Animant Crumbs Staubchronik. Lin Rina

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Название Animant Crumbs Staubchronik
Автор произведения Lin Rina
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959913928



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sein, die keiner mehr haben will, weil sie ihre blühenden Jahre auf einem alten, dreckigen Dachboden verplempert hat!« Meine Mutter begann zu schluchzen und mein Vater murmelte ein paar tröstende Worte.

      Ich nahm den Kopf wieder hoch und ließ meinen Nacken knacken. Meine Mutter machte sich einfach nur unnötig Sorgen über Dinge, die mir völlig nebensächlich erschienen. Sie glaubte, dass heiraten und einen eigenen Haushalt zu führen das größte Glück einer jungen Frau sein müsste.

      Doch meins war es eben nicht. Sollte ich doch ohne Mann enden, was machte das schon? Ich wurde vielleicht nicht reich, hätte keine eigene Kutsche und konnte mir nicht jedes halbe Jahr eine neue Garderobe zulegen, aber die öffentliche Bibliothek war kostenfrei und dort würde ich bestimmt glücklicher werden als mit einem stumpfsinnigen Mann in einem viel zu noblen Haus.

      Ich klopfte mir den Staub vom Rock, zog meine Bluse zurecht und strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn, die sich aus meiner Frisur gelöst hatte.

      Fast sehnsüchtig sah ich zu meinem alten Sessel, dessen dunkelgrüner Samt an den Armlehnen etwas abgewetzt war und den meine Mutter schon vor Jahren aussortiert hatte, weil er ihr zu schäbig erschien.

      Doch für mich war er ein Stück guter Erinnerungen und gehörte in mein Leben, genauso wie es die Bücher taten.

      Am liebsten hätte ich mich wieder in seine ausgeleierten Sitzfedern gekuschelt, das Buch aufgeschlagen, das ich vorhin begonnen hatte, und einfach vergessen, dass dort draußen eine Welt mit Gesellschaften und heiratsvermittelnden Müttern existierte.

      Aber Mary-Ann würde gleich zum Mittagessen klingeln und dann hatte ich unten zu sein.

      Ich seufzte laut, klemmte mir einen schmalen Roman unter den Arm, raffte meine Röcke und kletterte die steilen Stufen nach unten in den ersten Stock.

      Unser Haus war größer, als es sein müsste. Fand ich zumindest. Ich schätzte kleine Räume und Wände, die mir Sicherheit boten. Meine Mutter hingegen wollte alles weit haben und mochte es gar nicht, wenn irgendein Möbelstück an der falschen Stelle stand und so den Raum kleiner erscheinen ließ.

      Ich schlich mich gerade lautlos am Arbeitszimmer meines Vaters vorbei, damit ich die beiden nicht störte und auch nicht von ihnen gehört wurde, als sich die Tür genau in diesem Moment öffnete.

      »Ani!«, sprach Vater mich überrascht an und Mutter schob sich hastig an ihm vorbei, um sich zu mir auf den Flur zu drängen. Sie hakte sich bei mir unter, ein verschwörerisches Lächeln auf den Lippen, und ich war verwirrt über den plötzlichen Sinneswandel. Hatte sie nicht gerade noch geschluchzt und sich über mich geärgert?

      »Du wirst nicht erraten, wer heute Morgen hier war, um vorzusprechen. Er gab vor, für deinen Vater etwas abgeben zu müssen, aber ich bin mir sicher, er war wegen dir hier«, säuselte meine Mutter und ich wusste ganz genau, wen sie meinte. George Michels. Mutters neuester Auserwählter, um mich erfolglos zu verkuppeln.

      »Oh, wer kann das nur gewesen sein? Doch nicht etwa Mr Michels!«, rief ich übertrieben begeistert und Mutters Grinsen fiel in sich zusammen. Wenn sie in den Jahren mit mir als Tochter etwas gelernt hatte, dann war es, Ironie zu durchschauen.

      »Animant! Ob du es glauben willst oder nicht, dieser Mann könnte deiner sein und du würdest ein gutes Leben in Wohlstand führen«, begann sie und ihre Augenbrauen zogen sich missbilligend zusammen.

      Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut zu lachen, und biss mir auf die Unterlippe. Mr Michels war zwar ein netter Kerl, aber so geistreich wie ein Stück Brot und dabei auch noch außerordentlich tollpatschig, sodass er regelmäßig über seine eigenen Füße zu fallen pflegte.

      »Er bohrt in der Nase, wenn er glaubt, dass niemand hinsieht«, sagte ich, während wir die ersten Stufen ins Erdgeschoss nach unten nahmen. Und das hatte ich nicht erfunden.

      »Animant!«, empörte Mutter sich und hinter uns begann Vater zu prusten, nahm sich aber sofort zusammen, als Mutter auch ihm einen scharfen Blick zuwarf.

      »Er sieht gut aus und er hat dreitausend Pfund im Jahr. Ihr solltet nicht so gehässig sein«, warf sie uns vor, entzog mir ihren Arm und ging die letzten Stufen allein, ehe sie im Salon verschwand. Die Spitze ihres Unterrocks raschelte übertrieben und unterstützte ihren wütenden Abgang, der uns zeigen sollte, wie unverständig wir in ihren Augen doch waren.

      Ich zuckte nur mit den Schultern und Vater begann zu grinsen. Denn obwohl er nicht der Meinung war, dass es sich für eine junge Dame geziemte, allein zu bleiben, musste er sich hin und wieder doch über die fruchtlosen Versuche meiner Mutter amüsieren, die mit aller Macht versuchte, mich dazu zu bringen, der Männerwelt zugetan zu sein.

      Er war davon überzeugt, dass es mich eines Tages genauso treffen würde wie alle anderen Mädchen in meinem Alter auch und dass mein Herz sich für einen der jungen Männer erwärmte, die meine Gesellschaft suchten.

      Mir fehle bisher nur der Anreiz, hatte er einmal gegenüber meiner Mutter erwähnt und ich hatte oben am Ofenrohr nur mit dem Kopf geschüttelt. Ich konnte mir nicht vorstellen, was für ein Anreiz das sein sollte.

      Geld war es nicht. Natürlich hatte ich nie erleben müssen, wie es war, wahrlich arm zu sein, aber selbst ohne Mann würde meine Erbschaft mich gut bis ins hohe Alter bringen. Vorausgesetzt, mich würde nicht schon vorher eine Lungenentzündung dahinraffen.

      Sozialer Stand war es auch nicht. Ich machte mir nichts aus öffentlichen Veranstaltungen, Gesellschaften, Bällen und schon gar nicht aus dem edlen Getue des niederen Adels. Ich hatte kein Interesse an Titeln oder Ränkespielen der gehobenen Gesellschaft und fühlte mich dabei auch völlig fehl am Platz.

      Das Einzige, was blieb und von dem ich sagen musste, dass es mir ein Rätsel war, war die Liebe. Ich hatte von ihr gelesen, war in Gedichten und Erzählungen den blumigen Ausschweifungen und pochenden Herzen gefolgt und hatte sie doch nicht begriffen. Wie war es möglich, dass man einen Menschen finden konnte, der ein Seelenverwandter war? Es gab Millionen Menschen auf diesem Planeten, wie hoch konnte da die Wahrscheinlichkeit sein, der Person zu begegnen, die für einen bestimmt war?

      Mutter behauptete, dass man mit jedem Mann glücklich werden konnte, wenn man das nur wirklich wollte. Doch anscheinend wollte ich nicht wirklich, denn bisher hatte ich mir bei keinem ihrer Auserwählten vorstellen können, auch nur länger als eine Stunde so zu tun, als ob sie interessant wären.

      Aber lag das wirklich an mir, oder vielleicht doch an den Männern, die mir bisher begegnet waren?

      Stumm setzte ich mich zu meiner Mutter in den Salon und entschied, dass diese Art von Gedankenspiel mich nicht weiterbrachte und auch völlig unsinnig war.

      Ich schlug den schmalen Roman auf, den ich für nur drei Penny im Buchladen in der Gardner Street erstanden hatte. Für seinen Preis war er recht umfangreich und erzählte die Geschichte von Jackson Throug während seiner Reise nach Indien und zurück. Ich war gerade an der Stelle, an der er genug Geld für die Überfahrt zusammengekratzt hatte und ein kleines Handelsschiff bestieg, dessen Captain mir doch sehr suspekt vorkam.

      »Animant«, sprach Mutter mich an und ich blinzelte mich aus der Geschichte in die Wirklichkeit zurück. »Ich kann es einfach nicht verstehen. Was willst du denn?«, wollte sie von mir wissen und ich hob skeptisch die Augenbrauen.

      »Ich will in Ruhe lesen, Mutter«, antwortete ich ihr, obwohl ich wusste, dass das nicht die Antwort auf ihre Frage war. Ihre Frage hatte sich auf meine Zukunft bezogen, auf den Typ Mann, den ich bevorzugen würde, und die Tätigkeit, die ich für mich ersann. Doch ich war es leid, diese Diskussion mit ihr zu führen, und wich ihrer Fragerei meistens aus, indem ich sie absichtlich missverstand.

      Sie seufzte wieder laut auf und ich sah, wie ihre Stirn sich langsam rötlich färbte, während sie ihre Wut und Verzweiflung über mich zu unterdrücken versuchte. »Aber was ist mit morgen oder übermorgen?«, versuchte sie mich aus der Reserve zu locken. »Was ist nächstes Jahr oder in zwei Jahren?« Ihre Stimme klang noch sehr gefasst, aber trotzdem etwas gepresst. Ein bisschen tat sie mir leid, weil sie sich solche Mühe gab und mich doch nie verstehen würde.

      »Keine