Das Honecker-Attentat und andere Storys. Dieter Bub

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Название Das Honecker-Attentat und andere Storys
Автор произведения Dieter Bub
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783954622115



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Whiskys zu überraschen. Die beiden mögen sich nicht besonders, gehen sich aus dem Weg, beschränken ihre Kontakte auf die notwendigen Absprachen bei den Konferenzen.

      Koch, der zupackende Macher, nicht eloquent sondern direkt, mit Gespür für attraktive Geschichten. Koch verstellt sich nicht, entscheidet und fordert Entscheidungen. Der schlanke Vierziger, blond mit kurz geschnittenem Haar, Harris-Tweed-Jackett, blaues Hemd, Karokrawatte, Cordhose, empfängt Müller auf flapsige Art, nicht hamburgisch, bleibt hinter seinem Schreibtisch sitzen, lässig, sagt: „Das hat mir gefallen, das Gespräch bei Ihnen. Danach habe ich mich über Sie erkundigt. Sie waren häufiger drüben. Ein Kenner der Verhältnisse dort.“

      „Drüben?“, fragt Müller. „Was meinen Sie?“ Er weiß, was Koch meint.

      „In Ostberlin, bei unseren Brüdern und Schwestern, das ist drüben.“

      „Immer wieder, wenn sich die Gelegenheit bot: Ostseewoche in Rostock, Leipziger Messe, das Festival des politischen Liedes, die Händelfestspiele in Halle. Ja!“

      „Können Sie sich vorstellen, für uns dorthin zu gehen, nach drüben?“, fragt Koch. „Wollen Sie das machen?“

      Er wollte, er wäre ohnehin dorthin gegangen, für das Radio als Hörfunk-Korrespondent. Die endgültige Entscheidung darüber sollte in wenigen Wochen getroffen werden.

      „Was erwarten Sie?“, fragt er.

      „Alles“, sagte Koch.

      „Alles, was alles?“, fragt Müller.

      „In den vergangenen beiden Jahren war im Heft fast nichts über die Zone zu lesen.“

      „Die Zone?“, fragt Müller und weiß um die Verachtung Kochs für die DDR.

      „Dieses Land DDR, das bei uns ziemlich in Vergessenheit geraten ist“, sagt er.

      „Weil es niemanden interessiert?“, fragt Müller.

      „Ich weiß nicht, ob es jemanden interessiert. Sie sollen dafür sorgen, dass es die Leute interessiert. Sie kennen sich doch aus!“

      Müller: „Soweit das möglich ist, vieles ist nicht möglich. Es gibt strenge Bestimmungen, Einschränkungen, keine freie Berichterstattung.“

      „Die gibt es weder in Moskau noch in Peking – und trotzdem berichten wir darüber“, sagt Koch. „Sie müssen die Geschichten finden, ohne Rücksicht.“

      Müller: „Ohne Rücksicht auf was?“

      Koch: „Ohne Rücksicht auf Vorschriften. Sie bekommen alles, was Sie benötigen. Wohnung in Ostberlin, Dienstwagen, ein Firmenkonto, steuerfreies Gehalt. Sie können über alles berichten – außer über langweilige Verlautbarungen. Und Sie können Reisen, wohin Sie wollen – nicht nur innerhalb der DDR, nach Warschau, Prag, Budapest, auch nach Moskau.“

      Koch ist in den vergangenen Jahren als Mann in Bonn häufiger nach Washington und Moskau geflogen. Die DDR hat ihn nicht interessiert. Er stellt sich das Land als klein, muffig, langweilig vor. Müller sagt zu.

      Nannen empfängt ihn, freundlich, distanziert, Zustimmung und Glückwunsch.

      Müller wird den Leuten von Deutschland I vorgestellt worden. Deutschland I, der Bereich Politik, für den Heiner Bremer verantwortlich ist, ein guter Analytiker, Anhänger Willy Brandts und Egon Bahrs mit ihrer deutsch-deutschen Entspannungspolitik, dazu als Redakteur bei D1 Ulrich Rosenbaum.

      Mit dem Anruf von Koch erfüllte sich ein lang gehegter Wunsch. Er könnte ein Ziel erreichen, dem er sich seit Jahren durch intensive Beschäftigung und Berichterstattung genähert hatte. Er wollte zurückkehren. Unter allen Möglichkeiten war es die reizvollste Aufgabe. Das scheinbar Fremde war ihm vertraut wie nur wenigen.

      Er hatte sich der Minenfeld-Grenze und der Elbe dahinter immer weiter genähert: eine Rückkehr in Schritten. Er war auf dem geteilten Fluss unterwegs gewesen, war an Bord der Zollboote aus dem Westen den grauen Schiffen der NVA begegnet. Er hatte am „Tag der deutschen Einheit“, am 17. Juni, mit ehemaligen Bewohnern und Politikern von Gedenkveranstaltungen in Zicherie berichtet. Zeugnisse der Teilung: Hinter dem jenseitigen Ufer der Elbe die Anlagen – Betonmauern vor verfallenen Bauerngehöften, die Bewohner ins Innere des Staates umgesiedelt – Wachtürme, Minenfelder, Hundelaufanlagen, Metallgitterzäune mit Selbstschussanlagen. Er hatte Reportagen über die Dörfer und Kleinstädte entlang der Grenze zwischen Elbe und Harz aufgenommen, den „Eisernen Vorhang“, den „antifaschistischen Schutzwall“ beschrieben.

      Frühjahr 1979 – Hamburg – Berlin – Gutengermendorf

      Montag, morgens um halb acht auf dem Land in Brandenburg. Brigitte B. wartet mit ihrer Tochter Angelika an der Haltestelle. Die Siebenjährige ist müde, ist immer müde, ein Abend- und Nachtkind, ein Späteinschlafkind. Der Schulbus wird das Mädchen abholen und mittags wieder zurückbringen. Die Familie, er Film-Dramaturg in Potsdam, sie Restauratorin, lebt auf dem Dorf, in den Kleveschen Häusern bei Gutengermendorf, nördlich von Oranienburg, Richtung Gransee, sieben Gehöfte, in Ellipsenform angeordnet, fernab der Hauptstadt und fern der Parolen.

      Klein-Venedig, Rahnsdorf, am Stadtrand von Berlin: Bernhard Wilhelm macht sich in seinem Wartburg auf den Weg ins Außenministerium, früh unterwegs nach einem angenehmen Wochenende, Bootstour mit der Familie über den Dämeritzsee nach Erkner, Grillabend am Wasser, Tatort, Westfernsehen.

      Keine besonderen Vorkommnisse, alles nimmt seinen sozialistischen Gang. In den Sonntagszeitungen aus der BRD Frankfurt und Hamburg, FAZ und Springers Welt und Bild am Sonntag keine Hetze gegen die DDR, besser, die DDR findet nicht statt. Auch im Spiegel nichts über die Deutsche Demokratische Republik. Seit Wochen nichts. Aussicht auf einen ruhigen Wochenanfang. Routine – Auswertung der Berichte der Genossen zur Überwachung der Korrespondenten, keine Erkenntnisse. Sie waren mit Ausnahme von Marlies Menge von der Zeit alle zu Hause in Westberlin oder der BRD. Überblick über Veröffentlichungen vom Wochenende, Vormittagskonferenz. In der Kantine wird es Soljanka und Schweinebraten geben.

      In der geräumigen Wohnküche im dritten Stock der Hansastraße in Hamburg-Eppendorf, fünf Minuten vom Funkhaus des Norddeutschen Rundfunks entfernt, blättert der Radiojournalist Dieter Müller in den wichtigsten Tageszeitungen – der Süddeutschen, der FAZ, der Rundschau, der Welt, dem Abendblatt und in Bild, registriert Aufmacher, Überschriften, überfliegt Artikel, liest Kommentare, hört die Nachrichten seines Senders und die letzten Berichte des Frühmagazins, das um neun Uhr endet. Müller ist so gut vorbereitet für seine Sendung, in fünf Stunden, den Kurier am Mittag.

      Bernhard Wilhelm schätzt die ruhigen Wochenenden in der Politik mit ihrer Ereignislosigkeit. Sie versprechen gemächliche Arbeitstage, wenngleich die Beschaulichkeit vergangener Jahre mit den neuen internationalen Verbindungen des Landes, der Anerkennung der DDR, dem Einzug der Botschafter aus aller Welt mit ihrem Gefolge und über einhundert akkreditierten Journalisten zu Ende ist. Der Preis der Kontakte sind Aufmüpfigkeiten von Kritikern, Pfarrern, Schriftstellern, Malern, selbst Schauspielern, Jugendlichen, die Gesetze missachten, aufbegehren, sich unzulässig äußern, dabei gerade die Nähe von Diplomaten und Korrespondenten suchen. Der Staat reagiert, überwacht, lädt vor, schüchtert ein, sperrt ein, verweist Feinde des Sozialismus des Landes.

      Die Restauratorin Brigitte B. sitzt im Garten ihres Bauernhauses, das die Familie kostenfrei von der LPG, dem volkseigenen Großbauernbetrieb, zur Verfügung gestellt bekommen hat. Ihr Mann ist mit dem knatternden Zweitakter nach Babelsberg unterwegs. Sie trinkt Kaffee – aufgebrüht – genießt die Ruhe, den Garten mit den blühenden Obstbäumen, den weiten Blick über die Wiesen, bevor sie sich einem barocken Taufengel zuwendet, der, auf dem Boden einer Dorfkirche entdeckt, von ihr sorgfältig gesäubert und gesichert wird. Sie wird erst später das Leben Müllers verändern und das Leben der anderen in Müllers Familie, das Leben seiner Frau, seiner Kinder, seiner Schwiegereltern, die noch meinen ihre Tochter sei in guten Händen.

      Dieter Müller stellt die sieben Themen für seine Sendung zusammen,