Morgenroths Haus. Thomas Perlick

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Название Morgenroths Haus
Автор произведения Thomas Perlick
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783962851590



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1937 mit der Bahn nach Hamburg zurückreisen und nach Amerika auswandern mussten, weil es Martin glücklicherweise so wollte, sagte Irene zu den traurigen Morgenroths:

      „Ich komme wieder. Hebt mir den Kleinen auf!“

      Und die tüchtigen Ladeninhaber nickten, allerhand Tränen in den Augen. Es war nach der kalten Nacht der Kristalle, als der Mob sich austobte und mit Lust brandschatzte. Der kluge Martin, einst Schiffsjunge und verhinderter Liebhaber, erkannte die Unheilszeichen der Zeit und handelte. Diesmal hatten sie den treuen Pepe nicht im Gepäck, aber sie hatten einander, die Kinder und allerlei Erinnerungen, die eine Rückkehr versprachen. In Themar wartete eine Tischlerei, ein Kaufmannsladen und eine gut gehütete Zigarrenkiste, die der dreijährige Kaufmannssohn Arnd Morgenroth im Jahre 1945 zum ersten Mal ganz bewusst wahrnahm. Dass er daraufhin sofort „Pepe“ sagte, ist nur ein Gerücht, aber ein sehr liebenswertes.

      Irene, Martin und die Kinder Johanne, Annemarie und (wir erinnern uns, aus welchem Grunde:) Fritz kehrten im Jahre 1952 zurück nach Themar und zu Pepe, dem alten hölzernen Kameraden in Morgenroths Haus.

      Warum? Weil diese Geschichte einen guten Schluss haben muss. Basta und Pepe!

      Mannsbilder im Freibad

      Schaut euch das mal an“, sagte Ulli, „fünfzig laufende Meter Unterwäsche.“

      Frank pfiff ordentlich durch die Zähne, denn fünfzig laufende Meter Unterhosen, Seidenstrümpfe und manches mehr auf einer Wäscheleine unweit der Ladestraße, das ist schon was. Selbst wenn es eigentlich nur zwölf Meter waren.

      „Und wo sind die BHs?“, fragte ich.

      „Die hängt sie nicht raus! Die müssen auf dem Dachboden trocknen.“

      „Aber bei der Tochter des Bürgermeisters nicht.“

      „Nein“, sagte Frank, „bei der hängen sie zwischen den Obstbäumen.“

      Die Tochter des Bürgermeisters hieß Ellen und war das unerreichbare Ziel unserer verfrühten Männersehnsüchte. Sie hatte alles, was man sich mit zwölf Jahren erträumt.

      „Ich hab sie schon mal fast nackt gesehen“, sagte ich.

      „Ja, ja, die Geschichte kennen wir schon.“

      „Sie hatte ja noch was an!“, maulte Andreas.

      „Nur ein rotes Höschen und einen Büstenhalter.“

      „Toller Erfolg, echt!“, spottete Ulli.

      So ging das oft. Wir drangen nur bis in den Vorhof all der Geheimnisse, die sich mit den großen Damen verbanden. Frauen waren rätselhafte Fabelwesen, was ihre Körper betraf, Sirenen, die unentwegt lockten und dennoch keinerlei Erfüllung schenkten.

      Auch die Mädchen in unsere Klasse waren zum Teil um Lichtjahre weiter und lachten uns aus, wenn wir beim Umziehen schief auf ihre Bäuche starrten. Sie schwärmten für Kerle aus der neunten oder zehnten Klasse, nicht für uns. Und wir berauschten uns an der drallen Tochter des Bürgermeisters, außerdem an Marion, die in käuflichem Ruf stand, und an Sebastians Mutter, Mitte dreißig schon, aber mit dem Körper einer Göttin gesegnet. Der Schöpfer hatte die Welt mit allerlei Reizvollem ausgestattet, unter anderem auch mit Lippen, Augenwimpern und Wölbungen unter engen Pullovern, die mehr versprachen als die Gleichberge bei Römhild. Die ganz Kecken unter uns behaupteten, alles schon zu wissen. Das waren die schlimmsten Lügenbolde.

      „Die Marion machts mit den Kerlen für Geld“, meinte Ulli mit einem leichten Schaudern in der Stimme.

      „Ja, das sagt man“, nickte Frank.

      „Wir könnten sie ja mal fragen“, sagte ich.

      Andreas war dagegen. Er war ja auch noch ein bisschen jünger als wir.

      „Man muss doch nur bis zur siebenten Klasse warten. Dann kommt das in Bio dran!“, sagte er trotzig.

      „Das geht doch nicht theoretisch.“

      „Wieso nicht?“

      „Weil mans machen muss, sonst hat es keinen Zweck.“

      „Mein Bruder sagt, man muss dabei an Urlaub denken“, sagte Frank.

      „Quatsch!“

      „Doch, an Palmen oder so was eben. Sonst geht es nicht.“

      „Große Brüder lügen bei solchen Themen immer“, behauptete Ulli.

      „Die tun wer weiß wie und dann haben sie noch gar keine Frau gehabt.“

      „Also, stimmen wir ab!“, sagte ich ungeduldig. „Wer ist dafür, dass wir Marion fragen? Wir können doch unser Taschengeld zusammenlegen, und wenn es nur für einen langt, dann gucken die anderen halt zu.“

      Andreas war dagegen, Ulli wollte nur zuschauen. Also mussten Frank und ich es ausknobeln. Es erwischte natürlich wieder mich. Ich hatte ja auch den Mund zu voll genommen.

      „Gut, und jetzt?“, fragte Frank.

      „Jetzt bringen wir uns erst einmal in Stimmung!“, sagte ich.

      „Was soll das denn nun wieder werden?“, fragte Andreas.

      „Wir gehen ins Waldbad und schauen durch die Löcher in die Umkleidekabinen!“

      „Das letzte Mal hast du uns den nackten Hintern unseres Mathematiklehrers gezeigt.“

      „Gut, das war halt Pech. Diesmal klappt es besser.“

      Wir liefen also in einem großen Bogen von hinten an das Themarer Waldbad heran. Dort, wo der Zaun am niedrigsten war, kletterten wir drüber und schlenderten auffällig sorglos über die große Liegewiese.

      „Guck mal, die Brigitte!“ hauchte Ulli aufgeregt.

      Tatsächlich, da lag die schöne Schlanke aus der neunten Klasse, ein Traumweib mit Beinen, so lang wie die heißen Gedanken daran.

      „Sie liegt auf dem Bauch und der Rücken ist frei!“, stammelte nun sogar Andreas.

      „Wenn die sich jetzt umdreht!“

      Sie drehte sich aber nicht um. Die aufregende Brigitte las gerade in einer Romanzeitung und lag rückenfrei vor uns.

      „Was glotzt ihr denn so?“, fragte sie unvermittelt, ohne auch nur einmal von ihrer Lektüre aufzublicken.

      „Wir wollten nur ...“, stotterte Frank, aber es fiel ihm nichts ein.

      „Macht die Mücke, Babys!“, sagte sie in hartem Befehlston, und wir gehorchten natürlich.

      „Die spinnt wohl. So spricht man nicht mit einem Mann!“, sagte Ulli, als wir in sicherer Entfernung waren.

      „Nee, mit einem Mann nicht“, spottete Andreas, „aber mit uns schon.“

      „Du hast genauso hingeglotzt!“, maulte Frank.

      „Hab ich nicht!“, behauptete Andreas.

      Immerhin, es war ein richtiger Festtag für uns. Auf der linken Seite lag nämlich die Schwarzhaarige aus der Eisdiele, Waltraut, die Weiche. Ein bisschen zu füllig, aber immer an den richtigen Stellen.

      „He, die Waldi ist auch da!“, sagte Frank.

      „Ja, schon!“, erwiderte ich. „Aber wenn alle hier draußen rumliegen, dann kann ja nur noch der Magerquark in den Kabinen sein.“ Das war unser Wort für die Kleinen und Dürren, an denen man überhaupt keine vernünftigen Sichtstudien betreiben konnte.

      „Jetzt sind wir einmal hier, da versuchen wir es auch!“, sagte Ulli.

      „Klar“, meinte Frank, „wir verteilen uns. Wer einen Treffer hat, gibt Zeichen.“

      Es war gar nicht so einfach, im Freibad einen Treffer zu landen. Es zogen sich ja nicht alle Damen gleichzeitig um, und die Auserwählten schon gar nicht. Man musste viel Glück haben.

      Wir