Название | Das Anthropozän lernen und lehren |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Pädagogik für Niederösterreich |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783706560832 |
Trischler, Helmuth (2016). Zwischen Geologie und Kultur: Die Debatte um das Anthropozän. In: Anja Bayer & Daniela Seel (Hrsg.). All dies hier, Majestät, ist deins. Lyrik im Anthropozän. Anthologie (S. 269–286). Berlin: kookbooks, München: Deutsches Museum.
1 Vgl. https://www.ph-noe.ac.at/de/forschung/forschung-und-entwicklung/anthropozaen.html
2 Pädagogische Hochschule Niederösterreich; Bildungsdirektion für Niederösterreich; Hochschule für Agrarund Umweltpädagogik Wien; WasserCluster Lunz; Stiftsbibliothek Klosterneuburg.
3 Die Beiträge sind im Folgenden bewusst nicht thematisch geclustert; sie folgen innerhalb der einzelnen Teile dieses Bandes dem alphabetischen Prinzip, um den üblicherweise fachlich fokussierten Blick interdisziplinäre Zugänge entdecken zu lassen.
4 Vgl. https://www.un.org/sustainabledevelopment/water-action-decade/
EINBLICK I
Reinhold Leinfelder
Das Anthropozän –
mit offenem Blick in die Zukunft der Bildung
1. Einleitung – Die großen Herausforderungen bei der Umweltbildung
Obwohl wir alle die Natur schätzen, hat sich der Unterschied zwischen Natur und Kultur durch die immer stärker zunehmenden menschlichen Eingriffe in die Umwelt gleichsam aufgelöst – und dies weitgehend unbemerkt, zumindest was das Ausmaß angeht: Nur noch etwa 25 % der eisfreien festen Erde können als Urnatur bezeichnet werden, den Rest haben wir schon extrem verändert (Ellis 2011, Ellis & Ramankutty 2008, Ellis 2011, Jones 2011). In den Meeren sieht es kaum anders aus (Halpern et al. 2008, 2015, WBGU 2013). Wir reduzieren die Biodiversität der Organismen in rasch zunehmender Weise (Ceballos et al. 2015, Williams et al. 2018, IPBES 20191) und verschieben sprichwörtlich die Gewichte der Lebewelt. So bestehen 96 % der Biomasse aller Säuger aus der Biomasse des Menschen (36 %) und seiner Säugernutztiere (60 %), nur vier Prozent der Biomasse verbleibt für die Vielfalt aller wilden Säugetiere. Bei den Vögeln ist es ähnlich, 70 % ihrer Biomasse wird von Zuchtgeflügel gestellt (Bar-on et al. 2018)2. Wir müssen also besser verstehen lernen, dass all unser Wirtschaften und Wohlergehen von den Dienstleistungen und Ressourcen dieser Erde abhängt. Diese sind aber nur zum Teil nachwachsend (biologische Ressourcen für Kleidung, Nahrungsmittel, Holz etc.), und dies auch nur, sofern wir die Bedingungen für das dauerhafte Nachwachsen, also Bodenqualität, Wasserverfügbarkeit, Nährstoffverfügbarkeit und Klima nicht aushebeln oder, wie bei der Wasser- und Nährstoffverfügbarkeit, durch Bewässern und Düngen nachhelfen. In sehr weiten Teilen bestehen die von uns verwendeten Stoffe aber aus nicht (bzw. nur unter erdgeschichtlichen Skalen) erneuerbaren Ressourcen (siehe Box 1).
Daraus ergeben sich eine große Verantwortung und damit verbunden auch viele neue Ansätze für die Umweltbildung. Gerade durch die zum Zeitpunkt der Finalisierung dieses Artikels immer noch herrschende, wenn auch in Europa abflauende SARS-CoV-2-Krise werden umfassende gesellschaftliche Herausforderungen nicht nur, aber gerade auch im Bereich der Umweltvorsorge und Umweltbildung wieder besonders klar. So räumt auch der Corona-Virus mit der Vorstellung auf, dass der Natur eine Nichtnatur in Form von Kultur und Gesellschaft als Dualismus gegenübersteht. Sowohl die Verbreitung des Virus als auch die Veränderung des Erdsystems sind heute dominant menschenbedingt: Die Natur umgibt uns nicht irgendwie in weiterer Distanz als Umwelt, sondern durchdringt uns und wir durchdringen sie – ein wechselseitiges Unterfangen. Wir sind Teil dieses Ganzen, dominieren allerdings immer stärker und sollten uns bewusst werden, dass wir uns als integrativen Teil dieser „Unswelt“ verstehen müssen (Leinfelder 2011, 2017a, 2020a, Leinfelder et al. 2012, Schwägerl & Leinfelder 2014)3. Auch gibt es für Problematiken wie die SARS-CoV-2-Krise genauso wie für die Anthropozän-Herausforderungen keine einfachen Richtig-oderfalsch-Lösungen, sondern nur gemischte Lösungsportfolios, die komplex sind und auch laufend dem jeweiligen Kenntnisstand angepasst werden müssen. Vor allem aber zeigt uns die SARS-CoV-2-Krise emotionale Herausforderungen auf, die auch für die Umweltkrise virulent sind: Zu Beginn der Krise war das gesellschaftliche Bedrohungsgefühl immens, vor allem auch wegen der Bilder der vielen Toten und des überlasteten Ärzte- und Pflegepersonals aus Italien. Kaum bekam man aber die Krise wegen der vielen Maßnahmen besser in den Griff, wurden Stimmen laut, alles sei ja wohl gar nicht so schlimm und insbesondere die Wirtschaft dürfe darunter nicht leiden. Dies mündet (mit Stand Mai 2020) in der Aufforderung, möglichst rasch zum Business as usual zurückzukehren, auch hinsichtlich unserer Freizeit, unseres Konsumverhaltens, unseren sozialen Gepflogenheiten. Warnenden Stimmen aus der Wissenschaft werden vereinzelte andere Stimmen von Experten oder auch nur solchen, die sich dafür ausgeben, entgegengesetzt. Statt eines gesellschaftlichen Diskurses über das weitere sowohl politische als auch gesamtgesellschaftliche und persönliche Vorgehen und Verhalten kommt es vielmehr zu Externalisierungen, die einen selbst freisprechen. Zunehmend viele sind dabei auch anfällig für „Fake News“ bis hin zu extrem kruden, oftmals sogar menschenverachtenden Verschwörungstheorien. Aber auch ohne extreme Spielarten ist die in der Psychologie als Verantwortungsdiffusion bezeichnete Entschuldigungs- und Externalisierungsstrategie in leider fast allen Problemarealen und Maßstäben möglich – vom Land zum Bundesland zur einzelnen Stadt, bis hin zu sich selbst. Sowohl hinsichtlich des Verhaltens in der SARS-CoV-2-Krise als auch bei den Klimaaspekten geschieht dieses persönliche Herunterbrechen etwa bei der Nutzung von Flügen, des Autos oder des Internets. Im Endeffekt muss damit keiner verantwortlich sein.
Besonders deutlich wird in „Corona-Zeiten“ aber auch das Präventionsparadox. Wenn Maßnahmen zur Kriseneindämmung gelockert werden, ist schnell konstatiert, dass eben diese Maßnahmen übertrieben waren und eigentlich vor allem negative Auswirkungen gehabt hätten. Hätte man die Maßnahmen aber nicht durchgeführt, wäre den Verantwortlichen Versagen vorgeworfen worden. Ähnlichkeiten zum Diskurs bei der Umweltkrise gibt es, etwa beim Waldsterben der 1980er-Jahre. Hier ist heute selbst von manchen Wissenschaftlern/Wissenschaftlerinnen im Nachhinein immer wieder noch zu hören, dass der Wald ja doch nicht abgestorben sei, wie damals für weiteres Nichtstun prognostiziert wurde. Tatsächlich nahm aber der überwiegend ursächliche saure Regen durch die Etablierung geeigneter Filtermaßnahmen bei Kraftwerken und Verbrennungsanlagen extrem ab, was auch die Regeneration des Waldes bewirkte, auch wenn andere Schädigungen, insbesondere die intensive Waldbewirtschaftung, das Problem zusätzlich verschärft hatten. Oftmals allerdings wird das Präventionsparadox auch umgedreht. So wird vorab insinuiert, dass Maßnahmen, die ja zu einem guten Teil noch gar nicht getroffen wurden, katastrophale Auswirkungen auf die Wirtschaft und damit die Gesellschaft haben würden und man deshalb lieber nichts oder nur wenig oder nur sehr langsam tun sollte (siehe Abschnitt 3.1.1).
Dies führt uns zu einem wesentlichen Unterschied zwischen SARS-CoV-2-Krise und Anthropozän-Krise – der Frage der Zeitskala. Zwar sind beide Krisen – in all ihrer regionalen Differenziertheit – auch räumlich global, allerdings ist der zeitliche Maßstab doch ein sehr unterschiedlicher: SARS-CoV-2 breitet sich innerhalb von Tagen und Wochen aus und bedarf der Beobachtung sicherlich auch über viele Monate, wenn nicht gar Jahre. Aber die Krise begann jetzt und ist für jeden direkt – durch Erkrankung – oder indirekt – durch die einschränkenden Maßnahmen – spürbar. Die Klimakrise