Название | Solo für Schneidermann |
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Автор произведения | Joshua Cohen |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783731761006 |
ein ewiger Dauerbrenner, der wahrscheinlich heute Abend gegeben wird, jetzt gerade und nur eine kurze U-Bahn-, Taxi- oder Mietdroschkenfahrt entfernt in der Uptown, so erfolgreich wie 1926 nach der verspäteten Uraufführung, als der Schüler des Komponisten, den Nachnamen hab ich vergessen, Schneidermann, er hätte ihn gewusst, die Oper vollendet hatte (wenn Sie jetzt gehen, können Sie es noch rechtzeitig schaffen),
das einzige Werk im Idiom jenes Idioten, das nach ANBRUCH (in Großbuchstaben) der MODERNE (in riesigen Lettern) das – fehlende – Interesse der Massen fesselte,
aber in unserer Version, unserer Bearbeitung, könnten wir sagen, dass der gebundene Baron, der jetzt eine angeleinte Ziege ist, unfreiwillig Zeuge wird, wie sein Exknecht seine Exfrau nagelt bis zum Stillstand der Pupillen, während er zu den fleckigen Elfenbeintasten nur wie verrückt seine Arien blökt, oder dass der Knecht die Ziege, also den Exbaron, es seiner Exfrau besorgen lässt oder das jedenfalls versuchen lässt, während er, der Knecht, beiden mit einer verrosteten Mistgabel, die bestimmt nur ein Requisit ist, in allen Löchern herumstochert:
das war mein Vorschlag für eine Aktualisierung, für eine Ziege, Version 2.0, eine Wiederbelebung, eine Neuproduktion der Oper, aber Schneidermann war nun mal Schneidermann, und Schneidermann, er sagte Nein, Nein und nochmals Nein, weigerte sich zuzuhören, konnte nicht, Schneidermann, er konnte mit Beiträgen anderer nicht umgehen, bedauerte sogar, die Oper überhaupt komponiert zu haben, seine erste, einzige und letzte Oper, verleugnete sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit, genauer gesagt, Schneidermann, er sprach nie über sie, mochte das jedenfalls nie, vermied jede Erwähnung, ehrlich, oder er vergaß sie ganz und gar, behauptete das jedenfalls und versuchte es auch wirklich (bei amerikanischem Whiskey, amerikanischen Matineefilmen, bei amerikanischem Whiskey zu amerikanischen Matineefilmen), stritt ab, überhaupt von ihrer Existenz zu wissen, mit jeder erdenklichen Methode oder auch ganz unmethodisch, durch Ignoranz oder andere Ablenkungsmanöver, er schrieb sie einem anderen Schneidermann zu, einem ähnlich jungen Shootingstar, dessen Potenzial vom Krieg glücklicherweise erfüllt wurde oder eben nicht, dem Zweiten Weltkrieg: durch Tod im Osten, in einer Version in Buchenwald bei experimentellen Immunisierungsversuchen, in einer anderen durch Kältetod in Dachau,
Schneidermann zu mir: mein Vetter,
Schneidermann zu mir: kein Verwandter,
Schneidermann zu mir: in Wirklichkeit hieß nur der Librettist Schneidermann, und das war natürlich ein Pseudonym,
aber als Pseudonym vielleicht nicht ganz so todlangweilig wie Larry Lee beziehungsweise Lawrence Lee – der amerikanische Künstlername meines kommunistischen Konzertmeisters, der gerade nach rechts abgeht.
Herrgott! einem Asiaten kann man einfach nicht trauen – die sind alle so teuflisch, undurchschaubar und so, wie heißt das noch gleich?
friedfertig! Nun gut, Wang Lee, das kannst du halten wie ein Dachdecker, du Stehgeiger! du hast keinen Geschmack, kein Ohr und kein Fingerspitzengefühl, nie und nimmer findest du wieder einen Job in dieser Stadt, die vom jüngsten Wintereinbruch ganz nass ist.
Ich habe vergessen, dass wir ja schon fast Weihnachten haben. Auch wenn die meisten von Ihnen hier im Saal das nicht feiern. Ein frohes Frohes also Ihnen und den Ihren.
Denn ich war doch der Lehrer all dieser Leute, der ganzen asiatischen Pings, Pangs und Pongs. Die glauben, sie können spielen, dabei können sie gar nichts. Die denken an Musik und spielen Mathe. Nicht Puccini. Und schon gar nicht Schneidermann. Aber wenn ich als Asiat auf die Welt gekommen wäre, wäre das Leben so viel einfacher gewesen.
Ihr Routineaffen! die Hälfte der Streicher besteht aus Asiaten, die den musikalischen Juden die knappen Stellen in der Musik wegnehmen! Ihr habt Einsteins Bombe verdient! Ihr habt doch null Ahnung, was Ekstase ist! Woran glaubt ihr eigentlich?
Ich persönlich glaube an den Tod. Das liegt aber daran, dass ich etwas aus meinem Leben machen sollte, dass ich das Geburtsrecht wahrer Größe habe,
nämlich die Aufgabe, die Welt zu vertreten,
das auserwählte Volk, das den Völkern das Licht bringt, und den Rest kennen Sie ja:
bis zuletzt mit gutem Beispiel vorangehen, ein Märtyrer bis zum bitteren Ende, noch nicht ganz – muss noch Rechnungen bezahlen, Schecks ausstellen, Schulden tilgen und Forderungen begleichen, also muss ich weitermachen, mit dem hier, muss weiter den Doktor Eisenbarth geben, herumquacksalbern, von Spielzeit zu Spielzeit tingeln, unweigerliche Mozart-Premieren, meinetwegen Beethoven-Dernièren und noch jede Menge Drumherum:
Mozarts 5. Violinkonzert, ja, Beethovens einziges, klar, aber auch Brahms’, Bergs, Bartóks 1., sogar Busonis, wenn ich großzügig drauf bin, Schostakowitschs 2. und,
ich muss es am Laufen halten, ein Perpetuum mobile bei der Wiederkehr der immer gleichen Tournee, der ewigen Tournee ins endlose Nichts und warum? siebzehnmal verpflichtet worden, Schostakowitschs 2. zu spielen, und in der nächsten Spielzeit schon wieder, von hier bis in den Konzertsaal von Lenins Heimatstadt, Schostakowitschs 2. Violinkonzert, das er ein Jahr zu früh für den sechzigsten Geburtstag des Virtuosen Dawid Oistrach komponiert hatte, doch bevor der Komponist den Fehler begehen konnte, seinem Freund und Interpreten zur Feier des Tages die Partitur zu überreichen, erkannte Schostakowitsch seinen Rechenfehler, ging nach Hause und schrieb seine so wundervolle wie verschrobene Sonate für Violine und Klavier, das eigenwillig dodekaphone op. 134, das ich ebenfalls spiele, das ich oft mit Schneidermann gespielt habe, aber nur privat, und Schneidermann, er,
Schostakowitsch hat ja immer so schnell komponiert, obwohl er die Partitur der Sonate nun wiederum einen Monat zu spät für den wirklichen sechzigsten Geburtstag des Virtuosen im Jahr darauf vollendete: das seltsam tragische Jahr 1968, und ist das nicht echte künstlerische Geistesabwesenheit, ja? und von echter russischer Entropie im Stalinstil, nicht wahr? aber es ist auch fast total liebedienerisch: die Beziehung des Komponisten zum Interpreten, während meine
Beziehung (ich mag das Wort nicht und misstraue ihm mehr als allen anderen) zu Schneidermann ganz anders war, geradezu gegenstrebig: ich diente ihm, der Interpret dem Komponisten, ich warb um ihn:
ich bin Schneidermanns wahre Ehefrau, seine lieblich singende Tochter, die seine Weißwäsche auf meine längste Wäscheleine hängt,
ist Ihnen nicht klar, dass ich Schneidermanns Erfüllungsäffchen bin?
dass ich aushalten und aushalten muss, bis es aus ist? Ein Perpetuum mobile, ja, diese Passacaglia à la Schostakowitsch, dieses Perpetuum mobile bei der Wiederkehr der immer gleichen Tournee, ja, ich bin der ewig tourende wandernde Jude auf der Rückkehr ins endlose Nichts, und warum?
Weil ich genau wie Sie Rechnungen bezahlen und Schulden tilgen muss, x Hypotheken bedienen, Alimente zahlen, mein ganzes Geld: millionenfach gestückelte Unterstützung von jetzigen und Exfrauen, die immer mehr Kleider mit Konfektionsgrößen XXXXXS brauchen,
Kinder und sogar Enkelkinder, die stempeln gehen und vom Elterngeld abhängen: Kinder der ersten Frau, Kinder der zweiten Frau, Kinder der dritten Frau, ein ganzer Kinderchor aus so leeren wie hungrigen Mäulern
doch calando! calando! calando!, wie Schneidermann zu sagen pflegte (für ihn lahmte ich immer zu schnell downtown) – calando, ja, im Musikitalienisch bedeutet das an Tonstärke und Tempo nachlassend
es ist aber auch ein Anagramm von Doc Alan, meinem ärztlichen Erstkontakt, meinem Prostatataster mit Künstlerhänden, die gehören gegossen in Bronze oder Gips, können Sie sich aussuchen, aber achten Sie auf Ihr Budget, und nicht auf seine prachtvolle Uhr, aus der Schweiz, die seine Frau, aus Indien, ihm zum goldenen Geburtstag geschenkt hatte oder war’s die goldene Hochzeit? jedenfalls sein oder ihr gemeinsamer fünfzigster, damit er mir immer sagen kann, wenn meine Zeit abgelaufen ist, aber sagen Sie doch mal, Doc: sind Sie enttäuscht, dass ich meine berühmte Kadenz zugunsten dieses improvisierten Stücks hintangestellt habe, das zumindest die Mütter da draußen Kacki, Kaka, Dreck nennen würden (oder mit welchen sonstigen mütterlich bagatellischen Wörtern sie unseren