Kürschners Volkshandbuch Deutscher Bundestag. Группа авторов

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Название Kürschners Volkshandbuch Deutscher Bundestag
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Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783958791404



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vorübergehenden Schließung der Kuppel für Besucher bemerkbar. Auch die Plätze für Journalisten auf der Pressetribüne wurden verringert, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Und auch im Plenarsaal und den Ausschussräumen galten Mindestabstände, im weiteren Verlauf ergänzt durch eine Maskenpflicht. Die übliche Begrüßung durch den Bundestagspräsidenten bekam eine neue Form: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte nehmen Sie unter Wahrung des notwendigen Abstands Platz“, hieß es zum Beispiel in der 154. Sitzung des Bundestages am 25. März 2020.

      Es war ein denkwürdiger Tag. Der Bundestag stellte eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ auch offiziell fest. Und er verabschiedete eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes mit zahlreichen Regelungen, die es dem Bundesgesundheitsminister und den Landesregierungen ermöglichten, lageangepasst auf die Corona-Entwicklung zu reagieren. Wichtig blieb, dass der Bundestag sein Recht und seine Pflicht zur Regelung der teils einschneidenden Vorgaben nur zeitlich und sachlich begrenzt übertrug und jederzeit zurückholen konnte. Gleichzeitig veränderte das Parlament mit einer Anpassung der Geschäftsordnung auch seine eigene Arbeit an die Pandemie-Bedingungen. Nun reichte zur Beschlussfähigkeit die Anwesenheit von mehr als einem Viertel (statt der Hälfte) der Abgeordneten, und Beratungen sowie Abstimmungen in Ausschüssen waren auch virtuell möglich: Die Abgeordneten konnten an den Zusammenkünften nicht mehr nur persönlich in den Sitzungssälen, sondern per Video auch von ihren Büros oder von zu Hause aus teilnehmen. Liefen Namentliche Abstimmungen vor der Pandemie in der Regel unter Entstehen eines dichten Gedränges Hunderter von Abgeordneter in kurzer Zeit auf engstem Raum ab, wurden die Urnen für die Stimmkarten nun außerhalb des Plenarsaales aufgestellt und so lange geöffnet, dass die Abgeordneten mit Abstand nacheinander ihre Karten einwerfen konnten. Zudem wurden die Immunitätsrechte der Abgeordneten so verändert, dass auch sie von Quarantäne- und ähnlichen Regelungen erfasst werden konnten.

      Nach wenigen Wochen hatte sich der Bundestag an die Arbeit unter Pandemie-Bedingungen gewöhnt und war zu der üblichen Vielzahl von Sitzungen, Tagungen, Hearings und Besprechungen zurückgekehrt – nur halt unter anderen Umständen. So tagten die Fraktionen häufiger virtuell oder wechselten den Versammlungsort: Die Fraktionen von Union und SPD konnten sich beispielsweise nacheinander auch im deutlich größeren Plenarsaal treffen, damit Abgeordnete und Mitarbeiter trotz physischer Präsenz untereinander die Mindestabstände einzuhalten vermochten. So wie das alltägliche Leben vor allem in den Sommermonaten unter Corona-Bedingungen weiter ging, spielten sich auch die parlamentarischen Abläufe ein. Im November 2020 verabschiedete der Bundestag eine noch detailliertere Novelle der gesetzlichen

      Grundlagen des behördlichen Handelns. Sie folgten unter anderem einem Appell des Bundestagspräsidenten und einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, wonach Eingriffe in die Grundrechte so präzise wie möglich gesetzlich verankert sein müssen.

       Aufgaben des Bundestages

      Damit sind zwei der wichtigsten Funktionen des Bundestages bereits deutlich geworden: Die Wahl- und die Gesetzgebungsfunktion. Der Bundestag entscheidet direkt oder indirekt mit, wer wichtige Staatsorgane, Verwaltungsfunktionen, herausgehobene Richterstellen und die Leitung von Kontrollbehörden übernimmt. Er kreiert also Verantwortlichkeiten, weswegen auch von einer Kreationsfunktion gesprochen wird.

      Nicht minder wichtig ist seine Aufgabe als Gesetzgeber. Wie zu Beginn der Wahlperiode deutlich wurde, kann er sie selbstständig wahrnehmen und muss nicht auf Gesetzentwürfe der Regierung warten, obwohl dort natürlich ein großer praktischer und juristischer Sachverstand vorhanden ist. Die Gesetzgebung (lateinisch: legum latio) ist ein derart herausragendes Alleinstellungsmerkmal, dass die Wahlperiode eines Bundestages auch als Legislaturperiode bezeichnet wird, das Parlament auch als Legislative gilt.

       Bundestag das oft zitierte „Forum der Nation“.

      Ohne die Forumsfunktion des Bundestages sind diese beiden Aufgaben jedoch nicht vorstellbar: Wer vom Volk als Vertreter legitimiert ist, die Regierenden zu bestimmen und Gesetze zu machen, der muss auch nachvollziehbar die dahinter stehenden Beweggründe darlegen. Alle drei Aufgaben stehen unter der Klammer höherer Verbindlichkeit. Es ist ein Unterschied, ob eine Talkshow im Fernsehen mit provokanten, gezielt ausgesuchten Meinungen Einschaltquote erreichen will oder ob der nach dem Wählerwillen repräsentativ zusammengesetzte Bundestag stellvertretend in aller Öffentlichkeit mit der Überzeugungskraft unterschiedlicher Argumente ringt. Hier bildet der Bundestag das oft zitierte „Forum der Nation“. Die Zeiten sind längst vorbei, in denen diese Öffentlichkeit lediglich gegenüber zufälligen Besuchergruppen, über die Berichterstattung der Medien und dicke Wälzer gebundener stenografischer Protokolle hergestellt wurde. Ein paar Klicks reichen nun, und jeder ist per Internet über bundestag.de live dabei, kann sich auch nachträglich noch alle öffentlichen Sitzungen insgesamt anschauen oder zu einzelnen Redebeiträgen scrollen. Wer wissen will, was im Bundestag vor sich geht, wird rund um die Uhr zu jedem Thema fündig.

      Die Bedeutung des Parlamentes liegt zudem in seiner Budgetfunktion. Der Bundestag entscheidet, wofür in diesem Staat auf Bundesebene Geld ausgegeben wird. Und wofür nicht. Die Bundesregierung wird zwar gerne mit Hinweisen zitiert, sie habe für dieses oder jenes Projekt Mittel bereitgestellt. Tatsächlich steht dahinter stets der Bundestag als Haushaltsgesetzgeber, der auch den Abfluss der Mittel kontrolliert und unvorhergesehene zusätzliche Ausgaben ebenfalls genehmigen muss. Diese besondere Rolle wird auch durch die Tradition unterstrichen, dass der Vorsitz im einflussreichen Haushaltsausschuss des Bundestages von einem Mitglied der größten Oppositionsfraktion übernommen wird.

       Die Kontrollfunktion der Opposition ist also wichtig, damit nichts unter den Teppich gekehrt werden kann.

      Damit sind wir bei der Kontrollfunktion des Bundestages. In der öffentlichen Wahrnehmung wird diese vor allem den oppositionellen Fraktionen zugeschrieben. Sie treten oft mit beißender Kritik in Erscheinung, forschen hartnäckig nach Verantwortlichkeiten und Hintergründen, wenn in der Regierung etwas schiefgelaufen ist. Auch deshalb ist es das Parlament gewohnt, ein wenig auf die endgültige Regierungsbildung zu warten, um jedem Ministerium und dem jeweiligen Fachbereich gezielt jeweils mindestens einen Ausschuss spiegelbildlich entgegenstellen zu können. So schauen Umweltpolitiker dem Umweltministerium auf die Finger, Außenpolitiker dem Außenministerium, Gesundheitspolitiker dem Gesundheitsministerium. Das ist in Zeiten des Klimawandels, angesichts eskalierender Konflikte und vor allem auf dem Weg zu Corona-Impfstoffen besonders wichtig. Der Bundestag muss aber nicht auf die Bildung einer neuen Regierung warten. Er ging alleine für die Fachberatungen an den Start und vollzog sodann den neuen Zuschnitt der Ministerien nach. So folgte er dem um die Bereiche Bau und Heimat erweiterten Innenministerium, indem es einerseits den Innenausschuss um die Zuständigkeit für Heimat erweiterte, zugleich aber auch einen Schwerpunkt mit einem eigenen Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen einsetzte.

      Kontrolle ist zwar faktisch vor allem Sache der Opposition, auch wenn das Parlament als Ganzes dazu offiziell berufen ist. Doch auch die Regierungsfraktionen sind daran beteiligt – und mitunter sogar besonders wirksam: Veränderungen am Haushaltsentwurf der Regierung kommen vorwiegend aufgrund der Vorstellungen in den Koalitionsfraktionen zum Tragen, und wenn ein Vorhaben der Regierung die eigene Fraktion nicht zu überzeugen vermag, ist es damit schnell zu Ende. Auch Rücktrittsforderungen gegenüber Regierungsmitgliedern sind oft folgenlos, wenn sie nur von der Opposition kommen. Wenn aber auch die Mehrheitsfraktionen die angegriffene Person für nicht mehr tragbar halten, wird sie zumeist abgelöst. Die Kontrollfunktion der Opposition ist also wichtig, damit nichts unter den Teppich gekehrt werden kann.

       Parlamente im Parlament: Die Fraktionen

      Die Fraktionen bilden eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren der parlamentarischen Abläufe. Die Bezeichnung kommt aus dem lateinischen Wort fractio für „Bruchstück“. Es umschreibt ein doppeltes Herausbrechen eines Teiles: Einerseits ist jede Fraktion Teil eines Parlamentes und mit zahlreichen Sonderrechten ausgestattet,