Kürschners Volkshandbuch Deutscher Bundestag. Группа авторов

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Название Kürschners Volkshandbuch Deutscher Bundestag
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Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783958791404



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Bundestag hat sich durch die Wahl sehr stark erneuert. Für 276 Abgeordnete ist es die erste Wahlperiode, das sind fast 40 Prozent. Man erkennt sie in den nachfolgenden Biografien daran, dass ein Stern ihrem Namen vorangestellt ist. Für weitere 169 Abgeordnete hat erst die zweite Legislatur begonnen. Bei ihnen sind es zwei Sterne. Zieht man diese beiden Gruppen zusammen, so kommen wir auf über 60 Prozent der Abgeordneten, die man noch nicht als „alte Hasen“ des Parlamentsgeschehens bezeichnen kann. Einer ragt weit heraus: Für den CDU-Politiker Dr. Wolfgang Schäuble ist es bereits die 13. Wahlperiode. Der mit Abstand erfahrenste Abgeordnete ist nun also auch der „Chef“. Ihm kommt zugute, dass er das parlamentarische Geschehen aus unterschiedlichster Perspektive kennt. Er war Teil der Mehrheit wie Teil der Minderheit, er gehörte selbst der Regierung an und führte die Opposition an. Wenn der Bundestag nach dem Wahlergebnis nun vor größeren Herausforderungen steht, wenn es um die Würde des Hohen Hauses, um Debattenkultur und Minderheitenrechte geht, kann es nicht schaden, wenn an der Spitze so viel Erfahrung in einer Person angesiedelt ist.

      Der Bundestagspräsident strahlt weit über seine innerparlamentarische Rolle hinaus. Er ist protokollarisch zweiter Mann im Staat. Auch außerhalb des Bundestages hat sein Wort somit Gewicht.

      24 Sterne kommen durch die weiteren Mitglieder des Bundestagspräsidiums, den Vizepräsidenten, zusammen. Sie unterstützen den Bundestagspräsidenten und leiten mit ihm im Wechsel die Plenardebatten. Hans-Peter Friedrich von der CSU ist bereits seit 1998 im Bundestag und hat ebenfalls Erfahrungen sowohl in der Opposition als auch als Minister in der Regierung. Wolfgang Kubicki von der FDP hat vor allem jahrzehntelange Parlamentserfahrung im schleswig-holsteinischen Landtag und war zuvor bereits von 1990 bis 1992 und kurz 2002 im Bundestag. Das dienstälteste Präsidiumsmitglied ist Petra Pau von der Fraktion Die Linke. Sie gehört dem Bundestag seit 1998 und dem Präsidium seit 2006 an. Und auch Claudia Roth von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kam erstmals im Jahr 1998 in den Bundestag. Dagmar Ziegler von der SPD sammelte in Brandenburg Erfahrungen in Parlament und Regierung und gehört dem Bundestag seit 2009 an. Sie folgte im November 2020 auf den überraschend verstorbenen SPD-Politiker Thomas Oppermann (66). Der Bundestagspräsident würdigte ihn als „Vollblut-Parlamentarier“. Er habe sich in seiner Zeit als Parlamentarischer Geschäftsführer und Fraktionsvorsitzender genauso auf den leidenschaftlich geführten Schlagabtausch verstanden, wie er in seinem Amt als Vizepräsident auf die Wahrung der Würde des Hauses bedacht gewesen sei. Der Bundestag verliere mit ihm „einen besonnenen Kollegen von hohem juristischen Sachverstand und großer politischer Erfahrung“, erklärte Schäuble. In der Konstituierenden Sitzung beschloss der Bundestag, dass auch die AfD einen Vizepräsidenten vorschlagen kann; bis Ende 2020 gab es für die jeweils nominierten Personen jedoch in mehreren Anläufen nicht die erforderliche Mehrheit.

      Vor allem die parlamentarische Erfahrung und weniger das Lebensalter zählt – anders als der Name vermuten lässt – bei der Zusammensetzung des Ältestenrates. Dieser besteht aus dem Präsidium und weiteren Abgeordneten aller Fraktionen und unterstützt ebenfalls den Bundestagspräsidenten. Hier geht es um die Arbeitsabläufe im Parlament vor und hinter den Kulissen, etwa auch um die Klärung von Konflikten und besonderen Vorkommnissen während der Debatten. Der Ältestenrat legt mittelwie kurzfristig die Themen für die Beratungen im Plenum fest und setzt eine Reihe von Kommissionen ein, die sich intensiv zum Beispiel mit dem Einsatz der Informationstechnik im Bundestag oder mit den Belangen der Mitarbeiter auseinandersetzen.

      Verändert hat sich auch das Geschlechterverhältnis im Bundestag. Nach einem zuletzt gestiegenen Frauenanteil ging er nun von 37,3 auf 30,9 Prozent zurück. Die einzelnen Fraktionen trugen sehr unterschiedlich dazu bei. Die Fraktion von Bündnis 90 /Die Grünen besteht zu 58 Prozent aus Frauen, bei der Fraktion Die Linke aus 54 Prozent. 33 Prozent sind es bei der SPD, 24 bei der FDP, 16 bei der Union und elf bei der AfD. Zum Vergleich: Das Statistische Bundesamt zählt insgesamt 35,8 Millionen deutsche Männer und 37,5 Millionen deutsche Frauen im Land. Hier liegt der Frauenanteil also bei über 51 Prozent. Allerdings hatte der Bundeswahlleiter darauf hingewiesen, dass unter den 4828 Personen, die zur Bundestagswahl 2017 in Wahlkreisen und auf Landeslisten für den Bundestag kandidierten, der Frauenanteil ebenfalls lediglich 29 Prozent betrug.

       Wie Gesetze wirklich entstehen

      Es gibt eine dreifache Annäherung an den Kern der Arbeit des Bundestages als Gesetzgeber. Da ist zum ersten die Gewaltenteilungslehre, wie wir sie an den Schulen lernen. Danach macht die Legislative, also der Bundestag, die Gesetze, führt die Exekutive, also die Regierung, sie aus, und wendet die Judikative, also die Gerichte, sie an. Wir ahnen, dass dies formal richtig dargestellt ist, es in der Praxis aber anders läuft.

      Aus der Praxis wird oft die Vorstellung verbreitet, dass tatsächlich die Regierung die Gesetze macht, der Bundestag sie durchwinkt, und sie in Kraft treten, wenn der Bundesrat das nicht verhindert. Dafür scheint es auch immer wieder Belege zu geben. Etwa wenn gemeldet wird, dass die Regierung dieses oder jenes Gesetz „beschlossen“ habe. So weit verbreitet diese zweite Darstellung auch sein mag – auch sie trifft nicht zu. Darauf zu bestehen, dass die Regierung kein „Gesetz“ beschlossen habe, sondern lediglich einen „Gesetzentwurf“, wäre der erste Schritt zu einem besseren Verständnis.

       Das vielsagende „Struck’sche Gesetz“

      Die dritte Variante ist besser: das genauere Betrachten der Abläufe – einschließlich eines Blicks hinter die Kulissen. Aus denen dringt das häufig zitierte „Struck’sche Gesetz“ heraus und lässt ahnen, dass die Rolle der Abgeordneten möglicherweise größer ist als vielfach angenommen. Dieses „Gesetz“ besteht aus einem einfachen Satz: „Kein Gesetz kommt aus dem Bundestag so heraus, wie es eingebracht worden ist.“ So betonte es der inzwischen verstorbene seinerzeitige SPD-Fraktionschef Peter Struck mehrfach in einer Zeit, in der seine Partei wohlgemerkt die Regierung stellte. Es war also eine klare Ansage an seine eigenen Parteifreunde in der Regierung, die Rolle des Bundestages nicht gering zu schätzen.

      Die meisten Gesetze entstehen tatsächlich in den Ministerien. Hier gibt es entsprechenden großen fachlichen und juristischen Sachverstand. Wenn umweltrechtliche Vorgaben nicht zu den erhofften Ergebnissen führen und eine Nachbesserung nötig machen, sitzen im Umweltministerium diejenigen, die sich zusammen mit den Anwendern in anderen Behörden und Unternehmen am besten damit auskennen. Also liegt es nahe, dass sie auch die Vorschläge für eine Novelle erarbeiten und zusammen mit Fachleuten aus anderen Abteilungen und anderen Ministerien beurteilen, welche Vorteile, Nachteile und Nebenwirkungen eine neue haben würde. Zudem führt der Koalitionsvertrag zu einem Arbeitsplan der neuen Bundesregierung: Welche der vereinbarten Gesetze sollen in welcher Reihenfolge in Angriff genommen werden, welches Ministerium übernimmt dabei die Federführung, welches wird in welchem Umfang mit beteiligt? Auch deshalb liegt die Initiative vielfach bei der Regierung.

      Also ist das Entwerfen von Paragrafen bei ihr im Prinzip gut aufgehoben. Daneben hat der Bundestag selbst natürlich auch das Recht, Gesetze zu schreiben. Auch der Bundesrat kann Gesetzentwürfe auf den Weg bringen. Doch alle müssen erst einmal in den Bundestag eingebracht und dort grundsätzlich und allgemein in der sogenannten Ersten Lesung beraten wird. Am Ende wird noch nichts beschlossen. Vielmehr geht es dann zur Detailberatung in die Fachausschüsse. Einer übernimmt stets die Federführung. Hat das Gesetz Auswirkungen auch auf Politikbereiche, auf die andere Fachausschüsse spezialisiert sind, werden auch diese zur Mitberatung herangezogen.

       Alles wird auf Herz und Nieren geprüft

      In den Ausschüssen wird das geplante Gesetz auf Herz und Nieren geprüft. Manchmal liegen zum selben Themenkomplex auch unterschiedliche Entwürfe vor, in denen Koalition und Oppositionsfraktionen ihre gegensätzlichen Vorstellungen unterbreiten. Zumeist holt sich das Parlament auch externen Sachverstand ins Haus. Dann werden auf Vorschlag der einzelnen Fraktionen verschiedene Experten eingeladen, die das Meinungsspektrum in Praxis und Wissenschaft zum jeweiligen Beratungsgegenstand abdecken. Sie belassen es in der Regel nicht bei allgemeinen Einschätzungen, sondern tragen konkrete Änderungs- und Verbesserungsvorschläge vor. Der federführende Ausschuss bildet sich daraufhin eine Mehrheitsmeinung, stimmt auch über Änderungen ab und reicht den