Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962817695



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von In­sek­ten al­ler Art. Da sah man sol­che mit glän­zen­den bunt­ge­fleck­ten Flü­gel­de­cken, dann wie­der an­de­re mit grün­li­chem Schim­mer, tief­schwar­ze mit ei­nem klei­nen Horn ver­se­hen; und das al­les leb­te, wog­te, krab­bel­te und tanz­te auf die­sem lich­ten war­men Plätz­chen in­mit­ten des ei­si­gen Dun­kels, wel­ches sonst das dich­te Laub­dach her­vor­rief.

      Sie setz­ten sich so, dass ihre Ge­sich­ter noch Schat­ten er­hiel­ten, wäh­rend sie die Füs­se in die war­men Son­nen­strah­len streck­ten. Mit In­ter­es­se be­trach­te­ten sie das klei­ne an­zie­hen­de Bild voll Le­ben und Le­bens­lust, das sich vor ih­ren Au­gen ab­spiel­te.

      »Wie schön!« sag­te Jo­han­na. »Es ist doch gar zu herr­lich auf dem Lan­de. Ich möch­te zu­wei­len eine Flie­ge oder ein Schmet­ter­ling sein, um in die Kel­che der Blu­men zu tau­chen.«

      Sie spra­chen dann von sich selbst, von ih­ren Ge­wohn­hei­ten und Nei­gun­gen, in je­nem lei­sen ver­trau­li­chen Ton, in dem man sich sol­che Mit­tei­lun­gen macht. Er be­haup­te­te, das Le­ben in der großen Welt, de­ren läp­pi­sches Trei­ben ihn an­wi­de­re, schon müde zu sein. Es sei im­mer die­sel­be Ge­schich­te, nir­gends fän­de man Wahr­heit, nir­gends Auf­rich­tig­keit.

      Die Welt! Sie hät­te die­sel­be frei­lich schon gern mal ken­nen ge­lernt; aber sie war von vorn­her­ein über­zeugt, dass sie ihr das Land­le­ben nicht er­set­zen kön­ne.

      Und mehr und mehr schlu­gen ihre Her­zen zu­sam­men; im­mer fei­er­li­cher klang ih­nen das »mein Herr« und »mein Fräu­lein«, mit dem sie sich an­re­de­ten, und im­mer öf­ter ver­senk­ten sich ihre lä­cheln­den Bli­cke in­ein­an­der. Es schi­en ih­nen bei­den, als ob sich ein grös­se­res ge­gen­sei­ti­ges Wohl­wol­len zwi­schen ih­nen ent­wi­cke­le, eine in­ni­ge­re Zu­nei­gung, ein ge­mein­schaft­li­ches In­ter­es­se an tau­send Din­gen, wie sie es bis­her nie­mals emp­fun­den hat­ten.

      Als sie zu­rück­ka­men, war der Baron zu Fuss nach der Da­men-Kam­mer, ei­ner Fel­sengrot­te an der Küs­te, ge­gan­gen. Sie war­te­ten also beim Wirts­hau­se auf ihn.

      Erst ge­gen fünf Uhr abends, nach ei­nem lan­gen Spa­zier­gang an der Küs­te, kehr­te er zu­rück.

      Man be­stieg wie­der die Bar­ke. Ganz sanft, den Wind im Rücken, ohne je­den Sto­ss und je­des Schau­keln glitt sie vor­wärts; man be­merk­te kaum, dass sie sich be­weg­te. Nur mit Ab­sät­zen bläh­te ein leich­ter sanf­ter Wind­hauch die Se­gel, um sie gleich dar­auf wie­der schlaff am Mas­te her­un­ter­hän­gen zu las­sen. Das Was­ser war wie ab­ge­stor­ben, wäh­rend die Son­ne nach Vollen­dung ih­rer Bahn lang­sam ins Meer un­ter­zut­au­chen schi­en.

      Wie­de­r­um herrsch­te all­ge­mei­nes Schwei­gen un­ter dem über­wäl­ti­gen­den Ein­dru­cke die­ser abend­li­chen Mee­res­s­til­le.

      »Ich wür­de sehr gern ’mal auf Rei­sen ge­hen«, sag­te end­lich Jo­han­na.

      »Ja­wohl«, mein­te der Vi­com­te, »die­ser Wunsch ist nur zu sehr be­rech­tigt. Aber ich fin­de es zu trau­rig, al­lein zu rei­sen. Man muss we­nigs­tens zu zwei­en sein, um sich ge­gen­sei­tig sei­ne Ein­drücke mit­tei­len zu kön­nen.«

      »Das stimmt …« sag­te sie nach ei­ni­gem Nach­den­ken, »ich lie­be es zwar auch, al­lein spa­zie­ren zu ge­hen, in­des­sen …; man ist aber bes­ser al­lein, wenn man träu­men will …«

      »Man kann auch zu zwei­en träu­men«, sag­te er, je­des Wort be­to­nend und sie da­bei lan­ge an­se­hend.

      Sie schlug die Au­gen nie­der. Soll­te das eine An­spie­lung sein? Sie be­trach­te­te den Ho­ri­zont, als weil­ten ihre Ge­dan­ken in der Fer­ne.

      »Ich möch­te nach Ita­li­en rei­sen …« be­gann sie wie­der lang­sam. »Und nach Grie­chen­land … ach ja! nach Grie­chen­land! … und nach Kor­si­ka! das muss so wildro­man­tisch sein.«

      Er hät­te der Al­pen und Seen we­gen die Schweiz vor­ge­zo­gen.

      »Nein«, sag­te sie, »ich möch­te ent­we­der nach ganz un­be­kann­ten Ge­gen­den wie Kor­si­ka oder nach ganz al­ten Län­dern, wie Grie­chen­land, wo je­der Fleck Erde sei­ne Ge­schich­te hat. Es muss so hübsch sein, die Spu­ren der Völ­ker zu ver­fol­gen, von de­nen wir schon in der Ju­gend ge­le­sen ha­ben und die Orte zu se­hen, wo sich die großen Er­eig­nis­se ab­ge­spielt ha­ben.«

      »Was mich be­trifft«, ent­geg­ne­te der et­was we­ni­ger schwär­me­ri­sche Vi­com­te, »so zieht mich Eng­land aus­ser­or­dent­lich an. Dort kann man vie­les ler­nen.«

      So durch­wan­der­ten sie ge­mein­sam den Erd­kreis, in­dem sie die ein­zel­nen Län­der und ihre Vor­zü­ge leb­haft er­ör­ter­ten und selbst die we­ni­ger be­kann­ten Völ­ker, wie die Chi­ne­sen und Lapp­län­der mit ih­ren zum Teil noch un­er­forsch­ten Sit­ten und Ge­bräu­chen da­bei nicht über­gin­gen. Sch­liess­lich aber ei­nig­ten sie sich in der An­sicht, dass Frank­reich mit sei­nem ge­mäs­sig­ten, im Som­mer nicht zu heis­sen, im Win­ter nicht zu rau­en Kli­ma, mit sei­nen üp­pi­gen Trif­ten und grü­nen Wäl­dern, sei­nen herr­li­chen Strö­men, mit sei­nem Kunst­sinn, der kaum von der Blü­te­zeit Athens über­trof­fen wäre, das präch­tigs­te Land der Welt sei.

      Hier­auf schwie­gen sie auch wie­der.

      Die Son­ne, schon halb im Mee­re ver­sun­ken, sand­te über die stil­le Was­ser­flä­che ihre letz­ten Strah­len, wel­che bis zum Schif­fe einen glän­zen­den Strei­fen auf der­sel­ben bil­de­ten.

      Die letz­ten Wind­stös­se hat­ten auf­ge­hört. Kei­ne Fur­che war auf dem Was­ser mehr zu se­hen; das schlaf­fe Se­gel schim­mer­te in ro­si­gem Lich­te. Eine un­be­grenz­te Ruhe schi­en den wei­ten Him­mels­raum zu um­fas­sen. Wie eine keu­sche Braut schi­en das ge­wal­ti­ge Meer sei­nen feu­ri­gen Lieb­ha­ber zu er­war­ten, der, wie von dem Ver­lan­gen nach sei­ner Umar­mung, mit Pur­pur­glut über­gos­sen sich zu ihm nie­der­neig­te, um end­lich ganz in dem­sel­ben zu ver­schwin­den.

      Dann be­gann all­mäh­lich eine er­qui­cken­de Küh­le ein­zu­tre­ten. Ein Schau­er wölb­te den Bu­sen des Was­sers, als wenn das un­ter­ge­gan­ge­ne Ta­ges­ge­stirn einen Seuf­zer stil­len Frie­dens über die Welt aus­ge­stos­sen hät­te.

      Die Däm­me­rung währ­te nicht lan­ge. Die Nacht mit ih­rem fun­keln­den Ster­nen­heer brach an. Papa Las­ti­que griff zu den Ru­dern und man be­merk­te beim Ein­schla­gen der­sel­ben, dass das Meer phos­pho­ris­zier­te. Jo­han­na und der Vi­com­te be­trach­te­ten mit­ein­an­der die tan­zen­den Licht­strei­fen, wel­che die Bar­ke hin­ter sich ließ.

      Sie wa­ren aus ih­ren Träu­me­rei­en wie­der auf­ge­wacht und at­me­ten mit Be­ha­gen die fri­sche er­qui­cken­de Abend­luft ein. Jo­han­na hat­te die eine Hand auf die Bank ge­stützt, und wie zu­fäl­lig be­rühr­te sie da­bei die Fin­ger des Vi­com­te. Aber sie zog die Hand nicht zu­rück; die leich­te Berüh­rung flöss­te ihr ein ei­gen­tüm­li­ches won­ni­ges Ge­fühl ein.

      Als sie an die­sem Abend ihr Zim­mer be­trat, fühl­te sie sich selt­sam be­wegt; sie hät­te am liebs­ten wei­nen mö­gen. Sie be­trach­te­te die Uhr auf dem Ka­min und dach­te, dass die Be­we­gung der klei­nen Bie­ne dem Schla­ge des Her­zens gli­che, ei­nes Her­zens, das ihr nahe stand. Sie dach­te, dass sie die Zeu­gin sei­nes gan­zen