Название | Das Anthropozän lernen und lehren |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Pädagogik für Niederösterreich |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783706560832 |
Abbildung 1: Ausmaß anthropogener Veränderungen des Erdsystems – einige Beispiele (verschiedene Quellen, siehe 2.1)
Da das Anthropozän-Konzept insbesondere auch auf den Geowissenschaften beruht, sei dieser Unterschied anhand der Erdgeschichte kurz erläutert: Die über viereinhalb Milliarden Jahre lange Geschichte unseres Planeten wird gerne zu Ausreden missbraucht, warum wir angeblich nichts tun müssen bzw. können. So sei die Geologie stärker als wir (dies gilt längst nicht mehr überall, so stoßen wir heute mindestens 100-mal mehr an CO2 aus fossilen Quellen aus als alle aktiven Vulkane dieser Welt zusammen4). Zu weiteren Beispielen menschlichen Tuns im geologischen Ausmaß siehe Abb. 1. Das Klima habe sich eh immer geändert – richtig, aber meist in Millionen von Jahren andauernden Zeiträumen, also nie dermaßen schnell wie wir dies heute bewerkstelligen; das Argument ist also eine klassische Skalenverkennung. Korallenriffe seien auch etliche Male ausgestorben, haben sich aber wieder erholt – richtig, aber die Erholung tropischer korallenreicher Riffe dauerte jeweils mehrere Millionen Jahre, in einem Fall sogar 140 Millionen Jahre (siehe Leinfelder 2019). Nein, die Erdgeschichte liefert uns keinesfalls Ausreden, um die Notwendigkeit gesamtgesellschaftlicher Verhaltensänderungen zurückzuweisen5. Diese Dominanz von Langzeitnarrativen wird allerdings – oft unbewusst – sogar bei Studierenden der geologischen Wissenschaften auch heute noch implementiert. Dabei erfordern die erdsystemaren, kulturellen und sozialen Herausforderungen des Anthropozäns nicht nur in den Geowissenschaften, sondern in vielen weiteren Fächern einen Wechsel unserer pädagogischen Ansätze6. Richtig betrachtet und mit neuen Narrativen erzählt, liefern die Geowissenschaften sogar überaus hilfreiche integrative Betrachtungsmöglichkeiten (siehe Abschnitt 3.2). Gerade das aus den Erdsystemwissenschaften und der Geologie hervorgegangene Anthropozän-Konzept liefert hier vielversprechende Ansätze und Möglichkeiten, sieht es doch das Heute als ein Produkt von erdgeschichtlichen Langzeitprozessen und den sozioökonomischen Prozessen der modernen Menschheit. Dies erlaubt damit auch die Entwicklung lösungsorientierter gesamtheitlicher Zukunftsszenarien im Kontext eines funktionsfähigen, die Menschheit und alle Organismen mittragenden Erdsystems. Dazu sollen das Konzept im Nachfolgenden kurz vorgestellt und danach einige Anregungen zu dessen gewinnbringender Nutzung im schulischen Kontext gegeben werden.
2. Das Anthropozän-Konzept im Kurzformat
2.1 Die analytischen Ebenen des Anthropozäns
Als „Vater des Anthropozäns“ wird der Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul Crutzen angesehen (Crutzen & Stoermer 2000, Crutzen 2002)7. Das Anthropozän-Konzept kann in mehrere, sich jedoch gegenseitig bedingende Teilbereiche untergliedert werden: Aus den beiden analytischen Ebenen – der erdsystemaren Ebene und der geologisch stratigraphischen Ebene – ergibt sich zwangsläufig eine konsequentiale Metaebene, welche das Anthropozän-Konzept auch zu einem transdisziplinären Zukunftsansatz macht (Leinfelder 2017a, 2019b).
Die erdsystemare Ebene des Anthropozän-Konzepts beschreibt und analysiert die Eingriffe der modernen Menschheit in die verschiedenen Erdsystemsphären. Erdsystemwissenschaften analysieren die Prozesse des Erdsystems, also das Zusammenspiel von Lithosphäre, Pedosphäre, Hydrosphäre, Biosphäre und Atmosphäre, dabei wird zunehmend auch der Einfluss des Menschen (Anthroposphäre als Summe aller Soziosphären) auf diese Natursphären und damit auf die Stabilität des Erdsystems analysiert (Abb. 2). Die festgestellten menschlichen Eingriffe sind inzwischen geradezu von unglaublichem Ausmaß (s. Abb. 1): Die Menschheit ist zu einem wesentlichen Erdsystemfaktor geworden. So verändert sie die feste Erdoberfläche, die Ozeane und die Atmosphäre massiv, dominiert regionale wie globale Wasser-, Sediment-, Klima- und Stoffkreisläufe, produziert gigantische Mengen an Technomaterialien aus Ressourcen der Erdkruste (Box 1), dezimiert die biologische Vielfalt enorm und homogenisiert – wie bereits eingangs angeführt – an deren Stelle die Lebewelt durch Dominanz der von ihr gezüchteten Nutzpflanzen und Nutztiere sowie durch das bewusste oder unbewusste Verbringen regionaler Organismen über den ganzen Globus (z.B. Barnosky et al. 2012, Brown et al. 2013, Ellis 2011, Ellis et al. 2013, Leinfelder 2017a,b, Leinfelder et al. 2012, Steffen et al. 2016, 2020, Waters et al. 2016, Williams et al. 2016, 2018, Zalasiewicz et al. 2019a). Auch die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus muss in diesem anthropozänen Kontext gesehen werden.
Zwar sind die Umwelteingriffe durch den Menschen grundsätzlich gut untersucht und allgemein bekannt, dennoch werden deren globale, erdsystemare Auswirkungen und vor allem auch die Unumkehrbarkeit der meisten dieser Prozesse immer noch überwiegend verdrängt. Dabei ist es schlichtweg eine Tatsache, dass die umweltstabile Zeit des Holozäns, also der erdgeschichtlichen Epoche nach der letzten Eiszeit (welche formal noch bis heute reicht), bereits hinter uns liegt. Das Erdsystem verändert sich rasant, die Gefahr eines Kippens in einen völlig neuen Status ist groß, insbesondere wenn es nicht gelingt, die anthropogene Klimaerwärmung auf global höchstens 2°C zu begrenzen, wobei selbst eine Erwärmung um „nur“ 2°C bereits deutlich außerhalb der Spannbreite des Holozäns liegt (Leinfelder & Haum 2016).
Abbildung 2: Das Erdsystem im Anthropozän, vereinfachte Darstellung. Zu den klassischen Natursphären ist eine weitere hinzugekommen, die Anthroposphäre, als Gesamtausdruck aller menschlichen Aktivitäten und ihrer Hinterlassenschaften. Alle Sphären, also auch die Anthroposphäre, interagieren miteinander (für eine aktuelle wissenschaftliche Darstellung siehe Steffen et al. 2020, Fig. 3).
Box 1: Technosphäre:
Eine ganz besondere Rolle im menschlichen Tun spielt das Ausmaß der Nutzung nicht nachwachsender Ressourcen. So verwendet der Mensch nicht nur fossile Energieträger, deren Verbrennung den anthropogenen Klimawandel bedingen, sondern auch Unmengen anderer Rohstoffe, wie Sand, Kalk, Eisenerze oder seltene Erden, um daraus Gebäude, Infrastrukturen, Geräte, Maschinen und Fahrzeuge zu produzieren, deren Erstellung und Betrieb dann wiederum Energie benötigen. Eine wissenschaftliche Abschätzung der Anthropocene Working Group besagt, dass die Menschheit bislang die unvorstellbare Menge von 30 Billionen Tonnen an „Technosphäre“ hergestellt hat. 40 % dieser Technosphäre befinden sich in und unter den Städten dieser Welt (Zalasiewicz et al. 2017a). Andere technische Produkte, wie insbesondere Kunststoffe, verteilen sich über die ganze Erde. So hat die Menschheit insgesamt mehr als 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoffe erstellt (Geyer et al. 2017). Während die Vorkriegsproduktion minimal war und 1950 erst etwa 1,5 Millionen Tonnen hergestellt wurden, stieg die jährliche Produktion auf nunmehr über 358 Millionen Tonnen8, was schon fast der Biomasse aller lebenden Menschen entspricht (Zalasiewicz et al. 2016, Leinfelder & Ivar do Sul, 2019). 2,5 Milliarden Tonnen des insgesamt produzierten Plastiks sind immerhin derzeit noch in Gebrauch, weltweit betrachtet wird allerdings nur ein sehr kleiner Teil recycelt oder verbrannt, während etwa 4,9 Milliarden Tonnen, also ca. 60 % allen bislang produzierten Plastiks in die Umwelt gelangt sind, sei es in langfristig nicht dauerhafte Deponien oder direkt in die Böden und Gewässer auf Land und im Meer (Geyer et al. 2017). Bau und Betrieb technischer Maschinen aus Naturressourcen ermöglichen wiederum, andere Ressourcen,