Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
Diese Art Park war rechts und links von zwei aus mächtigen Pappeln bestehenden Alleen eingesäumt; man nannte sie im Dialekt der Normandie »les peuples«, woher auch der Name des Schlosses stammte. Sie trennten die Wohnungen der dort hausenden beiden Pächterfamilien Couillard und Martin voneinander.
Jenseits dieses Parks lag eine geräumige unbebaute Fläche, in deren Riedgras Tag und Nacht der Seewind spielte. Dann stieg plötzlich die Küste auf, eine Hügelkette von etwa hundert Meter Höhe, steil und kahl, deren Fuss von den Wogen des Meeres umspült wurde.
Johanna bemerkte ganz in der Ferne den langen, glänzenden Streifen des Wassers, welches bei dem sanften Mondlicht zu schlummern schien. In dieser erquickenden Frische der Nacht spürte man doppelt den würzigen Hauch der Blüten und Kräuter. Der durchdringende Duft des Jasmins, welcher an den Fenstern des Erdgeschosses rankte, mischte sich mit dem leichten Geruche des durch den gestrigen Regen neuerquickten Laubes. Ein leichter Luftzug trug von fern her die salzige Ausdünstung des Meeres und des Seegrases herüber.
Das junge Mädchen sog mit Wonne die erquickende Luft ein; die Ruhe der Natur wirkte auf sie wie ein erfrischendes Bad.
Alle Tiere, die mit dem Einbruch der Nacht zum Leben erwachen und ihr Dasein unter ihrem Schutze fristen, erfüllten das stille Halbdunkel mit ihrer geräuschlosen Tätigkeit. Große Vögel, deren Schatten weithin auf die Erde fielen, flogen ohne einen Schrei wie dunkle Flecken durch die Luft. Das Summen unsichtbarer Insekten klang an Johannas Ohr; leichtes Rascheln ertönte in dem dichten Grase oder auf dem Sande der einsam daliegenden Parkwege.
Nur hin und wieder ließ eine Kröte ihren melancholischen einförmigen kurzen Ruf vernehmen.
Johanna fühlte, wie ihr das Herz aufging, wie das stille geräuschlose Leben dieser Nacht in demselben tausend Begierden erweckte. Der eigentümliche Reiz dieser schlummernden und doch so belebten Natur umfasste alle ihre Sinne. Sie glaubte übermenschliche Laute zu vernehmen, sie hörte ein Stammeln von unerreichbaren Wünschen, das Rauschen eines unbekannten Glückes. Sie begann von Liebe zu träumen.
Liebe! Seit zwei Jahren hatte sie mit steigender Furcht deren Nahen gescheut. Jetzt hatte sie das Recht zu lieben; sie brauchte ihr nur zu begegnen, die Liebe.
Wie würde »er« beschaffen sein? Noch wusste sie es nicht recht und wollte es auch eigentlich nicht wissen. Er würde eben »er« sein. Das genügte zunächst.
Sie wusste nur, dass sie denselben von ganzem Herzen verehren, dass sie ihm mit ganzer Seele angehören würde. Sie würden in Nächten wie diese, beim Glanz der Sterne, zusammen lustwandeln. Sie würden Hand in Hand, fest aneinander geschmiegt, dahingehen, würden das Klopfen ihres Herzens hören, die Wärme ihres Körpers spüren, ihre zärtlichen Gefühle mit den lieblichen Düften dieser Nacht verschmelzen und sich ganz dem wonnigen Gefühle hingeben, eins zu sein in ihrem Denken und Fühlen.
Und das würde so fort und fort gehen in dem Rausche einer unzerstörbaren Liebe.
Plötzlich schien es ihr, als ob sie »ihn« drüben bemerkte; ein unerklärlicher wollüstiger Schauer durchrieselte sie vom Kopf bis zu den Füssen. Sie presste unwillkürlich die Hände gegen die Brust, wie um das Traumbild zu umfangen. Es war ihr, als berührte ihre Lippen, die sie dem Unbekannten entgegen streckte, etwas, was sie fast in Ohnmacht sinken machte; als habe der Frühlingshauch ihr einen Liebeskuss gegeben.
Wirklich vernahm sie jetzt Schritte da unten hinter dem Schlosse auf der Strasse. Bei der eigentümlichen seelischen Verfassung, in der sie sich befand und die sie an etwas Unmögliches, an einen übernatürlichen Zufall, an eine höhere Fügung, kurz an irgendetwas recht romantisches glauben ließ, dachte sie bei sich: »Wenn er das wäre?« Ängstlich lauschte sie auf die Schritte des nächtlichen Wanderers, fast überzeugt, dass er im nächsten Augenblick am Tore läuten und um Gastfreundschaft bitten werde.
Als die Schritte verhallten, wurde sie traurig wie nach einer herben Enttäuschung. Dann aber sah sie das Törichte ihrer Hoffnungen ein und lachte über ihre wahnwitzige Fantasie.
Nun ließ sie, etwas beruhigter, ihren Geist in natürlichere Fernen schweifen; sie suchte ihre Zukunft zu erforschen und sich ihr ferneres Leben auszumalen.
Hier würde sie also mit »ihm« leben, hier in diesem stillen Schloss am Meere. Jedenfalls würden sie zwei Kinder haben, einen Jungen für ihn, ein Mädchen für sie. Sie sah dieselben im Grase spielen zwischen der Platane und der Linde, während Vater und Mutter ihnen mit sorglichen Augen folgten, was sie nicht hinderte, dabei sich selbst zuweilen mit zärtlichen Blicken anzuschauen.
Lange, endlos lange, träumte sie so fort, während der Mond das Ende seiner Bahn erreichte und langsam ins Meer unterzutauchen begann. Die Luft wurde frischer. Im Osten bleichte der Horizont. Rechts auf der Farm krähte ein Hahn; von der anderen Seite erhielt er Antwort. Durch die Wände des Stalles gedämpft schienen ihre Stimmen von sehr weit her zu kommen. An dem unermesslichen Himmelsdome, der sich immer mehr erhellte, verlöschten die Sterne.
Der Ruf eines Vogels erschallte. Ein Zwitschern, anfangs schwach und ängstlich, drang aus dem Gebüsch; dann wurde es lauter, zuversichtlicher freudiger, und endlich klang es jubelnd weiter von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch.
Johanna sah sich plötzlich von strahlender Helle umgeben; und als sie das Haupt hob, das bis da zwischen ihren Händen geruht hatte, schloss sie die Augen, geblendet vom Widerschein der Morgenröte.
Ein purpurfarbenes Wolkengebirge, zum Teil noch hinter der großen Pappel-Allee versteckt, warf blutigrote Lichtstreifen auf die wiedererwachte Erde.
Und langsam die Wolken teilend, die Bäume, die Wiesen, den Ozean, den ganzen Horizont endlich mit feurigem Lichte überflutend, ging der flammende Sonnenball auf.
Johanna war wie vom Glück berauscht.
Eine kindische Freude, eine zärtliche Bewunderung der herrlichen Natur durchdrang ihr Herz. Das war ihre Sonne, ihr Morgenrot! Der Anfang ihres Lebens! Das Erstehen ihrer Hoffnungen! Sie breitete ihre Arme gegen den Horizont aus, als wollte sie die Sonne umarmen; sie wollte sprechen, irgendetwas rufen, was ebenso erhaben war, wie dieser Anbruch des Tages. Aber sie blieb wortlos, wie gebannt in ohnmächtiger Begeisterung. Dann verhüllte sie ihr Antlitz mit den Händen, und Tränen, süsse Tränen