Название | Belgische Finsternis |
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Автор произведения | Stephan Haas |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960416487 |
»In Ordnung«, sagte der Polizist mit wenig Begeisterung.
Als das Gespräch beendet war, ließ Ella ihre Stirn auf das Lenkrad fallen. Sollte sie wirklich nach Raaffburg fahren? In die Kleinstadt, in der ihre Mutter und ihr Bruder ermordet worden waren? Dorthin, wo ihre Liebe lebte. Der Mensch, der ihr das Leben so verschönerte.
Und so verkomplizierte.
Was wäre, wenn sie nicht ginge? Würden die Kommissare dann nicht Verdacht schöpfen? Oder die anderen Bewohner der Stadt?
Oh nein, von uns soll niemand erfahren.
Am besten, sie verhielte sich komplett normal. So, als hätte sie nichts zu verbergen.
Was mochten die Kommissare gefunden haben?
Gregorys Hände? Seine Füße? Seinen Kopf? Den von Mama auch? Ihr wurde schlecht bei dem Gedanken.
Jedenfalls musste der Hinweis wichtig sein, wenn sie dafür extra nach Raaffburg kommen sollte.
Wohin könnte sie ihren Sohn währenddessen bringen?
Vielleicht zu Brit?
Sie gehörte zu den wenigen Leuten, denen Ella vertraute. Sie war diejenige, die Ella Mut zusprach, wenn sich wieder mal alles gegen sie richtete.
Nach einem kurzen Telefonat sagte Brit zu. Pierre würde dort die Nacht verbringen.
Das wäre geschafft.
Ella schnaufte laut durch die Nase und öffnete das Handschuhfach. Sie richtete ihren Blick auf eine Mentos-Dose. Dann wählte sie die Nummer ihrer Chefin. Natürlich war diese noch im Meeting. Ella sprach ihr auf die Mailbox, dass sie krank sei und heute sowie morgen nicht zur Arbeit kommen könne. Danach griff sie nach der Mentos-Dose und schluckte drei der kleinen weißen Pillen, die sie darin versteckte.
Als die Uhr auf 10:16 sprang, legte Ella den Gang ein und fuhr los.
5
Als ich wieder stehen konnte, blinzelte ich die Straße hinunter. Von der Sonne geblendet, erkannte ich nur schemenhaft in der Ferne die ersten Häuser der kleinen Stadt. Die Luft war fürchterlich heiß und drückend, aber in jedem Fall besser als der rauchige Dunst in der mickrigen Polizeikutsche. Ich folgte dem Trampelpfad, der entlang der stark befahrenen Straße verlief. Hupend zog ein Truck nach dem anderen an mir vorbei. Fußgänger waren hier offenbar unerwünscht. Meine Beine fühlten sich schwer an, und der Weg schien kein Ende zu nehmen. Nach etwa einem Kilometer erreichte ich schließlich ein einsames Bruchsteinhaus, das offenbar ein kleines Restaurant beherbergte. Neben der Eingangstür hing eine eingerahmte Speisekarte.
Endlich was trinken.
Und hoffentlich auch eine Gelegenheit, mich frisch zu machen. Angesichts der nassen Achselstellen an meinem Hemd war das dringend nötig.
Das kleine Restaurant schien beliebt zu sein, der Parkplatz war voll besetzt. Eine Frau in einem violett-weiß gestreiften Kleid ließ sich davon nicht stören. Mit ihrer Honda parkte sie direkt vor dem Eingang. Schwungvoll zog sie ihren Helm ab und warf ihre braunen Locken derart gekonnt zur Seite, als habe sie die Szene hundertfach vor dem Spiegel einstudiert. Dann hopste sie mit ihren schlanken Beinen wie ein Teenie die Holztreppe zu dem Restaurant hinauf, wo ein kräftiger, etwa einen Meter fünfundachtzig großer Mann in Hemd und Krawatte die Tür aufhielt. Sie bedankte sich mit einem breiten und strahlenden Lächeln. Der gut aussehende schwarzhaarige Mann, dessen Unterarme stark behaart waren, brachte jedoch nur ein knappes »Gern geschehen« hervor.
Ich folgte den beiden und nahm zur Kenntnis, dass sich die Toiletten vornean in der überschaubaren Eingangshalle befanden. Ich musste mich also nicht erst quer durch das Restaurant drängeln, um etwas gegen den Geruch zu tun, der von mir ausging. Schnell spülte ich mir am Waschbecken den Mund mit kaltem Wasser aus. Anschließend wusch ich Gesicht und Arme. Danach fühlte ich mich erfrischt und bekam langsam Appetit. Ich hatte ja heute noch nichts gegessen.
Beim Betreten des Restaurants entdeckte ich eine Menschenschlange, die sich vor der Theke gebildet hatte. Dort konnte man das Essen bestellen und mitnehmen, um es dann an einem der Tische im dahinterliegenden Raum zu verzehren. Ich stellte mich an und betrachtete mit Bewunderung den aufwendig restaurierten Innenraum des alten Gebäudes, das vermutlich einst als Bauernhof genutzt worden war. Die Wände bestanden aus blauem Bruchstein, hier und da waren alte Holzstützen verbaut, die das Obergeschoss und die Decken trugen. Das Tageslicht, das in das Bistro fiel, wurde ergänzt durch eine behagliche Beleuchtung. Außerdem war es angenehm kühl.
Die Karte, die ich auf der aufgehängten Tafel erkennen konnte, bot eine kleine Auswahl an warmen Speisen, darunter auch landestypische wie Steak mit Pfeffersoße und Chicorée, Vol-au-Vent oder Miesmuscheln. Das Ganze natürlich mit Fritten als Beilage. Obschon die rausgehenden Teller verlockend aussahen, wollte ich lieber auf mein angeschlagenes Immunsystem hören und etwas Vitaminreiches essen.
Ich hatte gerade die Salate auf der Karte entdeckt, als ich hinter mir eine weibliche, leicht kratzige Stimme vernahm.
»Habe ich etwas verbrochen, oder was zieht Sie von Brüssel hierher?«
Ich drehte mich um und erkannte die attraktive Brünette von eben wieder. Unverhohlen hielt sie meinen Polizeiausweis in den Händen.
Wie ist sie daran gekommen?
»Unschuldig sehen Sie jedenfalls nicht aus. Aber danke für den Ausweis«, konterte ich. Ich ging bewusst nicht auf ihre Frage ein und nahm die plastifizierte Karte entgegen.
»Bitte sehr, Herr Kommissar. Er lag vor den Toiletten. Sie müssen ihn dort verloren haben.«
Ich musterte sie scharf.
»Was gibt es denn für spannende Fälle auf dem Land?«, ließ die etwa dreißigjährige Frau nicht locker.
»Nur ein überregionaler Austausch unter Kollegen«, blockte ich ab, während mir beim Blick durchs Fenster ein Plakat auffiel.
Es war an einem Laternenmast befestigt und mit einer Aufschrift versehen: »Felix Riegen. Vermisst!!! So könnte er heute aussehen.« Darunter war ein eher schlecht als recht simuliertes Gesicht abgebildet, das auf Tausende Menschen zutreffen konnte und keinerlei Wiedererkennungswert aufwies. Ich musste an die Worte von Vanderhagen denken: »Er macht sich ein schönes Leben in Afrika und hält uns alle zum Narren.«
Wie kam er dazu, so etwas zu behaupten?
»Sie sind dran, Commissario!« Die Brünette stupste mich grinsend an.
Ich grinste höflich zurück. Dann wendete ich mein Gesicht der zierlichen Bedienung zu, die mich freundlich ansah.
»Welchen Salat können Sie mir empfehlen?«, fragte ich, in der Hoffnung, die Sache abzukürzen.
»Der Thunfischsalat ist gut, Monsieur. Der griechische auch, aber er ist etwas würziger«, entgegnete sie rasch. Sie war den Andrang um die Mittagszeit gewohnt, das sah man ihr an.
Ein Salat. Wird er dich satt machen?
Mein Blick glitt hinunter zu den belegten Baguettes.
Das ist schon eher was für dich.
»Ich würde gern ein Baguette mit Ardenner Schinken nehmen«, sagte ich schließlich.
»Natürlich. Das muss ich aber erst noch zubereiten«, sagte sie nickend und vergewisserte sich schnell: »Also kein Salat?«
Ich schüttelte den Kopf, während die Bedienung sich bereits auf den Weg in die Küche gemacht hatte. Gleichzeitig spürte ich die zunehmende Ungeduld in der immer länger werdenden Schlange hinter mir.
»Warum dauert das denn so lange?«
Die hart klingende Stimme gehörte einem blonden, langhaarigen Hünen, der ein paar Plätze hinter mir stand. Er blies mit geblähten Backen und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Übrigens, ich bin Sina.« Die Brünette hinter mir streckte ihre schmale Hand aus.
»Schöner Name.