Boat People. Sharon Bala

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Название Boat People
Автор произведения Sharon Bala
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783963114441



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der immer noch kicherte, schaltete die Sendung auf Pause und stand auf. Was gibt’s zu essen?, fragte er, rieb sich den Bauch und ging in die Küche.

      Priya gab ihm einen Puff in die Magengrube. Bei dir wächst da drin wohl auch was Kleines?

      GODFATHER

      Die Decke in der Dachkammer war undicht geworden. Grace hielt die Leiter fest und Steve kam wieder herunter. Er trug Tennisweiß und eine Baseballkappe.

      Wieder mal die Abdichtung, sagte er und sprang von der letzten Sprosse. Ich wusste doch, dass die Leute aus Burnaby geschludert haben.

      Unmöglich, diese Dachdecker, sagte Grace.

      Sie trugen die Leiter in die Garage und hingen sie horizontal an zwei Nägeln auf.

      Das muss unbedingt repariert werden, sagte Steve. Ein paar Balken haben schon Moder angesetzt.

      Sie gingen durch die Hintertür zurück ins Haus. Der große Familienkalender lag offen auf dem Küchentresen. Grace blätterte ein paar Seiten nach vorn und sagte: Okay, die kommende Woche kann ich nicht, aber die danach wäre schon möglich. Da kann ich mich bestimmt mal eine Stunde aus dem Büro verdrücken.

      Super. Steve nahm sich ein Glas aus dem Schrank.

      Und diese Woche? Wenn ich einen Dachdecker finde, könntest du da?

      Nein, diese Woche kann ich nicht. Er machte das Gefrierfach auf und holte sich mit der bloßen Hand ein paar Eiswürfel heraus.

      Grace sah plötzlich einen Termin, den sie vergessen hatte. Die Mädchen haben am Donnerstagnachmittag ihre Geigenprüfung, sagte sie. Und noch ehe Steve etwas sagen konnte, fügte sie hinzu: Du bist dran.

      Ich habe eine Sitzung nach der anderen, sagte er. Du weißt ja, wie das bei den Musikern läuft. Du musst vorher da sein, obwohl die nie pünktlich anfangen, und dann musst du immer mit dem Verkehr rechnen. Dann ist der halbe Tag weg.

      Ich habe diesen Job erst vor einem Monat angefangen. Wie sieht das aus, wenn ich mir jetzt schon freinehme?

      Und ich habe meine freien Tage alle schon weg, sagte Steve und goss sich Limonade ins Glas.

      Grace fühlte sich schuldig. Er hatte recht. Die letzten Monate war sie mit Kumis Umzug beschäftigt gewesen und hatte sich nicht um die Familie kümmern können. Steve hatte immer wieder einspringen müssen. Aber als er jetzt aus der Küche ging, so als sei die Sache abgemacht, wurde sie böse. Und alles andere, ist das nichts?, wollte sie sagen. Die auswärtigen Spiele, wenn er einfach weg war und sie alles allein stemmen musste, die vielen Male, die sie früher von der Arbeit nach Hause fahren musste, oder nicht länger bleiben konnte, obwohl Kumi als Elternersatz da war, weil die Mädchen ihre Mutter brauchten.

      Es klingelte an der Haustür, und Grace schlug den Kalender zu. Die Mädchen konnten mit dem Bus zu ihrer Musikprüfung fahren, und der Dachdecker musste eben warten. Beim nächsten Regen sollte Steve einen Eimer hinstellen.

      Fred hatte eine Hand am Ohr, als Grace die Tür aufmachte. Die können Sie mir per Kurier nach Hause schicken, sagte er. Ich bin dann da.

      Grace bat ihn herein und führte ihn zum hinteren Teil des Hauses. Er folgte ihr, immer noch telefonierend.

      Die Abhörgeräte und die Vollmacht, sagte er. Ja, beides.

      Sie gingen durch die Flügeltür nach draußen. Grace war barfuß und spürte die Hitze der Steinplatten auf der Terrasse. Die Nachmittagssonne stand noch hoch und warf ein angenehmes Licht über die grüne Rasenfläche mit den vom Aufsitzmäher ordentlich gezeichneten Spuren. Grace machte den Sonnenschirm über dem Terrassentisch auf. Über die Ligusterhecke hinweg konnte sie die schrägen Dächer der Nachbarhäuser sehen, ihre Schornsteine und die Kegel der immergrünen Ziersträucher. Im eigenen Garten standen die Pfingstrosen in voller, schwer herabhängender Blütenpracht.

      Auf dem Tisch stand ein beschlagener Krug mit Limonade. Während Fred sein Telefonat abschloss, füllte Grace zwei Gläser. Sie bedauerte, dass ihre Mutter nicht zu Hause war, dass sie mit den Zwillingen ins Schwimmbad gegangen war.

      Kumi war enttäuscht gewesen, als Grace den Job bei Fred angenommen hatte. Administrative Assistentin, hatte sie mit abfällig verzogener Miene gesagt, als Grace strahlend mit dem Arbeitsangebot nach Hause kam. Du wirst diesem Herrn den Kaffee servieren und das Telefon hüten. Bist du dafür zur Uni gegangen?

      All die Erfolge, Beförderungen und Gehaltserhöhungen ihrer Tochter konnten Kumi nicht beeindrucken. In ihren Augen war Grace immer noch nichts weiter als eine Sekretärin. Aber wenn sie Fred jetzt sehen würde – einen Kabinettsminister in ihrem Haus –, vielleicht würde Kuni dann begreifen, welches Ansehen mit Graces Arbeit verbunden war.

      Das letzte Mal war Fred kurz nach Weihnachten hier gewesen, unmittelbar vor seiner Rückkehr nach Ottawa zur nächsten Legislaturperiode des Parlaments. Wochenlang hatte Grace ihn nur kurz sehen können: imposant hinter einem Rednerpult oder im Unterhaus beim Angriff auf die Opposition. Als Privatperson, ohne seine Nadelstreifenpanzerung und Krawatte, wirkte er ­geschrumpft, unbeholfen in seinen Khakis und den kurzen Ärmeln.

      Fred schaltete sein BlackBerry aus und legte es auf den Tisch. Sorry. Er beugte sich zu ihr und küsste sie flüchtig auf beide Wangen. Sie hatte diese altmodische Gepflogenheit schon immer charmant gefunden.

      Immer noch der Krieg gegen Godfather?

      Acht Tote im Prince Regent Hotel, und der beruft sich auf das Grundrecht und erhebt Einspruch gegen seine Auslieferung!

      Am vergangenen Wochenende hatte es vor dem ersten Hotel der Stadt eine Schießerei gegeben. Rivalisierende Drogenbanden, und drei unschuldige Touristen waren ins Kreuzfeuer geraten. Die Zwillinge waren zu der Zeit am Strand gewesen und Grace hatte zwei angsterfüllte Stunden am Telefon ausharren müssen. Steve fand ihre Reaktion total übertrieben.

      Die sind doch an der English Bay, weit weg von der Schießerei.

      Vielleicht haben sie sich anders entschieden, sagte Grace. Wir wissen doch nicht, wo die Kinder sind.

      Sie hatte auf dem Rand des Kaffeetischs dicht vor dem Fernseher gesessen und im Wirrwarr des Geschehens nach ihren Kindern gesucht.

      Die haben doch keinen Grund, in der Stadt zu sein, hatte Steve gesagt und den Fernseher ausgemacht. Du musst nicht immer gleich das Schlimmste befürchten.

      Fred fand nicht, dass Graces Reaktion übertrieben gewesen war. Schmuggler, organisierte Verbrecherbanden, Biker und die Sikh-Gangs … Wenn Sie bloß die Hälfte von dem wüssten, was mir bei meiner Arbeit alles begegnet.

      Als Kinder haben wir draußen gespielt, bis die Straßenlampen angingen, sagte sie.

      Das hat damit angefangen, dass wir dachten, wir müssten die Leute wohl oder übel aufnehmen, fuhr Fred fort. Facharbeiter und Einwanderer, das ist das eine. Aber sehen Sie doch dieses Monster, den Godfather, diesen Schweinehund. Hat sechs Morde in Auftrag gegeben und zwei Unschuldige gleich mit umgebracht, sagte Fred. Und jetzt spielt er sich als Opfer auf. Irgend so ein wohlmeinender Einfaltspinsel in der Einwanderungsbehörde hat ihm vor zwanzig Jahren sein Märchen abgenommen, und jetzt haben wir den Schlamassel.

      Fred blinzelte in die Sonne, nahm die Brille ab und holte seine Sonnenbrille aus der Brusttasche. Apropos, wie laufen die Dinge in Ihrem neuen Job? Haben Sie die Leute alle auf Vordermann gebracht?

      Es läuft gut.

      Er schüttelte den Kopf. Die machen die öffentliche Sicherheit zur Farce. Das muss sich ändern. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie einen neuen Ton einführen.

      Grace sah ihr Spiegelbild auf seinen Brillengläsern. Na ja, ich muss noch einiges lernen …

      Sie waren schon immer ein kluger Kopf.

      Aber ich stoße bald an meine Grenzen. Grace zog sich ihre Sonnenbrille vom Kopf und setzte sie richtig auf. Einen ganzen Monat war sie schon dabei, und immer noch fühlte sie sich wie ein Hochstapler. Bei den Sitzungen ging es immer nur um Verbreitung von Informationen, besprochen wurde nichts. Erfordernis des Nexus, reales