Название | Die großen Western Classic 47 – Western |
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Автор произведения | G.F. Barner |
Жанр | Языкознание |
Серия | Die großen Western Classic |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783740967888 |
»Jetzt ist er völlig wahnsinnig geworden«, sagte Temple halblaut. »Boß, er muß den Verstand verloren haben.«
»Ja«, gab Blunt zurück. »Das ist schon keine Spinnerei mehr, das ist nackter Irrsinn. Hier wird nie wieder der Reichtum ausbrechen. Also gut, gehen wir hinein.«
Blunt trat ins Haus, machte vier Schritte und prallte dann beinahe auf den hageren Groccer. Der Revolvermann war stehengeblieben. Groccer starrte entgeistert auf die beiden über dem langen Saloontresen hängenden brennenden Lampen. Er hatte zwar von außen gesehen, daß die Blendladen vor sämtlichen Fenstern vorgelegt worden waren, aber das geschah in der Mittagshitze, wenn die Sonne voll herabprallte, wirklich oft genug in diesem Land.
Groccer brauchte nicht zu schnüffeln – er roch den Whiskydunst augenblicklich. Auf dem langen Tresen standen etwa vierzig Gläser in einer leichten Schlangenlinie. Eine Flasche lag auf der blanken Platte, zwei andere standen leer neben einer Vase, über der ein Strauß Wildrosen einen blaßrosa Ball bildeten.
»Ich werde verrückt«, stieß Groccer ungläubig hervor. »Die haben hier ein Gelage abgehalten. Elf Uhr – und die Lampen brennen noch? He, niemand hier?«
Es kam keine Antwort. Die Uhr über dem Tresen tickte, aber sonst blieb alles still. Erst als Blunts und Temples Schritte auf den Dielen verstummten, hörten sie etwas.
Das seltsam pfeifende Geräusch kam aus dem Flur rechter Hand. Die Tür zum Flur stand genauso weit offen wie die Eingangstür. Hinter dem Flur, der gleichzeitig die Vorhalle zu Dales Hotel bildete, lag der Eßraum. Dahinter gab es das Stationszimmer, so daß Saloon, Eßraum und Stationszimmer alle zur Straßenfront hin lagen und man von einem Raum in den anderen kommen konnte.
Groccer ging bei dem knappen Nikken Blunts voraus, bog dann um die Tür in den Vorraum und schnappte dann nach Luft. Auf dem alten Queen-Anne-Sofa neben der ins Obergeschoß führenden Treppe lag Samuel Jonathan Dale.
Der magere kleine Alte mit dem schlohweißen und mähnenlangen Haar, das ihm bis auf die Schultern herabfiel, war selbst für das zweisitzige Sofa zu groß. Seine Beine baumelten über die eine Lehne herab. Er hatte die Hände auf der Brust gefaltet und hielt eine Flasche zwischen den Fingern. Er sah aus wie ein Säugling, der sich an seiner Milchflasche satt genuckelt hatte und dann vom Schlaf übermannt worden war.
Samuel Jonathan Dale trug einen weißen Seehundsbart. Jedesmal, wenn er die Luft ausblies, stülpte er die Unterlippe vor. Dann pfiff die Luft durch den Seehundsbart und hob die Haare an. Er tat es in diesem Augenblick. Das Pfeifen erklang, aber es schien doppelstimmig zu sein, wurde laut und verstummte nach einem blubbernden Schnarren.
Erst dieses blubbernde Schnarren ließ Groccer, der stehengeblieben war, noch zwei Schritt machen und um die Tür blicken. Und dann griff Groccer unwillkürlich nach dem Colt.
Gegenüber dem Queen-Anne-Sofa und Samuel Jonathan Dale stand das braune Schreibpult. Hier hatte einmal, als noch Leben in Dalesville gewesen war, ein Clerk gehockt und die Hotelgäste begrüßt. Neben dem Pult lag ein Sessel auf der Seite. Und zwischen Pult und Sessel ruhte sich ein riesiger Braunbär aus, der sich in Sam Dale einen Gesellschafter gesucht zu haben schien.
Wenn die staubigen, schiefgetretenen Stiefel nicht aus dem Fell hervorgesehen hätten, hätte Groccer geschossen. Der Mann, der dort lag, hatte das Fell, das an der Wand aufgehängt gewesen war – man konnte noch den helleren Fleck dort erkennen –, herabgenommen. Danach mußte er sich in das Fell gewickelt haben. Nur seine Stiefel waren zu sehen. Er schien seinen Kopf unter den präparierten Bärenschädel gesteckt zu haben, dessen Glasaugen im Licht der Wandlaterne funkelten.
Blunt war neben Groccer getreten. Auch Temple hatte sich um die Tür geschoben, und die drei Männer starrten auf die Schlafenden herab.
»Leise«, flüsterte Blunt und grinste breit. »Die werden wir anders wecken. Zurück in den Saloon.«
Er machte auf der Stelle kehrt, ging bis zum Tresen und betrachtete die Gläser. In jedem Glas war Whisky gewesen, das sah er auf den ersten Blick, und er wußte nun, was hier passiert war.
»Alle Teufel, zwei Mann und vierzig Gläser«, zischte Blunt. Er nahm die Flasche auf, roch an ihr und schüttelte sich. »Kein Whisky – Agavenschnaps. Die beiden alten Narren haben sich rechts und links hingestellt und dann aufeinander zugesoffen. Vorher müssen sie dort am Tisch gehockt haben und…«
Blunt verstummte. Auf dem großen runden Tisch linker Hand standen ein halbes Dutzend leerer Flaschen und sechs Gläser. Es standen auch genausoviel Stühle um den Tisch.
»Sechs Männer«, stellte Temple wispernd fest. »Er muß alle Männer, die hier noch leben, eingeladen haben. Als die anderen gegangen sind, haben er und Old Rusty weitergetrunken, wetten? Boß, die müssen bis zum Hellwerden gefeiert haben.«
»Ja«, bestätigte Blunt und grinste wieder breit. »Und jetzt wollen wir mal sehen, ob wir sie aufwecken können.«
Er nahm seinen Geldbeutel, ging zum Orchestrion in der Ecke und warf einen Nickel in den Schlitz. Dann riß er den Hebelarm, der das Schwungrad antrieb, herunter. Zu seinem eigenen Erstaunen setzte augenblicklich das Schnarren ein. Das Schwungrad zog die Feder auf, die den Mechanismus auslöste. Der Vorgang dauerte etwa zehn Sekunden. Blunt fuhr herum, hastete in den Vorraum zurück und lehnte sich an das Treppengeländer, gefolgt von den grinsenden beiden Burschen.
Einen Moment später begann das schrille Geklimper nebenan. Es war auch noch im Flur laut genug zu hören. Es war ausgerechnet die Melodie, die jeder Mensch kannte.
O mother what a fun my father was a drunken tun…
Temple hatte Mühe, nicht laut aufzulachen. Das Lied paßte haargenau auf den Zustand der beiden Schläfer, die wahrscheinlich den Weg nach oben hatten nehmen wollen, jedoch nicht mehr fähig gewesen waren, die Treppe heraufzukommen.
Schon beim ersten Vers dieses Liedes, das zwei Dutzend Strophen hatte und das Schicksal eines irischen Fuhrmannes beschrieb, der zuletzt statt der Ochsen weiße Mäuse vor seinem Wagen im Geschirr zu sehen glaubte, zuckten Samuel Jonathan Dales Hände. Dann fuhren sie auseinander. Die Flasche kollerte von Dales magerer Hühnerbrust. Sie fiel auf die Dielen herab. Der Aufschlag schien für den mickrigen Dale ein Kanonenschuß zu sein, denn er preßte die Hände mit einem schrecklichen Laut gegen die Ohren.
»Aufhören, aufhören!«
Jetzt schrie Samuel Dale los, doch mußte ihm seine eigene Stimme so laut durch den Kopf schallen, daß er sofort abbrach und nur noch stöhnte. Er machte jedoch nicht die Lider auf.
Blunts Blick sauste von dem weißhaarigen Alten zu dem Braunbärenfell. Durch das dicke Fell schien das Geklimper kaum zu dringen, aber da bewegte sich plötzlich der linke Stiefel. Er zuckte unter das Fell, war fort, und der Kopf des Bären wackelte heftig, er hob sich an. In der nächsten Sekunde fiel er mit einem Bumser auf die Dielen zurück, fuhr gleich wieder in die Höhe, und eine ganz schrecklich rauhe und krächzende Stimme erklang:
»Ouh, mein Kopf, mein armer Kopf. Sam, wer macht da so einen Höllenspektakel? Ouh, stoppt das greuliche Geklimper, halt, aufhören, aufhören!«
Das Fell geriet nun in eine jähe Seitenbewegung. Es entrollte sich, wurde dann angehoben, und die drei Männer, die den alten Rusty nie zuvor gesehen hatten, sahen ihn zuerst von hinten.
Der Alte hatte das linke Bein an den Leib gezogen, das schwere Bärenfall mit der rechten Hand von sich geschleudert, und es flog über den umgefallenen Sessel. Dann griff der Alte mit der Rechten zum Sessel, wandte den Kopf und erstarrte.
Old Rusty hatte sich hochziehen wollen. Daß er das Fell so über den Sessel geworfen hatte, daß es ihn bedeckte und der präparierte Bärenkopf mit seinen funkelnden Glasaugen ihm zugewandt war, hatte er nicht ahnen können. Ob er sich überhaupt noch dran erinnerte, daß er das Fell von der Wand genommen hatte, bezweifelte John Blunt.