Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
Man hatte die Dächer erneuert, alle Schäden ausgebessert, die Mauern geflickt, Zimmer neu tapeziert, das ganze Innere des Schlosses von oben bis unten frisch angestrichen. Das alte finstere Gebäude hatte an allen Fenstern weiße Blendladen erhalten, die von weitem wie große Flecken aussahen; die große graue Façade war frisch getüncht.
Von der anderen Seite aus, wohin auch ein Fenster von Johannas Zimmer ging, sah man über das Bosquet und die lebendige Mauer der geknickten Ulmen hinweg auf das Meer.
Johanna und der Baron gingen Arm in Arm und sahen sich alles an; auch der kleinste Winkel blieb nicht unbeachtet. Dann wandelten sie langsam in den langen Pappel-Alleen herum, die den sogenannten Park begrenzten. Überall breitete sich unter den Bäumen der üppig wuchernde Grasteppich aus. Johanna war entzückt, als sie jetzt die verschlungenen Pfade des dichtbelaubten Bosquets betraten. Ein plötzlich aufspringender Hase entlockte ihr unwillkürlich einen kleinen Schreckensschrei; dann aber schaute sie ihm belustigt nach, wie er in großen Sätzen durch das Riedgras der Hügelkette zueilte.
Nach dem Frühstück erklärte Madame Adelaïde, dass sie noch sehr erschöpft sei und sich noch ausruhen müsse. Der Baron schlug daher Johanna einen Spaziergang nach Yport vor.
Sie hatten bald das Dörfchen Etouvent erreicht, und die Landleute, die ihnen begegneten, grüssten sie wie alte Bekannte.
Jetzt betraten sie die Gehölze, welche sich, den Windungen eines langsam absteigenden Tales folgend, bis zur Küste hinziehen.
Nach kurzer Zeit waren sie bei Yport angelangt. Einige Frauen, die an der Türe ihrer Wohnungen sassen und Kleidungsstücke flickten, schauten ihnen neugierig nach. Längs der abwärts führenden Strasse floss ein kleiner Bach. Zahlreiche Schmutzhaufen bedeckten den Boden; sie strömten einen kräftigen Geruch aus, und die kleinen Wassertümpel, welche vor den Türen der rauchigen Häuser in der Sonne trockneten, vereinigten ihren Dunst mit dem, der aus dem Innern der dichtbewohnten Räume drang.
Einige Tauben suchten am Rande des Baches nach Nahrung.
Johanna betrachtete alles mit Neugier; es kam ihr vor wie die Dekoration eines Theaterstückes.
Plötzlich, als sie um eine Mauer herumkamen, lag das Meer vor ihr mit seinem ruhigen tiefen Blau soweit das Auge reichte.
Sie blieben stehen und betrachteten das entzückende Schauspiel. In der Ferne tauchten einige Segel auf, weiß wie die Flügel einer Möve. Rechts und links sah man die enormen Felsen der Küste. Auf der einen Seite wurde der Blick durch eine Art Vorgebirge gehemmt, während auf der anderen Seite die Küste sich endlos ausdehnte, bis man nur noch einen schmalen langen Streifen erblickte.
Ein Hafen und einige Häuser wurden in einer der nächsten Ausbuchtungen sichtbar; leichte kleine Wellen brachen sich am Gestade und umgaben das Meer mit einem schaumigen weißen Saume.
Fischerbarken ruhten seitwärts umgestülpt auf den runden Kieseln des Strandes; ihr mit grünlichem Moose bedeckter Kiel trocknete in der Sonne. Einige Fischer waren mit der Herrichtung für die Zeit der abendlichen Flut beschäftigt.
Einer derselben näherte sich ihnen und bot Fische zum Verkauf an. Johanna nahm eine Goldbutte, welche sie selbst nach Peuples zurückbringen wollte.
Der Mann bot ihnen dann noch seine Dienste für etwaige Bootsfahrten an, indem er wiederholt seinen Namen nannte, damit sie ihn ja nicht vergessen möchten:
»Lastique, Josephin Lastique.«
Der Baron versprach, an ihn zu denken.
Dann schlugen sie wieder den Weg zum Schlosse ein.
Da das Tragen des starken Fisches Johanna ermüdete, so schoben sie den Stock ihres Vaters durch seine Kiemen und fassten jeder ein Ende desselben an. Vergnügt und heiter plaudernd wie zwei Kinder stiegen sie den Weg nach Etouvent hinan. Der leichte Seewind umspielte ihre Stirnen, während der Fisch, an dem sie gehörig zu tragen hatten, mit seinem fetten Schwanze hin und her schwankte.
*
II.
Ein herrliches freies Leben hatte jetzt für Johanna begonnen. Sie las, träumte und trieb sich ganz allein in der Umgegend herum. Bald wandelte sie langsamen Schrittes traumverloren längs der Strasse, bald hüpfte sie wie ein junges Reh durch die zahlreichen kleinen wildromantischen Täler. Der starke würzige Duft, den die Blumen im Grase ausströmten, war ihr der liebste Parfum, und stundenlang lauschte sie, von denselben umgeben, dem einschläfernden Geräusch der in der Ferne rollenden Brandung.
Zuweilen, wenn sie bei der Biegung eines Tales plötzlich am Rande des grünen Rasenstreifens den bläulichen Schimmer des Meeres bemerkte, über welches sich ein leichter Dunstschleier lagerte, kam es über sie wie die Hoffnung auf das Nahen irgend eines geheimnisvollen Glückes.
Sie liebte die Einsamkeit in dieser süssen erquickenden Frische der Landluft mit ihrer majestätischen Ruhe. Oft sass sie so lange auf dem Gipfel eines Hügels, dass die Kaninchen ihre Furcht vergassen und sich lustig zu ihren Füssen tummelten.
Dann eilte sie wieder wie von einem leichtbeschwingten Lüftchen getragen an die Küste. Gleich den Fischen im Wasser und den Schwalben in der Luft genoss sie in vollen Zügen die Freude der freien Bewegung.
Überall brachte sie kleine Erinnerungszeichen an, jener Art von Erinnerungen, die bis zum Tode festwurzeln. Es war ihr, als versteckte sie ein Teilchen ihres eigenen Herzens an all’ den verborgenen Plätzchen dieser stillen Täler.
Mit Leidenschaft badete sie in der See; kräftig und mutig wie sie war, dachte sie an keine Furcht und tauchte häufig tief unter. Das klare blaue Wasser, welches sie schaukelnd auf seinem Rücken trug, tat ihr mit seiner erquickenden Frische unendlich wohl. War sie weit genug vom Ufer, so legte sie sich auf den Rücken, kreuzte die Arme über der Brust und starrte traumverloren zum azurfarbenen Himmel empor, an dem pfeilschnell die Schwalben oder weiße Möven vorüberschossen. Nur von Weitem hörte sie das Murmeln der