Название | Morgenroths Haus |
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Автор произведения | Thomas Perlick |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962851590 |
Da erschrak die Schönäugige ganz entsetzlich. Sie sah mit ihren flehenden Augen zu ihm hin. Aber er war schon aufgestanden, um sie zu holen, seinen Preis des Abends. Und so ging sie mit ihm. Auch das Zimmer, in dem sie verschwanden, war die 31. Es gab ein breites Bett darin, ein Tischchen mit Gebäck und Wein, einen Kleiderständer und die gedämpfte Lampe. Martin setzte sich.
„Es tut mir leid“, sagte er, „ich bin zum ersten Mal hier und kenne die Gepflogenheiten nicht. In Wahrheit war ich überhaupt noch nie mit einer Frau zusammen. Mir fehlt die Erfahrung in diesen Dingen.“
Jetzt erst wagte er aufzublicken.
„Mir auch“, sagte die Zarte leise.
„Aber Sie sind doch hier angestellt!“, sagte Martin verwundert.
„Ja, seit Montag, aber es hat mich nie jemand genommen, und mir wars recht so.“
Martin blickte auf, sah ganz tief in die braunen Pupillen hinein und verliebte sich zum ersten Mal in seinem jungen Leben gleich dermaßen heftig, dass ihm ganz schwindlig wurde. Er nahm die Decke und legte sie dem Mädchen um die Schultern. Jetzt war ihr kleiner Sternenbusen ebenso bedeckt wie die schlanken Beine. Martin griff verlegen in die Tasche, wo er auf Pepe, das Kistchen stieß, einen Voyeur wider Willen.
„Das habe ich als Bezahlung mitgebracht“, sagte er. „Rauchen Sie?“ Sie lachte: „Auch darin bin ich noch unschuldig. Bei uns im Heim war es streng verboten.“
Plötzlich sah der Schiffsjunge Martin das Waisenheim „Theodor Fontane“ wieder vor sich und wurde hellhörig.
„Sie waren auch im Kinderknast?“
„Ja, sozusagen.“
„Dann verbindet uns ja doch etwas. Im übrigen bin ich Martin Winter, der Schiffsjunge.“
„Angenehm“, sagte sie, „Irene Friedenthal. Verhinderte Prostituierte.“
Sie sahen sich lachend in die Augen, und plötzlich begann in Zimmer 31 ein langes, bitteres und doch unerhört vertrautes Fragen und Antworten, Kichern und Schluchzen und vor allem ein heißes Verlieben in den gequälten Herzen. Als die zwei Stunden verstrichen waren und draußen der Gong ertönte, da saß das Mädchen Irene noch immer dicht bei dem Schiffsjungen Martin, in die Decke gehüllt, jungfräulich beide nach wie vor, aber glücklicher als alle anderen in diesem freudenreichen Haus. Pepe hatte mancherlei gehört, aber wenig gesehen und wars zufrieden. Was interessiert sich ein Zigarrenkistchen auch für die fleischlichen Dinge?
Fritz Teumer, der selige Leichtmatrose, hockte schon fertig angezogen da, als Martin mit der schönäugigen Irene kam.
„Aber Kumpel“, sagte Fritz, „du darfst die Dame des Abends doch nicht einfach mitnehmen. Wo denkst du hin?“
„Mach ich aber“, sagte Martin übermütig, „und vielen Dank für alles!“
Fritz sah ihn entgeistert an: „Die Lust hat dich doch nicht zum Narren gemacht, mein Freund?“
„Wenn schon, dann die Liebe!“, erwiderte Martin, seine Irene fest im Arm haltend.
„Hast du denn nicht ...“
„Nein, wir mussten einfach zu viel reden.“
„Und die Zigarren?“
„Die sind noch da“, sagte Martin.
Nun wurde Pepe mitten im Hamburger Nobelbordell geöffnet, denn man findet hier genügend Abnehmer für brasilianische Zigarren.
Bis auf eine einzige wurde Pepe leer gekauft und das verliebte Paar beschloss nun in seinem fröhlichen Übermut zu verreisen. Am Bahnhof las man einander allerlei mögliche Ziele laut vor: Hameln, Querfurt, Rothenstein. Aber am verheißungsvollsten klang Sonneberg in Thüringen. Als Martin zum Fahrkartenschalter ging, erklärte man ihm dort, dass sein Geld nicht bis Sonneberg reichte. Man könne auf dieser Strecke allenfalls bis Themar kommen.
Das klang zwar vom Namen her nicht so schön, wie es dann in Wirklichkeit war, aber die beiden Hochverliebten waren in so ausgelassener Stimmung, dass sie nun eine Fahrkarte von Hamburg nach Themar lösten. Martin bestaunte die riesige Dampflok ausgiebig und plauderte mit Lokführer Ludwig. Am Ende stellten beide erfreut fest, dass die Bahn einen unbestreitbaren Vorteil hat: Sie kann nämlich niemals untergehen.
Die zarte Irene, die vollständig angezogen viel bezaubernder aussah als unter ihren Goldsternen, schenkte dem Lokführer Ludwig die letzte Brasil, so dass unser Kistchen Pepe nun leer, aber durchaus sehr erleichtert war.
Auf der langen Fahrt mit mehrmaligem Umsteigen schmiegten sich die beiden Liebenden aneinander. Die schöne Irene legte ihren Lockenkopf auf Martins Schoß. Im benachbarten Abteil der dritten Klasse führte eine Bäuerin zwei Gänse in einem Käfig mit sich. Das Federvieh machte einen so entsetzlichen Lärm, dass Martin seine großen Hände über die Ohren der Liebsten legte, ihren Schlaf zu behüten. Er wusste schon damals, dass er sie beschützen musste – ihr ganzes Leben lang. Allerdings ahnte er noch nicht, wie nötig sie seine großen Hände einmal haben würde. Irene war nämlich Halbjüdin von Geburt, und es kamen bald die Jahre ganz anderer goldener Sterne in ihrem Leben. Sie wurden auf die Jacke genäht und bedeuteten das sichere Todesurteil. So fuhr Martin schließlich im Jahre 1937 noch einmal mit dem Schiff, und zwar mit Irene und den Kindern nach Amerika. All seine Ersparnisse langten nicht, aber es gab Menschen mit offenen Händen im kleinen Themar, den Schnitzer und den Geschäftsinhaber eines gewissen Kaufladens.
Aber so weit sind wir noch nicht.
Irene schlief noch, beschützt von einem Liebsten, den sie auf höchst ungewöhnliche Weise kennen gelernt hatte. Die Gänse stiegen jetzt aus und ein Offizier ein. Er schaute das Paar durch seinen Feldstecher hindurch an und eine kleine Sehnsucht regte sich in ihm. Aber seine Seele war bei Verdun gestorben und lag verschüttet in einem der eingestürzten Schützengräben.
Auch Martin war nun eingeschlafen. Das Kistchen Pepe stand neben ihm, leer an Zigarren, aber reich an Erfahrungen eines kurzen und doch ereignisreichen Lebens.
Der Zug rumpelte dahin. Manchmal pfiff die Lok laut auf. Ein andermal hörte man die Bahnschranken klirren. Im Ozean sank gerade das letzte Zigarrenkistchen, durch eine freundliche Strömung bisher immer in Bewegung gehalten, auf den Meeresboden hinab, wo schon Alois, der Bayer, und fünfzehn Leichtmatrosen ruhten. Nur den Schiffskoch hatten die Piraten mitgenommen, denn ihr Fraß war bisher schauerlich, und das rettete ihm das Leben.
In Erfurt stiegen Irene und Martin zum vorletzten Mal um. Irene streichelte Pepe ganz zart: „Mein Glückskistchen!“, sagte sie leise.
Die beiden Liebsten hatten noch niemals einen Tunnel passiert. Nun stürzten sie plötzlich in Finsternis, erschraken, hielten sich aneinander und lachten, als es wieder hell wurde.
Und so kamen sie schließlich in Themar an, ein leeres Zigarrenkistchen im Gepäck. Als sie vom Bahnhof aus Richtung Kirche gingen, da standen sie plötzlich vor Morgenroths Haus. Pepe entdeckte in der Auslage einen Bruder, das Zigarrenkistchen Rio, das schon vor einem halben Jahr angekommen war.
„Ich habe noch drei Pfennige“, sagte Irene, „wir wollen sehen, was wir dafür bekommen können.“
Im Laden standen zwei Männer in sägemehlweißen Latzhosen. Sie drehten sich natürlich um, denn die Liebe kommt auch hier nicht jeden Tag so fröhlich hereinspaziert. Die eifrige Frau Morgenroth fragte nach dem Begehr und Irene legt das letzte Geld auf den Ladentisch.
„Ich hab da auch noch ein leeres Zigarrenkistchen“, sagte Martin.
„Hm“, murmelte Frau Morgenroth „nun gut. Als Behältnis immer willkommen.“
Sie kochte Kaffee, belegte einige Brote mit Wurst und schaute zufrieden, als die beiden aßen. Dann holte sie den Kuchen vom Sonntag und Martin aß ihn ganz allein auf, denn Irene war immer viel zu schnell satt. Als die beiden schließlich hinter einem der Arbeiter herzogen, weil er ein