Ausgänge des Konservatismus. Stefan Breuer

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Название Ausgänge des Konservatismus
Автор произведения Stefan Breuer
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783534273195



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vielmehr den Akzent ganz auf die konstitutive Tätigkeit des ästhetischen Subjekts, das die Welt im Sinne Carl Schmitts »als Anlaß und Material seines unablässigen geistigen Experimentierens« behandelte.70 Staat und Gesellschaft gerieten von hier aus nicht in der geschichtlich konkreten Gestalt der societas civilis in den Blick, sondern als fiktive Gemeinschaft, »welche die vom romantischen Subjekt vertretenen (ästhetischen) Werte verkörpert«, also utopischer Qualität sei.71 Das habe zeitweilige Bündnisse zwischen dem Konservatismus und den romantischen Intellektuellen nicht ausgeschlossen, wie die Karriere von Adam Müller oder Friedrich Schlegel zeigt. Insgesamt aber sei die Romantik eine viel zu ambivalente Erscheinung gewesen, als daß sie in so exklusiver Weise für die Grundlegung des Konservatismus herangezogen werden könne, wie dies bei Mannheim der Fall sei:

      »Denn Konservativismus bedeutet Glaube an eine feste, überindividuelle und von keinem menschlichen Subjekt gemachte (geschweige denn aufgrund ästhetischer Kriterien improvisierte) Ordnung, also radikale Absage an jeden Subjektivismus und Individualismus. An der Notwendigkeit einer Wahl zwischen Romantik und Konservativismus konnte offenbar kein Weg vorbeiführen.«72

      Daß der hier angesprochene Glaube das 19. Jahrhundert nicht überlebt hat, ja schon um die Jahrhundertmitte deutliche Erosionserscheinungen aufwies, ist die nächste und im Ergebnis wichtigste Abweichung von Mannheim. Die Epoche zwischen 1789 und 1848 war für Kondylis wohl noch einmal eine Hochblüte konservativer Ideologiebildung, jedoch zugleich Schauplatz einer Doppelrevolution, die neben einer weiteren Ausgestaltung des souveränen Staates vor allem durch die Etablierung einer bürgerlich-kapitalistischen Wirtschafts- und Sozialordnung bestimmt war. Vor die Wahl gestellt, sich ihr anzupassen oder unterzugehen, entschied sich der Adel für das erstere. Er verwandelte sich in eine nach kapitalistischen Maximen wirtschaftende Grundrentnerschicht, akzeptierte die Trennung von Staat und Gesellschaft und öffnete sich sozial gegenüber dem bürgerlichen Reichtum und dessen Besitzern. Was zunächst als Modernisierung konservativer Politik gedacht war, wurde zu deren Transformation: »konservative Politik wird zur Interessenpolitik, angesichts der offensichtlichen Unwiederbringlichkeit des Alten läßt sie sich also nicht mehr von der Idealvorstellung der societas civilis, sondern von konkreten und beschränkten Zielen leiten, wobei stillschweigend vorausgesetzt wird, daß der Realisierungsrahmen dieser Ziele nur die neue bürgerlichkapitalistische Gesellschaft sein könnte.«73 Neuere Untersuchungen zu den sich konservativ nennenden Parteien des ausgehenden Kaiserreichs bestätigen diesen Trend.74

      Mag es von Mannheims Standpunkt aus noch diskutabel sein, die Geschichte des Konservatismus bis in die Verfassungskonflikte des 16. Jahrhunderts zu verlängern, so ist in dieser Frage kein Kompromiß möglich, ist doch für Mannheim der Konservatismus Ausdruck einer Grundintention, die durch Vorgänge geschichtlich-sozialer Art wohl in Schwingung versetzt und in Richtung auf neue, von einer historischen Phase zur anderen sich wandelnde »objektive Gehalte« geöffnet wird, aber letztlich unberührt durch diese Wandlungen hindurchgeht75 – zumindest solange, wie die Kräfte in Geltung sind, die sie an ihrer Entfaltung hindern. Aus diesem Grund kann Mannheim seinen Untersuchungsgegenstand – »das konservative Denken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland« – als »Altkonservatismus« bezeichnen und damit grundsätzlich die Möglichkeit einer Erneuerung dieses Denkens in Gestalt eines »Jung-«, »Neu-« oder »Neokonservatismus« signalisieren, um von der vielzitierten »konservativen Revolution« zu schweigen.76 Eingelöst hat Mannheim diesen Scheck freilich nicht. Wie ein Konservatismus nach dem Altkonservatismus aussehen könnte, hat er nicht ausgeführt, aber immerhin in die die richtige Richtung gewiesen, indem er schon bei Friedrich Julius Stahl »die ersten Spuren des Einflusses liberaler Art auf den Konservatismus« ausmachte.77

      So hat es auch Kondylis gesehen, allerdings sehr viel schärfer gefaßt. Aus seiner Sicht setzte in den 1830er Jahren in England und Frankreich sowie bald darauf auch in Deutschland eine Entwicklung ein, die mit dem »Aufgehen des Konservativismus im (Alt)Liberalismus« endete.78 Zwar veränderte sich dabei auch der Liberalismus, der sich beim Aufkommen der modernen Massendemokratie spaltete: in einen linken, sozialliberalen Flügel, der die ursprünglich rein formal verstandenen Grund- und Menschenrechte im Sinne universaler materieller Teilhaberechte deutete, und einen rechten, oligarchischen Flügel, der sich zunächst als alt-, dann als neoliberal bezeichnete und den Schulterschluß mit dem Konservatismus suchte.79 Dem letzteren aber kam dies nicht zugute, weil dabei mehr vom Liberalismus auf ihn abfärbte als umgekehrt. Die Umwandlung seiner Trägerschicht im kapitalistischen Sinne zog unvermeidlich die Loslösung von der Leitvorstellung der societas civilis nach sich und war Mitte des 19. Jahrhunderts so weit fortgeschritten, daß von Konservatismus nur mehr in uneigentlichem, metaphorischem oder polemischem Sinne die Rede sein konnte: einem Konservatismus in Anführungszeichen. »Die Geschichte des Konservativismus fällt weitgehend mit der Geschichte des Adels zusammen, was offensichtlich bedeutet, daß das Ende des Adels als traditionell (im Weberschen Sinne) herrschender Schicht auch das Ende des sozial relevanten und begrifflich prägnanten Konservativismus nach sich ziehen mußte.«80

      Wenn Kondylis sich hier auf Max Weber beruft, dann deckt sich das mit dessen Urteil aus dem Jahr 1917, das den Konservativen bescheinigte, seit Stahl, Gerlach und den »alten Christlich-Sozialen« »politischen Charakter im Dienst großer staatspolitischer oder idealer Ziele […] niemals gezeigt« zu haben, vielmehr immer nur dann in Aktion getreten zu sein, wenn es um die Verteidigung von Geldinteressen, Ämterpatronage oder Wahlrechtsprivilegien ging.81 Diese Sichtweise wird durch das Urteil vieler zeitgenössischer Beobachter und moderner Forscher gestützt, die die konservative Partei auf dem Weg sahen, »mehr und mehr sozusagen eine rein agrarische Organisation« zu werden.82 Sie blendet jedoch aus, daß es sich dabei um das Resultat eines Prozesses handelt, von dem um die Jahrhundertmitte noch keineswegs absehbar war, wie er ausgehen werde. Von der Sezession der Wochenblattpartei über die Auseinandersetzungen zwischen Frei- und Deutschkonservativen, Alt- und Neukonservativen bis hin zur Stoecker-Krise in den 90er Jahren war der Konservatismus kein erratischer Block, sondern eine Arena, in der sich zwar immer schärfer das Profil einer Interessentenorganisation und Interessentenideologie des agrarischen Sektors herausschälte, jedoch nur um den Preis einer beständigen Abstoßung damit nicht kompatibler Orientierungen. Mochte es den konservativen Parteien auch am Vorabend des Ersten Weltkriegs gelungen sein, die Reihen fest zu schließen, so hatten sich diese doch dafür merklich gelichtet. Hatten sie noch in den 80er Jahren bei den Reichstagswahlen gut ein Viertel der Wähler gewonnen, so war dieser Anteil 1912 trotz einer absoluten Zunahme relativ gesehen auf etwas über 12 % gesunken, davon drei Viertel für die Deutschkonservativen, ein Viertel für die Freikonservativen.83

      Kondylis hat das an einigen Stellen durchaus registriert, es allerdings nicht für erforderlich gehalten, seine These vom Untergang des Konservatismus um 1848 damit in Einklang zu bringen. Immerhin schließt sein Buch mit einigen Bemerkungen über »Das verstreute Erbe des Konservativismus« und enthält darüber hinaus Andeutungen, die erkennen lassen, daß der postulierte Schnitt so scharf nicht war. Das bezieht sich einerseits auf die Existenz einer »nationalkonservativen« Strömung in Gestalt der sog. Wochenblattpartei, die weniger eine Partei als vielmehr ein lockeres Bündnis einiger Abgeordneter und Beamter aus den westlichen Landesteilen Preußens war, das sich um das von Ende 1851 bis 1861 erscheinende Preußische Wochenblatt gruppierte.84 Den Anstoß zur organisatorischen Verselbständigung gaben allerdings nicht so sehr nationalpolitische als vielmehr spezifisch preußische Themen wie die Ablehnung der Verquickung von Religion und Politik durch den Gerlach-Kreis oder der von der Regierung Manteuffel betriebenen Revitalisierung der Kreis- und Provinzialordnung.85 Das schloß ein starkes Engagement für die nationale Einigung Deutschlands nicht aus, legte dieses aber auf die kleindeutsche Lösung unter preußischer Hegemonie fest und vertrat verfassungs- und wirtschaftspolitisch einen so entschiedenen Legalismus, daß prominente Liberale wie Droysen oder Treitschke den Eintritt in die Redaktion des Wochenblatts erwogen.86 Insgesamt erscheint es deshalb angemessener, statt von einer eigenen »nationalkonservativen« Richtung von einer Variante des Liberalkonservatismus auszugehen87, wofür nicht zuletzt auch die Aufnahme und Fortführung vieler Ziele dieser Gruppe durch die 1867 gegründete Freikonservative Partei spricht, die im Kaiserreich als ›oberste Mehrheitsbeschafferin der Regierung‹ wirkte,