Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
»Ah, die gnädige Frau Baronin! Wie geht es denn?« Es war der Dorfpfarrer.
Die Mama, die in der Zeit der Philosophen geboren und von einem ziemlich ungläubigen Vater während der Revolutionszeit erzogen war, besuchte die Kirche niemals, obschon sie die Geistlichkeit mit einer Art religiösem Instinkt der Frauen ganz gern hatte.
Sie hatte bis dahin ihren Pfarrer, den Abbé Picot, ganz vergessen und errötete jetzt unwillkürlich. Sie entschuldigte sich, dass sie seinem Besuche nicht zuvorgekommen sei, aber der gute Mann war durchaus nicht verletzt. Er sah Johanna an, grüsste sie mit freundlicher Miene, setzte sich, legte seinen Dreispitz auf die Knie und wischte sich die Stirn ab. Er war sehr stark, sehr rot und schwitzte sehr. Jeden Augenblick zog er ein mächtiges karriertes und schon ganz feuchtes Taschentuch hervor, mit dem er sich Gesicht und Nacken abwischte. Aber kaum hatte er es wieder in seine geräumige Tasche versenkt, als schon wieder neue Tropfen auf seiner Stirn standen und auf die hervorstehenden Teile seiner Soutane rannen, wo sie sich mit dem dort angesammelten Staube zu kleinen Flecken verbanden.
Er war heiter, gesprächig, nachsichtig; ein echter Landpriester. Er erzählte allerlei Geschichten, sprach von den Landleuten und ließ sich nicht im Geringsten merken, dass er seine beiden Pfarrkinder noch nicht in der Kirche gesehen hatte. Bei der Baronin schob er dies auf eine natürliche Folge ihrer verschwommenen religiösen Ideen; bei Johanna auf die ganz erklärliche Freude, dem Kloster entronnen zu sein, wo man sie in Andachtsübungen geradezu erstickt hatte.
Jetzt erschien auch der Baron, der als Pantheist sich den Dogmen gegenüber völlig indifferent verhielt. Er war sehr liebenswürdig gegen den Pfarrer, den er oberflächlich kannte, und lud ihn ein, zu Tisch zu bleiben.
Der Priester war einsichtig genug, in keiner Weise anzustossen. Er hatte durch seine langjährige Erfahrung als Seelenführer sich jene Zurückhaltung angeeignet, welche die anderen niemals unnötig fühlen lässt, dass man berufen ist, über sie einen besonderen Einfluss auszuüben.
Die Baronin verhätschelte ihn; vielleicht mochte sie sich unwillkürlich durch eine Art geistige Verwandtschaft zu ihm hingezogen fühlen. Das vollblütige Gesicht und der kurze Atem des Pfarrers erinnerte sie an ihr eigenes Leiden.
Beim Dessert hatte der liebenswürdige Mann alle Mühe, sich der Aufmerksamkeit zu erwehren, mit der die Baronin ihm immer wieder vorlegen ließ.
Plötzlich rief er wie jemand, dem eine glückliche Idee durch den Kopf schiesst:
»Denken Sie nur, ich habe ein neues Pfarrkind, das ich Ihnen notwendig vorstellen muss. Es ist der Herr Vicomte de Lamare.«
Die Baronin, welche den ganzen Adel der Provinz an den Fingern aufzählen konnte, fragte:
»Einer von den Lamare’s von Eure?«
»Zu dienen, Madame«; sagte der Priester, sich verbeugend, »der Sohn des letzthin verstorbenen Vicomte Johann de Lamare.«
Madame Adelaïde, die für den Adel überaus schwärmte, richtete nun eine Menge Fragen an ihn und erfuhr, dass der junge Mann, um die väterlichen Schulden zu bezahlen, sein Schloss verkauft und sich im Erdgeschoss eines der drei Pachthöfe, die er noch in der Gemeinde Etouvent besass, eingerichtet hatte. Seine Einkünfte betrugen alles in allem fünf bis sechs Tausend Francs. Aber der junge Mann war sehr vernünftig und sparsam. Er wollte zwei oder drei Jahre ganz einfach und bescheiden hier auf dem Lande wohnen und sich so viel zurücklegen, dass er dann, ohne Schulden zu machen oder seine Pachthöfe zu belasten, eine Rolle in der Welt spielen konnte. Das Endziel seiner Wünsche war natürlich eine vorteilhafte Heirat.
»Es ist ein vortrefflicher charaktervoller junger Mann«, setzte der Pfarrer hinzu, »so wohlerzogen, so gutmütig. Aber er langweilt sich natürlich etwas hier auf dem Lande.«
»Bringen Sie ihn zu uns, Herr Abbé!« sagte der Baron, »vielleicht können wir ihm etwas Zerstreuung bieten.«
Dann sprach man von anderen Dingen.
Als man im Salon den Kaffee eingenommen hatte, bat der Priester um die Erlaubnis, eine kleine Promenade im Garten machen zu dürfen; er habe die Gewohnheit, sich nach der Mahlzeit etwas Bewegung zu verschaffen. Der Baron begleitete ihn. Sie gingen langsam längs der weißen Facade des Schlosses, kehrten wieder um und begannen ihren Spaziergang aufs Neue.
Ihre Schatten, der eine mager, der andere rund und wie ein flacher Pilz, folgten ihnen bald, bald eilten sie ihnen voraus, je nachdem sie das Mondlicht im Rücken oder vor sich hatten. Der Pfarrer rauchte eine Art Zigarette, die er aus der Tasche gezogen hatte. Er setzte den Nutzen derselben dem Baron in der freien Art der Leute vom Lande auseinander: »Es befördert die Verdauung, da ich oft an starken Blähungen leide«, sagte er.
Dann stand er plötzlich still und sagte, den klaren Sternenhimmel betrachtend:
»Man wird doch niemals müde, das anzuschauen.« Hierauf kehrte er zurück, um sich von den Damen zu verabschieden.
*
III.
Am nächsten Sonntag begaben sich die Baronin und Johanna von einer Art zarter Rücksicht auf den Pfarrer getrieben, zur Messe nach Etouvent.
Nach der Kirche warteten sie auf ihn, um ihn für den nächsten Donnerstag zum Frühstück einzuladen. Er kam Arm in Arm mit einem hochgewachsenen elegant gekleideten jungen Mann, der ihn vertraulich unter den Arm genommen hatte, aus der Sakristei. Sobald er die beiden Damen bemerkte, rief er mit dem Ausdruck freudiger Überraschung:
»Das trifft sich ja herrlich! Gestatten die Damen, Ihnen unsern Nachbar, Herrn Vicomte de Lamare vorzustellen.«
Der Vicomte verbeugte sich höflich und versicherte, dass es schon lange sein Wunsch gewesen sei, die Bekanntschaft der Damen zu machen. Hierauf begann er in geschickter Weise die Unterhaltung und erwies sich dabei als ein Mann, der weiß, was sich gehört. Er hatte jenes angenehme Äussere, von dem die Frauen so gern träumen und dem niemand gram sein kann. Schwarze wohlgepflegte Haare umrahmten seine gebräunte glatte Stirn; dichte Augenbrauen, so regelmässig, als seien sie gemeiselt, überschatteten seine zärtlich blickenden, tiefliegenden dunklen Augen, bei denen das Weiße einen leichten Schimmer von Blau zeigte.
Seine