Belgische Finsternis. Stephan Haas

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Название Belgische Finsternis
Автор произведения Stephan Haas
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960416487



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Hilfe dankbar. Zahnbürste und Duschgel würde ich mir später selbst besorgen. Und sicher auch Unterwäsche.

      »Keine Ursache. Das kriegen wir schon hin, machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte Lechat mich wie ein Vater.

      Wir bogen in eine Straße mit mehreren Reihenhäusern, an deren Ende ich das Schild der Polizei erkennen konnte. Bevor wir jedoch im Präsidium auf Vanderhagen und Bender treffen sollten, wollte ich unbedingt noch in Erfahrung bringen, warum dieser Fall so viel Aufmerksamkeit auf sich zog.

      »Karls erwähnte am Telefon eine neue Spur. Worum handelt es sich dabei?«

      Lechat zupfte nervös an seiner Hemdtasche. »Ein Mädchen und ein Austauschschüler haben bei Aufräumarbeiten in der Schule den alten Schülerkalender des vermissten Jungen gefunden.« Lechat quetschte sich eine Zigarette zwischen die trockenen Lippen. »Der Austauschschüler hat sich vor lauter Angst in die Hosen gemacht«, fuhr er lachend fort.

      »Und?«, fragte ich ungeduldig.

      »Der Junge hat wenig Schulisches eingetragen, war wohl nicht der Fleißigste. Aber hier und da sind geheimnisvolle Kürzel vermerkt. Wir haben sie zwar noch nicht entschlüsselt, aber sie könnten interessant sein. Besonders der Eintrag, den er am Tag seines Verschwindens gemacht hat.«

      Lechat parkte den Wagen und zog die Handbremse.

      »GW«, sagte er und schaute mich mit seinen hervortretenden blauen Augen so an, als sei bereits alles gesagt.

      »Ja und? Gibt es jemanden, auf den die Initialen passen?«, fragte ich, nachdem wir uns fünf Sekunden lang stumm angeschaut hatten.

      »Ja. Gregory Weeber.«

      »Wo ist das Problem? Laden wir den Jungen vor!«, sagte ich, während mir einfiel, dass der Junge mittlerweile wohl ein Mann sein musste.

      »Das geht leider nicht. Der Junge ist tot.«

      7

      Die Temperatur in dem Großraumbüro des Polizeipräsidiums betrug siebenunddreißig Grad Celsius, sofern die digitale Wetterstation nicht log. Von der Mittagssonne aufgeheizte Luft drückte durch die weit geöffneten Fenster ins Gebäude. Sie brachte einen Geruch nach Chemie mit, ein Gemisch aus Öl und Bitumen, wahrscheinlich vom erhitzten Flachdach des Nachbargebäudes. Die Dimensionierung des Büros war ein Relikt aus Jahren, in denen Akten noch ausschließlich in Papier angelegt worden waren. Dunkelbraune Schränke standen ringsum an den Wänden und ragten bis zu der vergilbten Stuckdecke. Insgesamt wirkte das Büro abweisend und viel zu groß für die wenigen Personen, die hier angestellt waren. Jeder meiner Schritte auf dem grau gesprenkelten Linoleumboden aus den Achtzigern wurde von einem unangenehmen Quietschen begleitet.

      Bender und Vanderhagen saßen sich gegenüber, jeder klebte vor seinem Bildschirm. Bender sprang auf, als er uns sah, und rieb nervös die verschwitzten Hände an seinen hinteren Hosentaschen trocken.

      »Möchten Sie Kaffee?«, fragte er.

      »Nein danke, für mich nicht.«

      Allein der Gedanke an Heißgetränke wirkte bei mir wie ein doppelter Aufguss in der Sauna.

      »Wir setzen uns jetzt gemeinsam an den großen Tisch«, ordnete Lechat an und zeigte auf einen ovalen Eichentisch, der weiter hinten im Büro stand.

      »Sie auch!«, ließ er Vanderhagen wissen. Gleichzeitig wies er mir den Platz gegenüber von sich zu.

      Vanderhagen blickte Lechat missmutig hinterher und griff nach einer der grünen Mappen, die seinen Schreibtisch säumten.

      »Glauben Sie, dass wir nichts Besseres zu tun haben, als uns um einen Fall zu kümmern, der seit fünfzehn Jahren im Schrank liegt?« Während Vanderhagen sprach, gab er vor, in die Akte vor sich vertieft zu sein, und blieb an seinem Schreibtisch sitzen. Abwartend beobachtete Lechat, wie Bender ihm zunächst Kaffee einschenkte und dann neben ihm Platz nahm. Kaum saß er, sprang er wieder hastig auf und flüsterte mir zu: »Sie wirklich nicht?«

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Letzten Freitag wurde bei den Weigels eingebrochen. Das hat jetzt erst mal Priorität«, murmelte Vanderhagen. Nervös tippelte er mit dem Zeigefinger auf der Computermaus herum.

      Lechat schaute ihn nicht an. Seine leicht hervortretenden Augen richteten sich auf das Blatt Papier vor ihm. Er las jedoch nicht, er überlegte, das spürte man. Dann, nachdem er noch einmal tief Luft geholt hatte, erhob er seine schleppende Stimme.

      »Sie kommen jetzt, oder ich schließe Sie von den gesamten Ermittlungen aus!«

      Hat er mich nicht gerade den Verantwortungswisch unterschreiben lassen?

      Egal. Ich merkte, dass Lechats Fokus auf etwas Wichtigerem lag. Auf dem, was er uns gleich erzählen wollte. Das damals Geschehene schockierte ihn offenbar noch heute.

      Mürrisch kam Vanderhagen zu uns an den Tisch und zerrte den Stuhl neben mir so rabiat zurück, als wollte er den Boden umpflügen. Dann setzte er sich, ohne die grimmige Miene abzulegen.

      »Vom 7. Februar bis zum 30. Juni 2003 trieb in Raaffburg ein Monster sein Unwesen. Ivo Heming schlug insgesamt fünfmal zu. Fünfmal Mutter und Sohn. Mit einer Axt trennte er den Opfern Kopf, Hände und Füße ab. Danach versteckte er die Körperteile.«

      Lechat sprach nüchtern wie ein Nachrichtensprecher. Den Kopf gesenkt, die Hände flach auf dem Tisch liegend. Er trank geräuschvoll aus seiner Tasse, bevor er mit verzogenem Gesicht weitersprach.

      »Sie wurden nie gefunden. Die Körperstümpfe der Opfer platzierte der Perversling in Löffelchenstellung in der freien Natur. Die Mutter hinten, der Sohn vorne. Mit den Kleidungsstücken der Opfer bedeckte er teilweise ihre Oberkörper.«

      In Lechats Ton lag tiefe Abscheu. Ich schaute hinüber zu Bender, der seinen langen Körper zu Lechat hin krümmte. Mit offen stehendem Mund schob er die eckige blaue Brille zurecht und faltete dann seine Hände zurück in den Schoß.

      »Gregory Weeber und seine Mutter Marie Weeber waren eines der Opferpaare. Das letzte.«

      Lechat zwängte seine Hände in dünne Plastikhandschuhe, die er zuvor aus der Ledertasche zu seinen Füßen gekramt hatte. Dann zog er ein kleines hellblaues Buch hervor, befreite es von der Klarsichtfolie, in die es eingehüllt war, und legte es zwischen seine Hände auf den Tisch.

      »Die Spurensicherung hat außer den Fingerabdrücken von Felix keine verwertbaren Spuren an dem Kalender gefunden. Die Handschuhe sind nur eine reine Vorsichtsmaßnahme von mir«, sagte er, bevor er schwer schluckte.

      »Wo hat der Mörder seine Opfer überwältigt?«, fragte ich.

      Lechat räusperte sich. »Beim ersten Mal hat er abends auf offener Straße zugeschlagen. Die drei Paare danach suchte er bei Nacht zu Hause auf. Und Gregory und seine Mutter fuhren mit dem Rad durch den Wald, als er sie überfiel.«

      »Warum hat er nach drei Morden hinter verschlossener Tür wieder die Öffentlichkeit gewählt?«, fragte ich.

      »Das ist jetzt eigentlich nicht so wichtig«, betonte Lechat höflich.

      »Ich weiß. Trotzdem interessiert es mich. Warum ging er das Risiko ein?«

      Lechat rümpfte die Nase. »Wir vermuten, dass ihm die Morde draußen einen größeren Kick gaben.«

      »Den Kick, möglicherweise beobachtet zu werden?«

      »Zum Beispiel.«

      »Und wo wurden die Rümpfe gefunden?«

      »Auf Wiesen oder im Wald«, erklärte Lechat trocken.

      Plötzlich brummte Vanderhagens Stimme auf. »Damals sind ein Dutzend Jungs abgehauen. Die hatten alle Schiss vor dem Scheißpsychopathen!«

      »Blödsinn!«, erwiderte Lechat. »Drei Familien sind weggezogen. Alle drei sind wieder zurückgekehrt, nachdem Heming gefasst war.«

      Lechats Hand hatte sich zu einer Faust verkrampft, die über den Tisch quietschte.