Boat People. Sharon Bala

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Название Boat People
Автор произведения Sharon Bala
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783963114441



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Tränen ausgebrochen, Appa wurde ungnädig. Aber zu seinem achtzehnten Geburtstag hatten sie die Formulare nach Hause gebracht und es offiziell gemacht. Aber Priya nannte ihn nach wie vor immer nur Rat.

      Im Fernseher hinter ihnen lief ein Dokumentarfilm: Zwei Affen, jeder in seinem eigenen Käfig, reagierten auf eine Person, deren blau behandschuhte Finger wiederholt im Bild erschienen.

      Die Natur der Dinge?, fragte Priya.

      Rat legte einen Finger auf den Mund und überschaute das Schachbrett.

      David Suzukis wohlbekannte Stimme erklärte: Die Kapuzineraffen tauschen einen Stein gegen eine Gurkenscheibe. Solange beide dieselbe Belohnung bekommen, gehen sie diesen Tauschhandel immer wieder gern ein.

      Ich habe gesehen, dass deine Firma was mit diesem illegalen Schiff zu tun hat, sagte Rat.

      Appa knurrte unwirsch, und als Priya hinschaute, sah sie, wie Rats Turm Appas Läufer schlug. Nicht illegal, korrigierte ihn Priya. Es ist völlig legal, an der Landesgrenze anzukommen und einen Asylantrag zu stellen. Die Regierung lässt viele falsche Anschuldigungen vom Stapel, um die Sache zu vernebeln. Sie hörte, wie Gigovaz’ Wort vernebeln aus ihrem Mund kam und sagte nichts weiter.

      Rat hob abwehrend die Hände: Ich sage ja nur, was ich aus den Nachrichten habe.

      Ja, Reporter plappern jede erlogene Behauptung der Regierung einfach nach, sagte Priya.

      Na, und was ist die wahre Geschichte dieser Schiffsflüchtlinge?, fragte Rat. Und was hat deine Firma damit zu tun?

      Priya, sagte ihr Vater, ohne den Kopf zu heben. Geh mal und hilf deinem Onkel.

      Onkel Romesh lebte, seit er vor Jahren nach Kanada gekommen war, bei ihnen als dritter, nachsichtiger Elternteil, der eher gütig als streng war. Schon als Kind hatte Priya die Distanz zwischen ihrem Vater und ihrem Onkel gespürt, eine Kälte, die sie nicht begreifen konnte. Nachdem sie einmal eine scharfe Auseinandersetzung zwischen den beiden miterlebt hatte, fragte sie: Kannst du Onkel Romesh denn nicht leiden? Appa hatte nur gesagt: Doch, doch. Er ist mein Bruder.

      Aber als Ma krank wurde, hatte sie Priya aufgetragen: Romesh darf auf keinen Fall weggehen.

      Weggehen?, hatte Priya daraufhin gefragt und bei sich gedacht, dass die Chemotherapie dem Kopf ihrer Mutter zugesetzt haben musste. Wohin könnte Onkel denn gehen wollen?

      Du darfst nicht zulassen, dass dein Vater ihn wegschickt, hatte Ma gesagt und Priya dabei das Handgelenk gedrückt. Romesh ist hier genauso zu Hause wie wir.

      Doch was immer Ma befürchtet hatte, es trat nicht ein. Als sie krank war, führte der Onkel den Haushalt. Danach hatte er eine Trauerzeit von sechs Monaten eingeräumt, doch dann brachte er Ordnung in ihren Tagesablauf. Am Montag spielten er und Appa Euchre im Vietnamesischen Gemeinschaftszentrum. Am Mittwoch gab es Cricket mit ein paar Freunden aus Bangladesch. Und jeden Abend stärkten sie sich vor dem Schlafengehen mit einer Episode aus der Fernsehreihe Schatten der Leidenschaft, die sie auf dem Videorecorder aufzeichneten. Der Verlust hatte die beiden Brüder so eng verbunden, wie Ma, als sie noch lebte, es nie vermocht hätte, und die Distanz, die Priya gespürt hatte, schien zu verschwinden.

      Onkel Romesh war in der Küche. Er trug einen Sarong und ein kariertes Hemd mit aufgerollten Ärmeln. Die Arbeitsfläche war mit Mehl bestäubt. Neben einer offenen Flasche Kokosöl stand ein Messbecher mit Wasser. Der Onkel kämpfte mit einem hart geratenen Teigklumpen, den er auszurollen versuchte. Nebenbei verfolgte er eine Call-in-Radiosendung.

      Mas Kochbuch lag aufgeschlagen da. Priya blätterte eine Seite weiter, das Papier war abgenutzt und fast durchsichtig, wie eine Zwiebelschale. Die akkurate Handschrift ihrer Mutter verzierte die Ränder. Ihre Notizen hatte sie auf Englisch geschrieben, aber die Buchstaben hatten noch die kunstvollen Rundungen der tamilischen Schrift. Priya strich behutsam über die verblassten Schriftzeichen.

      Godamba Roti?, sagte sie. Gar nicht so einfach.

      Der Onkel klatschte den Teig auf den Metzgerblock. Unmöglich!

      Der Radiomoderator gab seine Meinung über das G8-Gipfeltreffen kund. Priya versuchte, die irritierende Stimme zu ignorieren, und ging zum Onkel hinüber. Kauf es das nächste Mal doch einfach schon fertig.

      Er legte einen Arm um ihre Schulter und drückte sie leicht. Wie geht es dir, mein Schatz? Wie läuft die Arbeit?

      Mein Chef ist ein Säufer, sagte Priya.

      Wenn Ma noch am Leben gewesen wäre, hätte sie gesagt: Tschi, tschi … so was darfst du nicht sagen. Aber Ma war nicht mehr da, und es gab niemanden mehr, der sie zurechtwies.

      Ich dachte, du hättest ein gutes Verhältnis zu deinem Chef. Der Onkel machte eine Schranktür unter dem Spülbecken auf und warf den Teig in den Komposteimer.

      Priya nahm einen Reiskocher aus dem Schrank und erklärte ihm, wie es sich mit Gigovaz und ihrer neuen Arbeit verhielt. Sie maß den Basmati ab und schüttete Wasser aus dem Messbecher darüber. Der Onkel gab mit einem Löffel noch etwas Kurkuma hinzu und rollte eine Handvoll Kardamom, Nelken und Curryblätter in ein Seihtuch. Priya hatte ihm diesen Trick beigebracht. Ma hatte einfach alle Gewürze in den Reis geworfen, und beim Essen mussten sie dann die Gewürzreste herauspicken. Priya und Rat maulten dann immer darüber, besonders wenn sie versehentlich auf eine Kardamomschote bissen und den bitteren Geschmack auf der Zunge hatten. Und Ma wies sie zurecht, wenn sie aufmucksten. Wussten sie denn nicht, dass es Kinder in Äthiopien gab, die hungern mussten?

      Der Onkel hatte von dem Schiff gehört. Fünfhundert Menschen!, sagte er. Nicht vorzustellen! Und jetzt stecken sie die Männer ins Gefängnis, nicht? Mit gedämpfter Stimme fügte er hinzu: Gut, dass sie dich haben.

      Warum flüstern wir eigentlich?, fragte Priya belustigt. Onkel konnte manchmal abergläubisch sein wie ein altes Weib. Als Ma krank war, hatte er das Wort Krebs kein einziges Mal über die Lippen gebracht.

      Na ja, sagte er und nickte in Richtung Wohnzimmer. Lass sie ihre Sendung hören.

      Meine Klienten hätten es viel leichter mit Leuten, die wissen, was sie tun, sagte sie.

      Gigovaz hatte ihr ein Buch über Flüchtlingsrecht geliehen, und sie kam nur langsam damit voran. Es war unfair gewesen, ihr diesen Auftrag zu geben, und das machte ihr schwer zu schaffen. Ihre ganze berufliche Laufbahn war über den Haufen geworfen worden – nur wegen ihrer Hautfarbe.

      Bisher habe ich immer nur Formulare ausgefüllt, sagte sie. Sklavenarbeit.

      Zunehmend regte sich in Priya der Verdacht, dass sie nur zu Gigovaz’ Vorteil da war. Er gerierte sich als Professor und hörte sich gern reden. Es entging Priya nicht, mit welchem Stolz er sie als meine Jurastudentin vorstellte. Die Art und Weise, wie er mit seiner ungeduldigen, fleischigen Hand gestikulierte, machte sie wahnsinnig. Er hatte immer noch nicht gelernt, ihren Namen richtig auszusprechen.

      Im Radio erging sich ein Anrufer in philosophischen Erörterungen. Er sprach mit leicht südasiatischem Akzent und machte das runde W jedes Mal zu einem schlanken V. Der Onkel drehte den Wasserhahn auf, und in einer ihrer Gesprächspausen hörten sie, was der Anrufer sagte: Es gibt zwei Wege für den Einwanderer. Den schweren Weg, den ich gegangen bin: Englisch lernen, eine Hochschulbildung erwerben und Berufserfahrung sammeln. Und dann den leichten Weg: Terrorist werden und Flüchtlingsstatus beantragen.

      Ah! Der Onkel fuhr zusammen und zog seine Hand aus dem laufenden Wasser.

      Abfangen und abschieben, so würde ich das machen, pflichtete der Moderator dem Anrufer bei.

      Priya schaltete das Radio aus. Warum hörst du dir diese Station an?

      Aus dem Wohnzimmer kam Rats schadenfrohes Gelächter.

      Dankbar für diese Ablenkung, steckte Priya ihren Kopf durch die Tür. Sie wollte jetzt nicht mehr über ihre Arbeit sprechen. Auf dem Bildschirm warf ein Affe eine Gurkenscheibe auf den Wissenschaftler, schlug auf die Stangen ein und rüttelte wild am ganzen Käfig.

      David Suzuki erklärte: Kapuzineraffen werden böse, wenn sie einen ungerechten Vorteil wittern. Sie sind zufrieden