Espresso mit Zitrone - Mein wechselvoller Weg als Unternehmerin. Monique R. Siegel

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Название Espresso mit Zitrone - Mein wechselvoller Weg als Unternehmerin
Автор произведения Monique R. Siegel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726071283



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Sie hat uns einmal sogar in Lebensgefahr gebracht. Meine Mutter hatte ein Kleid für mich geschneidert aus einem schwarzen und einem schwarz-weiß karierten Stoff, das ganz leicht anzuziehen war. Es war das »Kellerkleid«, das ich beim ersten Ton der Alarmanlagen alleine anziehen konnte, während meine Mutter alles andere zusammensuchte, was sie wieder einmal mit ihren zwei Händen in den Luftschutzkeller schleppen wollte. Eines Nachts bin ich offenbar sehr ungnädig aufgewacht und habe auf totale Verweigerung gemacht. Ich wollte dieses doofe Kleid nicht anziehen, und als meine Mutter mir dann schließlich das Ding über den Kopf stülpte, ließ ich eine kleine Szene vom Stapel. Es ist mir deshalb in Erinnerung, weil es eine der wenigen Male war, wo meine Mutter die Beherrschung verlor und mich schlug. Obwohl die britischen Flieger eigentlich keine Zeit für so etwas ließen, muß sie mein Geschrei in einem solchen dramatischen Moment dermaßen genervt haben, daß sie ins Kinderzimmer stürzte, wo ihr Vorzeigekind auf dem Bett auf und ab hopste und schreiend verkündete, daß es dieses Kellerkleid nicht anziehen wollte, dieses Vorzeigekind umdrehte und ihm den Popo versohlte. Unnötig zu betonen, daß wir danach nie wieder ein Problem mit dem Kellerkleid gehabt haben.

      Meine Mutter war eine leidenschaftliche Berlinerin, und wie die meisten leidenschaftlichen Berliner war sie in der Provinz geboren: in Pommern – etwas, was sie dem Schicksal übelnahm. Nachdem sie ihre pommersche Herkunft abgestreift hatte, wurde sie eine hundertprozentige Städterin. Alles, was nicht Berlin war, war Provinz. Kein Wunder also, daß sie die Stadt freiwillig nie verlassen hätte, und so blieben wir fast unverantwortlich lange in Berlin, das zum Zentrum der Luftangriffe wurde. Zweimal ist unser Haus durch Bomben beschädigt worden, während wir im Luftschutzkeller waren. Ich spüre heute noch die kalte Zugluft, die durch die Wohnung fegte, als wir wieder oben waren. Die Fensterscheiben hatten beide Male dem Luftdruck nicht standgehalten und lagen danach als Tausende von Splittern buchstäblich überall herum.

      Zweimal konnte man den Brand löschen, die Scheiben wieder ersetzen, aufräumen und weitermachen. Als das Haus dann einen Volltreffer abbekam, waren wir zum Glück nicht mehr in der Stadt, und während alles, was wir besaßen und nicht nach Ostpreußen hatten mitnehmen können, unter einem gewaltigen Trümmerhaufen verschwunden war, waren wir unverletzt. Natürlich mußte meine Mutter sehen, ob noch etwas zu retten war; wie es ihr gelungen ist, mit mir wieder nach Berlin zu reisen, weiß ich nicht, aber ich werde nie den Anblick vergessen, wie sie tränenüberströmt mit bloßen Händen die Trümmer durchgrub, um vielleicht doch noch etwas zu finden, was uns einmal gehört hatte.

      Bilder, die in der Erinnerung leben. Da fällt mir noch eins ein, das zwar auch mit Bombardierungen zu tun hat, aber amüsant ist. Ich bin, wie gesagt, als kleine Erwachsene erzogen worden, und aufgrund der Nähe zu meiner einzigen Bezugsperson war ich auf Stimmungen oder Verhaltensweisen meiner Mutter sensibilisiert. Eines Tages, als ich offenbar noch nicht völlig toilettenfest war, hat sie mich aufs Töpfchen gesetzt, mir ein Bilderbuch in die Hand gedrückt, und mir erklärt, daß sie schnell zum Laden um die Ecke gehen müsse, um einzukaufen. Während sie anstand, gab es Alarm – zum erstenmal fand ein Fliegerangriff am hellichten Tag statt! Sie unten, in der Schlange, und das Kind oben alleine in der Wohnung! So schnell sie rennen konnte lief sie zurück, und schon beim Aufstoßen der Wohnungstüre rief sie mir zu, daß ich mich sofort anziehen sollte, weil wir in den Keller müßten. Bis dahin hatten wir über Tag nur Probe-Alarm gehabt, und ich begriff nicht, warum sie so aufgeregt war. Ich wollte sie beruhigen und sagte tröstend, während ich auf dem Töpfchen sitzenblieb: »Aber das ist doch nur Probe-Alarm.« Wenn Sie glauben, SIE hätten Probleme, wenn Sie Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn irgend etwas erklären müssen, stellen Sie sich mal vor, was es heißt, ein Kind davon zu überzeugen, daß man diesmal den Ernstfall probt. Offensichtlich muß es ihr gelungen sein – ohne Tracht Prügel –, aber auch der Ernstfall des ersten Tagesangriffs, dem natürlich weitere folgen würden, hat sie nicht dazu bringen können, freiwillig Berlin zu verlassen.

      Eines Tages, im Sommer 1943, gab es dann aber keine andere Wahl mehr; es wurde der Zivilbevölkerung befohlen, die Stadt, die laufend bombardiert wurde, zu verlassen. Unser Ziel war ein Kaff namens Kreuzingen in Ostpreußen, wo man uns in Sicherheit glaubte.

      Als verantwortungsbewußte Mutter wird sich die meine im voraus Gedanken gemacht haben, was sie in diese Exilierung mitnehmen wollte, und vielleicht wird Ihnen das im nachhinein alles etwas komisch vorkommen. Also, da waren, wo immer wir hinmußten – Keller oder anderes Gebiet in Deutschland – vor allem die Federbetten. In jeder Hand trug meine Mutter eines dieser unförmigen Bündel, die sich, wenn man sie entbündelte, als wahre Schatzkammern entpuppten. Ein paar Dinge sind mir noch in Erinnerung:

       das Allernötigste an persönlicher Kleidung für uns beide

       Bettwäsche zum Wechseln

       das elektrische Bügeleisen

       ein paar Werkzeuge

       alle Papiere, ohne die man im Deutschland der 40er Jahre nicht auskommen konnte

       Fotos

       ein paar kleinere persönliche Erinnerungsgegenstände

      Sicher wird da noch manches andere drin gewesen sein, aber an die vorher erwähnten Gegenstände erinnere ich mich noch genau, besonders an das Bügeleisen, das schwer und unhandlich war, aber noch sehr lange in unserem Leben blieb und uns viele gute Dienste geleistet hat.

      Kreuzingen. Nicht Königsberg, sondern ein wirklich unterentwickeltes Dorf im Nordosten des damaligen Deutschlands. Die Dorfstraße hatte eine Molkerei, eine Metzgerei und eine Bäckerei. Es gab einen Gasthof, Zentrum des öffentlichen Gesellschaftslebens – und wir hatten das Glück, dort im zweiten Stock ein Zimmer zu bekommen. »Glück« bedeutet hier, daß alles andere noch viel schlimmer gewesen wäre, als es ohnehin schon war. Das Zimmer war klein und abgeschrägt; zwei Betten entlang den beiden Längswänden, vor einem der Eßtisch, anschließend an das andere der Gaskocher. An einem Ende ein Dachfenster, am anderen eine Waschgelegenheit. Ein Kleiderschrank und eine Kommode werden auch noch Platz gehabt haben, aber damit war das kleine Zimmer überfüllt. Ich erinnere mich an diese Möblierung sehr genau, aus verschiedenen Gründen:

      Ich habe mich offenbar bemüht, in das Jahr, das wir dort hausten, so viele Krankheiten wie möglich hineinzupacken. Meine arme Mutter! Da war zuerst einmal das, was die Einheimischen »die polnische Krankheit« nannten: Infolge unzureichender Hygiene war der Körper mit unzähligen roten Pusteln übersät, die grauenhaft juckten. Wenn man kratzte, entstanden häßliche kleine Narben. Ich hatte mich angesteckt beim Spielen mit den einheimischen Kindern, zu denen auch die der Knechte und Mägde gehörten, die auf dem zum Gasthof gehörenden Bauernhof arbeiteten. Die Heilung war fast schlimmer als die Krankheit: Meine Mutter hatte eine stinkende Tinktur erworben, mit der sie mich von oben bis unten einreiben mußte. Das Zeug brannte dermaßen, daß ich schreiend zwischen dem offenen Fenster und der geöffneten Tür hin- und herlief, damit der Luftzug, der dadurch entstand, mir etwas Linderung brachte. Die Ausmaße des Zimmers haben sich mir also eingeprägt, zumal ich es geschafft haben, in diesem einen Jahr gleich dreimal die Krätze zu kriegen!

      Damit es meiner Mutter und mir in den Zeiten dazwischen nicht langweilig wurde, bekam ich irgendwann Gelbsucht. Eine mühsam-langwierige Angelegenheit, der nur mit strikter Diät beizukommen war. Und krankheitsbedingte Diäten in Zeiten der Not sind alles andere als einfach einzuhalten. Während dieser Krankheit hatte ich viel Zeit, an die Decke zu starren oder meiner Mutter beim Kochen zuzusehen. Das Zimmer wurde mir sehr vertraut.

      Irgendwann habe ich dann einen Unfall bewerkstelligt: Jemand hat mich auf dem Gepäcknetz eines Fahrrads mitgenommen. Dort sollte man die Füße auf die Radnabe stellen oder ganz weit Wegstrecken. Ich fand beides überflüssig – und schon war ein Fuß in den Speichen des Hinterrads! Eine Narbe am rechten Knöchel zeugt noch heute davon. Wiederum hatte ich Gelegenheit, das Zimmer zu »genießen«.

      Schließlich setzte ich allem die Krone auf, indem ich Scharlach bekam. Windpocken, Keuchhusten und Masern hatte ich noch in Berlin abgehakt. Meine Mutter wartete mit angehaltenem Atem darauf, ob ich ihr jetzt noch Diphtherie antun würde, doch da habe ich sie enttäuschen müssen. Aber für ein Jahr waren dreimal Krätze, Gelbsucht, Scharlach und der Radunfall eigentlich auch genug, oder?

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