Название | Morgenroths Haus |
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Автор произведения | Thomas Perlick |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962851590 |
Hörst du den vollen Sopran der roten Bonbons? Sie klingen reiner als die blauen. Und die grünen Pfefferminzer brummen etwas.
Vielleicht sind sie noch im Stimmbruch? Puffmais kannst du gar nicht missdeuten. Er trifft sogar das hohe Fis.
Hörst du es? Morgenroths bauen ihre Wunderwelt im Kramladen. Sicher, er lädt auch zum Kaufen ein. Aber als erstes immer zum Schauen.
Da, dieses Klappern: Man hat die Deckel der Holzkistchen geöffnet! Jetzt sieht man die Zigarren in ihren Miniröcken um den schlanken Leib. Mir brachten sie später einen schönen Durchfall ein mit feuerrotem Po und Wundmalen an der Innenseite. („Junge, wann kommst du eigentlich mal vom Klo herunter?“) Die kleinen Sünden bestraft der Herr nämlich sofort. Aber auch für diesen Fall holte man die Salbe nicht beim Apotheker. Sie lag in Morgenroths Regal, links, nicht weit von der Kernseife.
Endlich knackt der Schlüssel und nun öffnet sich die Tür. Die Männer kommen auf ein Bier und eine dicke Havanna.
(„Ach, scheiß auf die Alte! Wird der Zins halt verraucht, statt versoffen!“)
Kannst du mich sehen? Nicht? Dann träum dich zurück. Es sind nur vierzig Jahre! Das bin ich wirklich, der Kleine in Lederhosen! Der Gütige neben mir, das ist mein Onkel, Landarzt und Kaltraucher. Auch so ein Zigarrenkunde. Immer steckte das braune Rohr erloschen zwischen seinen Lippen.
Komm, schauen wir durch die Fenster in Morgenroths Haus hinein! Ich kann mich nicht mehr beherrschen.
Siehst du mich vor den Lakritzen? Jetzt greift die freundliche Frau Morgenroth nach den Brezeln und ich darf ins Süße langen. Ich mag die Streifenbonbons, diese Zahnzieher, die sich so schön verkleben. Frau Zahndoktor Senf wird’s schon richten mit ihrem lärmenden Gaumenbohrer.
Nun sitzen die Schwatzmänner am Tresen und schütteln sich ihre Morgengeschichten aus den Hirnrinden. Sie wissen alles besser. Das darf man auch, wenn man aus den Gläsern liest.
So war die kleine Welt in Morgenroths Haus. Ich seh’ sie noch und du kannst das auch. Man muss nur lieben, was vergangen ist. Dann geht es schon!
Pepe, das Zigarrenkistchen
Nein, ein Kolonialwarenladen war das Kaufparadies Morgenroth gewiss nicht. Die meisten Dinge zählten zu den Einheimischen. Sie waren nämlich mit der Bahn gekommen. Dennoch gab es weitgereiste Burschen, die nach Fremde rochen und düstere Geschichten erzählen konnten. Das waren vor allem die Zigarren, braungebrannte, windgegerbte Kerle, die sich vor nichts fürchteten und eine raue Stimme hatten.
Sie kamen aus Übersee und hatten nach einer langen Reise die Freie und Hansestadt Hamburg erreicht, die Königin der Hafenstädte. Wer von dort nach Themar kam, wurde besonders beneidet. Denn in Hamburg gab es nicht nur feine Leute und mehrstöckige Kaufhäuser, sondern vor allem ein berühmtes Bordell, das ganz anders war als die billigen Absteigen sonstiger Hafenmetropolen. Obwohl es eingerichtet war wie ein Hotel erster Klasse, fanden selbst Leichtmatrosen aus Ostfriesland dort Aufnahme, sofern sie ihre Heuer noch beisammen hatten. Freilich mussten sie sich zunächst in einem der Bäder des Hauses ausgiebig reinigen. Erst danach erwählte man sich die Dame des Abends und stillte das lange gezügelte Begehren.
Wer aus Hamburg kam, der hatte zwar oft kein Geld mehr, konnte aber von einer Liebe berichten, für die man gern bezahlt. Auch die abenteuerliche Reise der Zigarrenkiste Pepe hat mit diesem Ort käuflicher Lüste zu tun.
Aber beginnen wir die Geschichte an ihrem Anfang:
Pepe wurde am 26. April des Jahres 1921 in Rio von dem achtfachen Familienvater Julio gefertigt, und zwar aus sehr dünnen Brettchen, die in einem neu entwickelten Verfahren gefalzt, geklebt und schließlich am Deckel mit Messingbeschlägen verschraubt wurden. Julio hatte darin eine solche Fertigkeit entwickelt, dass er pro Tag an die zwanzig Kistchen mehr herstellte als seine Kollegen. Deshalb konnte er sowohl seiner drallen Frau wie auch seinen dunkeläugigen Kindern manche Freude bereiten, freilich in sehr bescheidenem Maße, denn der Lohn war karg und nur die Firmenbosse wurden fett.
Julio stellte das fertige Produkt auf ein Förderband. Nun konnte die runde Maria mit einem geschickten Griff genau achtzehn dicke Zigarren in das Behältnis legen, es verschließen und mit einer roten, bedruckten Banderole bekleben. Am Ende wurde die brasilianische Herkunft durch einen Echtheitsstempel bestätigt, den ein Herr vom Zoll mit bedeutungsvoller Miene aufdrückte.
Pepe war die zweiundvierzigste Kiste, die vom geschickten Julio an diesem 26. April 1921 fertiggestellt, von Maria verschlossen sowie von der Staatsmacht gestempelt wurde. Ein ganzer Fuhrpark langer Kutschen wartete schon auf dem Hof, so dass Pepe ohne Verzögerung zu einem stolzen Segelschiff namens „Antonia“ transportiert werden konnte. Zur Besatzung gehörten: der feige Kapitän Jens Leid, der versoffene Steuermann Per Bodenstein, der Schiffskoch Bodo Belter und nicht weniger als 16 Leichtmatrosen, darunter Fritz Teumer, und natürlich der Schiffsjunge Martin Winter, der in unserer Geschichte noch eine herausragende Rolle spielen wird, ein Waisenknabe aus dem Allgäu, der im Gegensatz zu zwei Dritteln der Besatzung die kommende Tragödie überlebte.
Schiffsjunge Martin und Leichtmatrose Fritz freundeten sich bereits am Anfang der langen Seereise an. Beide waren aus einer bösen Kindheit gekrochen und hatten nun tollkühn ihr Schicksal in die eigene Hand genommen.
Während eines windstillen Tages erzählte Martin seinem väterlichen Freund vom Waisenheim „Theodor Fontane“, dessen menschenverachtende Pädagogik den Ruf des unschuldigen Dichters in den Herzen der Kinder gründlich ruiniert hatte. Von entsetzlichen Strafen berichtete Martin dem erstaunten Fritz: Vom Barfußlaufen im Schnee und den Nächten, die man stehend im stillgelegten Kamin des Südflügels verbringen musste. Außerdem erzählte Martin von jenen Dingen, die der Herr Direktor mit einigen Mädchen machte, wenn sie zwar erst zwölf, aber schon erblüht waren. Fritz Teumer, der sich Kinder wünschte, spuckte dreimal aus.
„Schiffsratten allesamt“ fluchte er laut und schwor eine Rache, die er nicht mehr vollstrecken musste. Der Herr Direktor starb wenig später an einer Pilzvergiftung. Er hatte die Todsünde begangen, eines seiner Mädchen in der Küche anzustellen, als es für seine Gelüste schon zu alt war.
„Die Herren Großmäuler sind das schlimmste Saupack in dieser verkommenen Zeit“, fluchte der Leichtmatrose.
Nun hatte die Erwähnung des Missbrauches in dem liebestollen Fritz aber ein heißes Begehren entfacht. Er begann, dem Schiffsjungen Martin von dem herrlichen Haus der Freuden in der Hamburger Innenstadt zu erzählen. Er pries die bildreichen Tapeten und schwärmte davon, dass die Betten immer sauber rochen.
Außerdem fände man stets Sekt und Salziges auf den Tischchen. Am wichtigsten allerdings sei, dass die Dame eigener Wahl immer zwei geschlagene Stunden für ihren Liebhaber Zeit habe. Das alles sei in dem stolzen Preis enthalten. Drei Viertel seiner Heuer müsse man dort hinlegen, sagte Fritz mit leuchtenden Augen. Er fahre also von hundert Seemeilen fünfundsiebzig nur für diese zwei fröhlichen Stunden. Aber das sei es ihm allemal wert.
Der jungfräuliche Martin hörte mit fiebrigem Gesicht zu.
„Dann ist es also unmöglich vom Lohn des Schiffsjungen“, sagte er traurig. Aber sein Freund Fritz wusste eine Lösung.
„Halt mir den Rücken frei!“, sagte er und stieg in den Laderaum hinab. Dort war eine Wache aufgestellt, Alois, ein versprengter Bayer mit Liebe zur See.
„Alois“, sagte Fritz, „ich sing dir die Bayrische Hymne, wenn du mir ein einziges Kistchen voller Zigarren überlässt.“
Alois,