Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
Papa Simon, der Kutscher, sass bei dem heftigen Regen mit tief gesenktem Haupte und stark gekrümmten Rücken auf seinem Sitze; er verschwand fast ganz unter dem dreifachen Kragen seines englischen Kutschermantels. Unaufhörlich klatschte der Regen an die Fensterscheiben, während die Strasse einem See glich.
Der Wagen rollte in scharfem Trabe dem Hafendamm entlang bei den großen Schiffen vorbei, die mit ihren leeren Masten und Raen und dem schlaff herabhängenden Tauwerk wie entblätterte Bäume traurig gen Himmel starrten. Dann bog er in den langen Boulevard du mont Riboudet ein.
Bald fuhr man an weitgestreckten Wiesen vorüber. Hin und wieder tauchte eine Weide ihre herabhängenden Zweige in die blinkende Wasserfläche. Sonst zeigte sich nichts Lebendes in dieser trostlosen Öde. Man hörte nur den Hufschlag der trabenden Rosse und das Rollen des Wagens, dessen vier Räder wie große Wasserscheiben aussahen.
Im Innern herrschte allgemeines Schweigen; der Geist der Reisenden schien wie die Erde in der Feuchtigkeit zu ersticken. Mama hatte den Kopf an die Polster gelehnt und schloss die Augen. Der Baron betrachtete gelangweilt die einförmige triefende Gegend; Rosalie, die ein Packet auf dem Schosse hatte, träumte in jener stumpfsinnigen Art der Leute aus dem Volke. Nur Johanna fühlte bei diesem einförmigen Geriesel des Regens ihren Geist neu erwachen, wie eine Pflanze, die man aus dem dumpfen Zimmer in die frische Luft bringt. In ihrem Herzen war kein Platz für trübsinnige Gedanken. Wenngleich sie sich ebenfalls stumm verhielt, so hätte sie doch am liebsten laut gesungen und die Hände zum Fenster herausgestreckt, um den Regen aufzufangen. Sie freute sich, dass der scharfe Trab der Pferde sie immer weiter ins Land herausführte, dessen Öde für sie nichts Abschreckendes hatte.
Die Kruppen der Pferde glänzten unter dem niederströmenden Regen wie blanke Spiegel.
Allmählich schlief die Baronin richtig ein. Ihr von sechs Lockenreihen gleichförmig umrahmtes Gesicht sank immer tiefer auf die dreifache Wölbung ihres Unterkinns, dessen letzter Teil sich beinahe mit ihrer hochgewölbten Brust vereinigte. Endlich neigte sich ihr Haupt nach rückwärts, ihre hochgeröteten Wangen bliesen sich bei jedem Atemzuge auf, während zwischen ihren halbgeöffneten Lippen ein kräftiges Schnarchen hervordrang. Ihr Mann beugte sich zu ihr herüber und legte leise in ihre gefalteten Hände eine kleine Ledertasche.
Sie wachte bei dieser Berührung auf und betrachtete den Gegenstand mit schlaftrunkenem Blick wie jemand, der aus tiefem Traume emporfährt. Das Täschchen fiel herunter und aus seinem Inneren rollten Goldstücke auf den Boden der Kalesche, während mehrere Banknoten neugierig hervorlugten. Sie erwachte jetzt völlig bei dem herzhaften kindlichen Gelächter ihrer Tochter.
»Schau, meine Teure!« sagte der Baron, das Geld zusammenraffend und ihr in den Schoss legend, »das ist alles, was mir vom Verkauf des Pachthofes von Eletot übrig geblieben ist. Wir müssen es für die Restaurierung von Peuples verwenden, wo wir zukünftig sehr oft wohnen werden.«
Sie zählte sechstausend vierhundert Francs, welche sie ruhig in ihre Tasche steckte.
Von den einunddreissig Pachthöfen, die ihnen die Eltern hinterlassen hatten, war dies der neunte, den sie verkauften. Sie besassen immerhin noch zwanzigtausend Livres an Einkünften aus ihren Besitzungen, die bei halbwegs guter Verwaltung leicht auf dreissigtausend hätten gesteigert werden können.
Bei ihrer an sich einfachen Lebensweise hätte dieses Einkommen vollständig genügt, wenn es in ihrem Haushalte nicht ein unergründliches Loch gegeben hätte: ihre Herzensgüte. Diese ließ das Geld unter ihren Händen schmilzen wie den Schnee unter der Sonne. Kaum eingenommen, war es auch schon wieder dahin. Wohin? Niemand wusste es genau. Jeden Augenblick sagte eines von ihnen: »Ich möchte nur wissen, wie das zugeht; ich habe heute wieder hundert Francs gebraucht, ohne etwas Besonderes gekauft zu haben.«
Übrigens bildete diese Freigebigkeit ihr grösstes Lebensglück; in diesem Punkte verstanden sie sich beide vortrefflich.
»Ist es jetzt hübsch, mein Schloss?« fragte Johanna.
»Du sollst ’mal sehen, liebes Kind!« sagte der Baron vergnügt.
Die Heftigkeit des Unwetters milderte sich allmählich. Es fiel nur noch ein feiner Sprühregen. Der Wolkenschleier schien sich immer mehr zu heben, der Himmel hellte sich auf und plötzlich fiel durch ein Loch im Gewölk ein blendender Sonnenstrahl auf die Gefilde.
Immer lockerer wurde das Gewölk und ließ das Blau des Äthers hervortreten, wie ein Schleier, der langsam in Fetzen zerrissen wird. Über der Erde lachte wieder ein herrlicher azurner Himmel.
Es ging ein frischer erquickender Luftzug wie ein beglücktes Aufseufzen der Erde. Und wenn man jetzt, wo die Gegend wieder belebter wurde, an Gärten oder Gehölzen vorbeifuhr, so hörte man hin und wieder den munteren Gesang eines Vogels, der sein Gefieder trocknete.
Der Abend brach heran. Im Wagen schlief jetzt alles ausser Johanna. Zweimal machte man an Gasthäusern Halt, um die Pferde zu tränken und sie bei ihrem Futter etwas verschnaufen zu lassen.
Die Sonne war untergegangen; aus der Ferne klangen die Abendglocken. In einem kleinen Dorfe musste man die Laternen wegen der Dunkelheit anzünden; auch am Himmel wimmelte es von Sternen. Hin und wieder glänzten die erleuchteten Fenster eines Hauses durch das Dunkel der Nacht. Und plötzlich stieg hinter einem Hügel zwischen dem Geäst der Kiefernbäume das volle rötliche Licht des Mondes auf, der wie im Traum befangen langsam seine Bahn dahinzog.
Es war so lau, dass man die Fenster herunterlassen konnte. Johanna, die mit offenen Augen sich glücklichen Träumen hingegeben hatte, machte sich’s jetzt auch bequemer. Nur zuweilen erwachte sie durch einen leichten Ruck des Wagens oder das veränderte Tempo der Pferde. Wenn sie dann auf einen Augenblick hinausschaute, bemerkte sie im Vorbeifahren hier eine Farm, dort ein paar Kühe, die behaglich wiederkäuend langsam den Kopf nach dem Wagen umwandten. Hierauf suchte sie in einer neuen Lage den halbvollendeten Traum wieder anzuspinnen; aber das Rollen des Wagens wirkte ermüdend auf ihre Sinne. Ihre Gedanken verwirrten sich und endlich war auch sie ziemlich fest eingeschlummert.
Plötzlich