Ausgänge des Konservatismus. Stefan Breuer

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Название Ausgänge des Konservatismus
Автор произведения Stefan Breuer
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783534273195



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die von Hegel gewonnene Objektivität »eine bloß scheinbare« war.72 Wirkliche Objektivität, so Stahl, hätte darin bestanden, eine »reale Macht außer und über dem Menschen« und insonderheit außerhalb seiner Denkbestimmungen anzuerkennen.73 Tatsächlich aber habe Hegel alle Realität in diese Denkbestimmungen aufgelöst und sich einer »pantheistischen Weltanschauung« verschrieben, die nach allen Seiten bestreitbare Ergebnisse zeitige.74 Indem Gott nicht mehr wie in der christlichen Tradition als ein überweltlicher persönlicher Schöpfer gefaßt werde, sondern als unpersönliches, in sich inhaltsloses Absolutes, welches sich zu dem Gegensatz von bürgerlicher Gesellschaft und Staat dirimiere, würden beide zu sakrosankten Größen, die je unterschiedliche Objektivationen des Absoluten begründeten. Mit der ersteren habe Hegel der modernen, von Adam Smith begründeten Wissenschaft der Nationalökonomie Rechnung getragen, der wohl das Verdienst zukomme, »die große, der früheren Zeit ganz fremde Einsicht in die Naturgesetze der Gütererzeugung zu Tage gefördert« zu haben, die jedoch zugleich die Produktion »isolirt als absoluten Zweck und in abstracto als das von der Gesellschaft für die Gesellschaft erzeugte Vermögen« betrachtet und auf diese Weise vom »sittlichen und darum auch vom ächt politischen Princip« abgelöst habe.75

      Andererseits habe Hegel mit seiner Bestimmung des Staates als des sich in der Geschichte verwirklichenden Gottes den von Hobbes und Rousseau auf den Weg gebrachten »Staatsabsolutismus« erneuert und zu einer »ultragouvernemental[en]« »Apotheose des Staates« gesteigert, die ebenso inakzeptabel sei wie die der Gesellschaft. Gewiß bildeten beide je für sich ein System, hier den wirtschaftlichen, dort den herrschaftlichen Verband der Nation, die durchaus einem je eigenen »Bildungsprincip« folgten. Falsch sei jedoch, sie auseinander zu reißen: »Gesellschaft und Staat, das sociale und das politische Gebiet, sind nun aber nur unterscheidbar, nicht trennbar. Sie sind nur die verschiedenen Seiten einer und derselben nationalen Existenz und Aufgabe. Sie durchdringen sich deßhalb überall ohne scharfe Gränzlinie und stehen überall in Wechselwirkung. […] Trennung des Socialen und des Politischen ist also überall ein Irrthum.«76

      War dies eine Absage an die Bauprinzipien der Moderne und eine Rückkehr zum Modell der societas civilis mit ihrer Einheit von Staat und Gesellschaft, Öffentlichem und Privatem, mithin eine Bekräftigung der Positionen des klassischen Konservatismus?

      III.

      Auf der Gegenseite, der »Partei der Revolution«, wie Stahl sie nannte, war man davon überzeugt. Altliberale wie Rudolf Gneist und Johann Caspar Bluntschli sahen Stahl »an der Spitze der Partei, welche sich als Träger ritterlicher Lebenssitte, als preußische Aristokratie, als geschaffen für die unproduktive Arbeit des Vornehmseins« dargestellt und den Anspruch erhoben habe, »Vertreter des göttlichen Rechts und des christlichen Prinzips im Staat« zu sein.77 Liberale im Kaiserreich charakterisierten ihn als den »Staatsrechtslehrer der Reaktion« und als »Schutzredner des Junkertums« (Theobald Ziegler ) oder warfen ihm vor, »den uralten theokratischen Gedanken im Interesse der preußischen Konservativen zu modernisieren« (Georg Jellinek).78 Noch Marxisten folgten dieser Linie, wenn sie, wie Georg Lukács, in Stahl nur den Apologeten des »feudal-absolutistischen Konservativismus« zu fassen vermochten, oder, wie Herbert Marcuse, seine Philosophie als Verrat an den progressiven Inhalten von Hegels System präsentierten.79

      Was den »Feudalismus« angeht, so sprach sich Stahl zwar deutlich für eine Aristokratie aus80, doch erkannte er damit lediglich eine notwendige Prämisse desselben an, nicht aber die von Haller und anderen daraus abgeleiteten Konklusionen. Aus seiner Sicht war die neuere Entwicklung dadurch gekennzeichnet, daß der historische Adel nach und nach die von ihm ursprünglich monopolisierten Rechte und Funktionen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zu teilen genötigt worden sei: die Herrschaftsausübung mit der Krone und der von ihr installierten Bürokratie; die Bildung mit der Geistlichkeit und der städtischen Intelligenz; die Reichtumserzeugung mit dem Wirtschaftsbürgertum.81 Stahl beschrieb diese sukzessive Depotenzierung des Feudalismus, die in mancher Hinsicht das später von Otto Hintze entworfene Schema vorwegnimmt82, nüchtern und ohne jeglichen Anflug von Nostalgie. Wohl galten ihm die Reste des alten, »romantischen« Adels, worunter er den Geblütsadel verstand, als eine Erbschaft, die auszuschlagen nicht ratsam war, verbürgte sie doch das unersetzliche Maß an Kontinuität und ›conservativer Gesinnung‹.83 Im Unterschied jedoch zu Gerlach, der die Stein-Hardenbergschen Reformen ablehnte, weil sie nur die negative Freiheit an die Stelle der positiven gesetzt hätten84, akzeptierte er, wenn auch mit gewissen Vorbehalten, die daraus hervorgegangene Befreiung »von Feudalität und Patrimonialität und Hintersässigkeit und den kastenartigen Ständen«.85 Wenn es weiterhin Aristokratie geben sollte (wovon Stahl überzeugt war), so nur in einem neuen Sinne, der einem Ausgleich der gesellschaftlichen Stellung der Stände nicht entgegenstand, ja das allgemeine Staatsbürgertum voraussetzte und damit näher an »Elite« lag.86 Anstatt lediglich die »alte Familienaristokratie, diese angeborene Superiorität«, zu konservieren oder wiederherzustellen, wie dies die Schriftsteller der Restauration erstrebten, empfahl Stahl vielmehr, dem »Streben der Zeit zur Hülfe zu kommen, […] den socialen Verband, der in älterer Zeit auf dem Lande rein monarchisch-patrimonial, in den Städten geburtsaristokratisch war, in gewissem Sinne zu republikanisiren (zu gemeindlichen), aber doch dort an den großen Grundbesitzern, hier sowohl an den städtischen Magistraten als an den Begüterten und den Hervorragenden in jedem Gewerbe, einen Schwerpunkt zu erhalten«, kurzum eben jene composite elite zu schaffen, wie Stahl sie an England bewunderte.87 Namentlich die Entwicklung der »Ritterschaft«, die sich in Preußen bereits zu mehr als zwei Fünfteln aus nichtadligen Gutsbesitzern rekrutierte, schien ihm die Gewähr dafür zu bieten, daß der Adel bereits auf dem besten Weg sei, sich in eine Gentry zu verwandeln.88

      Hierzu paßt die Kritik, die Stahl an den »feudalistischen Legitimisten«, den »Anhänger[n] der altständischen Monarchie« übte.89 Da er in ihnen eine Fraktion der »konservativen Partei«, der »Partei der Legitimität« sah90, vermied er es, diese Kritik zu scharf zu formulieren. Die von Haller, Gentz oder Jarcke befürwortete Politik galt ihm insofern als Bündnispartner, als sie »einen energischen Widerstand gegen die liberalbüreaukratische Entgliederung der Gesellschaft« bildete und damit Positionen hielt, die auch in der künftigen Ordnung unverzichtbar seien. Es gelte deshalb, »die Lehren und Forderungen derselben nicht geradezu abzuweisen, sondern sie zu läutern, sie in eine bessere, der gegenwärtigen Stufe entsprechendere Auffassung aufzunehmen.«91 Was nach dieser Läuterung übrig blieb, war freilich nicht allzuviel. Hallers Lehre, wonach das ganze Staatsgefüge »eine Stufenfolge eigenberechtigter Obrigkeiten zwischen dem obersten Herrn und der Bevölkerung« sei und alle gesetzlichen Einrichtungen privatrechtlichen Charakter hätten, sei anachronistisch, ein Relikt mittelalterlichen Denkens, das den Errungenschaften der neueren Zeit nicht gerecht werde.92 Es fehle der Gedanke des allgemeinen Staatsbürgertums, da die große Masse der Untertanen mediatisiert, selbständigen Hoheitsträgern untergeordnet sei; wie es auch an einer repraesentatio in toto fehle, da die Landesvertretung aus gesonderten Ständen in Kurien bestehe, von denen jede ihre jeweiligen Rechte gegenüber dem Fürsten vertrete, ohne eine »Mitwirkung für den Staatshaushalt im Ganzen« zu besitzen.93 Die Überwindung dieses ›ständisch-patrimonialen‹ Systems, wie Stahl es nannte94, durch den Gang der geschichtlichen Entwicklung sei »kein Verlust, sondern ein Fortschritt«:

      »Das Zusammenschließen der Nation zur Einheit, die wesentliche Gleichheit des Staatsbürgerthums, die innere Gesetzmäßigkeit des Staats, die Herausbildung der öffentlichen Rücksichten über den blos persönlichen Banden, der Gedanke der Berufung für eine höhere Ordnung – alles das sind wirkliche Vorzüge des neuen Staats, Merkmale eines höheren Typus, sind unstreitige Züge der Weltentwicklung. Eine Rückbildung in jenen früheren Zustand wäre daher nicht heilsam, auch wenn sie möglich wäre. So wäre es namentlich wunderlich, wenn man zur Stütze unserer Monarchie die alten Stände vor dem großen Kurfürsten wiederherstellen wollte, auf deren Ueberwindung gerade diese Macht gegründet ist.«95

      Daß Stahl es für ein vergebliches Unternehmen hielt, sich auf den Boden des älteren Ständewesens zu stellen96, bedeutete allerdings keine prinzipielle