltbildung betrifft ein weites Feld. Ethische Fragestellungen ergeben sich thematisch zu Verantwortlichkeiten, Verantwortungszuständigkeiten, bis hin zu Gerechtigkeitsfragen sowie aus allgemeinen philosophisch-ethischen zukunftsorientierten Reflexionen nahezu aller Lebensbereiche. Manche sehen hier Konkurrenz mit anderen Fächern, etwa der Humangeographie, der Humanethik oder auch der Geoethik, wieder andere lehnen das Anthropozän-Konzept gänzlich ab, da es ihnen als ideologische Weltanschauung oder gar Selbstermächtigungsauftrag gegen die Natur erscheint, was in Teilen durchaus zu diskutieren ist, in anderen Teilen allerdings als Strohpuppenargumentation entlarvt werden kann. Der Autor sieht, genauso wie die überwiegende Mehrzahl der Wissenschaftler/innen, das Anthropozän nicht als Konkurrenz, sondern als verbindende, integrative Ergänzung zu existierenden Fächern, betont die Faktenbasiertheit der analytischen Befunde und fasst auch die konsequentiale Metaebene des Anthropozäns nicht als neue Weltanschauung, sondern als neuen, integrativen Blick auf diese Welt auf. Vogt (2012) ist allerdings recht zu geben, wenn er betont, dass eine „Bildungsethik“ zur Nachhaltigkeit nicht zu einer politisch-ökologischen Funktionalisierung missbraucht werden darf. An diesem Anspruch müsse sich eine entsprechende Bildungsethik messen lassen. Vogt geht es vor allem darum, wie das Konzept der Nachhaltigkeit zu methodischen und inhaltlichen Innovationen von Bildung beitragen kann. Eine derartige Bildung ist demnach „nicht Mittel zur Umsetzung vorgegebener Ziele, sondern Medium der Auseinandersetzung mit ihnen“ (op.cit.). Eine Beziehung von Bildung und Ethik könne auch direkt aus dem Konzept der Nachhaltigkeit abgeleitet werden, denn dieses Konzept „hat nicht den Charakter eines definitiv vorgegebenen Zieles, sondern den eines offenen pluralen Suchprozesses“ (op.cit.).
Siehe hierzu sowie zu weiteren umweltethischen Aspekten auch Schwägerl (2012), Leinfelder (2013a), Vogt et al. (2013), Schwägerl & Leinfelder (2014), Möllers et al. (2014), Renn & Scherer (2015), Haber et al. (2016), Lesch & Kamphausen (2016), Kress & Stine (2017), Zalasiewicz et al. (2017) (sowie weitere Artikel in Clark & Yussof 2017), Bertelmann & Heidel (2018), Schwinger (2019), Heichele (2020) uvm.11
3.1.1 Analyse und Diskussion von Ausredemechanismen für Nichtstun
Das Thema anthropogene Umweltveränderungen gehört einerseits zu den besonders schwer behandelbaren Bildungsthemen. Zum Ersten sind die Zusammenhänge komplex, zum Zweiten ist vieles davon nicht direkt sichtbar, da nicht nur Treibhausgase, sondern auch Biodiversitätsbeeinträchtigungen, Überdüngung, Pestizidgebrauch oder Effekte von Gewässerregulierungen nicht sofort erkenntlich sind. Zum Dritten scheinen für Ursachen und Lösungen oftmals andere zuständig zu sein. Obwohl Klima-, Biodiversitäts- und Landnutzungskrise also hinreichend bekannt sind und auch eine große Toolbox technologischer, sozialer und wirtschaftlicher Lösungsmöglichkeiten verfügbar ist (z.B. WBGU 2011), stehen nach wie vor insbesondere die Diskussion der „richtigen“ Lösung sowie – damit verbunden – gegenseitige Schuldzuweisungen im Vordergrund. Populistische Strömungen, verstärkt durch die Echokammern der sozialen Medien, nutzen derartige Mechanismen und erreichen dadurch zunehmende Spaltungen in der Gesellschaft. Die bewussten und unbewussten Benutzer der vielfältigen Ausredemechanismen können heuristisch in Relativierer, Fatalisten und Zyniker, Verantwortungsexternalisierer sowie „Ja, aber …“-Argumentierer eingeteilt werden (Abb. 5; siehe auch Leinfelder 2013b, 2015, 2018).
Abbildung 5: Häufige Ausredemechanismen bei Umwelt- und Anthropozän-Themen (nach