Der Sieg des Islams. Eduard Gibbon

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Название Der Sieg des Islams
Автор произведения Eduard Gibbon
Жанр Религиозные тексты
Серия
Издательство Религиозные тексты
Год выпуска 0
isbn 9788075838438



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er litt, zu leiden verdiente, daß die menschliche Natur keiner unbedingten Vollkommenheit fähig sei und daß das Kreuz und seine Pein vielleicht Sühnung der geringen Vergehen des Sohnes Josephs vor seiner geheimnisvollen Vereinigung mit dem Sohne Gottes waren.

       IV. Alle, die an die Unkörperlichkeit der Seele, diese schöne und hohe Lehre, glauben, müssen aus eigener Erfahrung die Unbegreiflichkeit der Vereinigung von Geist und Materie eingestehen. Eine ähnliche Vereinigung mit einem viel höheren, ja sogar mit dem höchsten Grade der geistigen Fähigkeiten ist nicht undenkbar, und in der Inkarnation eines Aeons oder Erzengels, des vollkommensten aller erschaffenen! Geister, liegt kein unbedingter Widerspruch oder Unsinn. Im Zeitalter der religiösen Freiheit, das mit der Kirchenversammlung von Nicäa endigte, bemaß jeder die Würde Christi nach seiner eigenen, aus der noch unbestimmten Regel der Heiligen Schrift, der Vernunft oder der Sage geschöpften Ansicht. Nachdem aber auf den Trümmern des Arianismus seine reine und wahrhafte Göttlichkeit begründet worden war, zitterte der Katholizismus am Rande eines Abgrundes, wo es unmöglich war, zurückzugehen, gefährlich zu stehen, schrecklich zu stürzen. Die vielfachen Mißlichkeiten, die ihr Bekenntnis mit sich brachten, wurden durch den erhabenen Charakter ihrer Theologie erhöht. Sie zögerten auszusprechen: daß Gott selbst, die zweite Person einer Dreieinigkeit von gleicher Wesenheit, sich im Fleische geoffenbart habe; daß ein Wesen, welches das Weltall durchdringt, in Marias Schoß eingeschlossen gewesen sei; daß seine ewige Dauer nach Tagen, Monaten und Jahren im menschlichen Dasein bemessen wurde; daß der Allmächtige gegeißelt und gekreuzigt worden; daß er während seines leidenslosen Lebens Schmerz und Angst gefühlt habe; daß seine Allwissenheit von Unkenntnis nicht frei gewesen und daß der Urquell des Lebens und der Unsterblichkeit am Kalvarienberge versiegt sei. Diese beunruhigenden Folgerungen wurden von Apollinaris, Bischof von Laodicäa und einer der Leuchten der Kirche, unbefangen und mit Einfalt gelehrt. Sohn eines gelehrten Grammatikers war er in allen Wissenschaften Griechenlands erfahren (in den Schriften des Apollinaris leuchten Beredsamkeit, Gelehrsamkeit und Philosophie) aber in Demut dem Dienste der Religion geweiht. Ein würdiger Freund des Athanasius, ein würdiger Gegner Julians, kämpfte er tapfer gegen die Arianer und Polytheisten, und obschon er strenge mathematische Beweise erkünstelte, offenbaren seine Kommentare nicht nur den buchstäblichen, sondern auch den allegorischen Sinn der Heiligen Schrift. Ein Mysterium, das bisher als ein Nebelgebilde des Volksglaubens geschwankt hatte, wurde durch seine Beharrlichkeit in technische Form gebracht, und er sprach zuerst jene denkwürdigen Worte: »Eine einzige fleischgewordene Natur Christi« aus, die noch immer mit feindlichem Geschrei in den Kirchen Asiens, Ägyptens und Äthiopiens widerhallen. Er lehrte, daß sich die Gottheit mit dem Leibe eines Menschen vereinigte oder vermengte und daß der Logos, die ewige Weisheit, im Fleische die Stelle und die Verrichtungen einer menschlichen Seele vertreten habe. Da jedoch dieser tiefdenkende Theolog über seine eigene Folgerung erschrak, stammelte er ein paar schwache Entschuldigungen und Erklärungen. Er fügte sich der von den griechischen Philosophen geschaffenen früheren Unterscheidung zwischen der vernünftigen und empfindenden Seele, um den Logos für die geistigen Verrichtungen zu bewahren und das untergeordnete menschliche Prinzip den geringeren Handlungen des physischen Lebens vorzubehalten. Mit den gemäßigten Doketen verehrte er Maria mehr als die geistige, denn die fleischliche Mutter Christi, dessen Leib entweder leidenslos und unvergänglich vom Himmel kam oder in das Wesen der Gottheit aufgenommen und gleichsam verwandelt wurde. Die kleinasiatischen und syrischen Gottesgelehrten, deren Schulen durch die Namen Basilius, Gregor und Chrysostomus geehrt, durch die Namen Diodorus, Theodorus und Nestorius verunehrt werden, bekämpften streng das System des Apollinaris. Aber die Person des greisen Bischofs von Laodicäa, sein Charakter und seine Würde blieben unangetastet; ja seine Gegner wurden, da wir sie duldnerischer Schwäche nicht zeihen können, vielleicht durch die Neuheit der Sätze eingeschüchtert und mißtrauten der endgültigen Entscheidung der katholischen Kirche. Das Urteil der letzteren fiel endlich zu ihren Gunsten aus, die Ketzerei des Apollinaris wurde verdammt und die Sonderversammlungen seiner Schüler durch die kaiserlichen Gesetze geächtet. Aber in den Klöstern von Ägypten bekannte man sich insgeheim zu seinen Grundsätzen und seine Feinde fühlten den Haß des Theophilus und Cyrillus, der nachfolgenden Patriarchen von Alexandria.

       V. Der am Staube klebende Ebionit und der phantastische Doket waren verworfen und vergessen; aber der neue Eifer gegen die Irrtümer des Apollinaris brachte die Katholiken zu einer scheinbaren Übereinstimmung mit Cerinthus in betreff der doppelten Natur. Aber statt einer vorübergehenden und gelegentlichen Übereinstimmung legten sie sich fest. Wir aber glauben noch immer an die wesentliche, unauflösliche und ewige Vereinigung eines wirklichen Gottes mit einem wirklichen Menschen, der zweiten Person der Dreieinigkeit mit einer vernunftbegabten Seele und einem irdischen Leibe. Am Beginne des fünften Jahrhunderts war die Einheit der zwei Naturen die herrschende Lehre der Kirche. Von allen Seiten gab man die Unmöglichkeit zu, die Art ihrer Einheit zu begreifen oder durch Worte auszudrücken. Aber eine geheime, unversöhnliche Zwietracht lebte zwischen denjenigen fort, die sich am meisten scheuten, die Gottheit und Menschlichkeit Christi zu vermengen und denjenigen, die sich am meisten fürchteten, sie zu trennen. Von Religionswahnsinn getrieben, verdammten beide Parteien mit inbrünstigem Haß den Irrtum, den sie gegenseitig als den der Wahrheit und Erlösung gefährlichsten ansahen. Beiderseits waren sie ängstlich bestrebt, die Einheit und die Verschiedenheit der zwei Naturen zu bewahren. Eifrig trachteten sie diese zu verteidigen und solche Redeformen und Lehrsymbole zu erfinden, die dem Zweifel und der Zweideutigkeit am wenigsten unterworfen waren. Die Armut der Begriffe und der Sprache bewog sie, der Natur und Kunst jeden nur möglichen Vergleich zu entlehnen; aber jeder Vergleich mißleitete ihre Phantasie zur Erklärung eines unbegreiflichen Geheimnisses. Bei der Polemik wird ein Atom zum Ungeheuer verzerrt, und jede Partei gab sich die größte Mühe, die widersinnigen und gottlosen Forderungen zu übertreiben, die aus den Grundsätzen ihrer Gegner resultierten. Um einander zu fliehen, wanderten sie durch manches dunkle und abgelegene Dickicht, bis sie durch die Schreckensgestalten des Cerinthus und Apollinaris, welche die entgegengesetzten Ausgänge des theologischen Labyrinthes bewachten, in Bestürzung gerieten. Sowie sie einen Schimmer der Vernunft und der Ketzerei wahrnahmen, schraken sie zusammen, lenkten ihre Schritte wieder rückwärts und verloren sich abermals im Dunkel undurchdringlicher Orthodoxie. Um sich von der Schuld oder dem Vorwurfe eines verdammenswerten Irrtums zu reinigen, leugneten sie ihre Folgerungen, erläuterten sie ihre Grundsätze, entschuldigten sie ihre Unklugheiten, sprachen sie einstimmig Worte der Eintracht und des Glaubens. Aber ein verborgener, fast unsichtbarer Funke glimmte unter der Asche des Streites fort; durch den Hauch des Vorurteiles und der Leidenschaft entwickelte er sich schnell zu einer mächtigen Flamme: ja die Wortstreitigkeiten der orientalischen Sekten haben die Grundfesten der Kirche und des Staates erschüttert!

      Der Name Cyrills von Alexandria ist in der Geschichte der Religionsstreitigkeiten berühmt. Doch der Titel eines Heiligen ist der Beweis dafür, daß seine Meinungen und seine Partei zuletzt siegreich waren. Im Hause seines Oheims, des Erzbischofs Theophilus, sog er die orthodoxen Lehren des Glaubenseifers und der Herrschaft ein, und fünf Jugendjahre verbrachte er mit Nutzen in den benachbarten Klöstern von Nitria. Unter der Anleitung des Abtes Serapion verlegte er sich mit solchem Eifer auf die theologischen Studien, daß er im Laufe einer einzigen schlaflosen Nacht die vier Evangelien, die katholischen Episteln und die Epistel an die Römer durchzulesen vermochte. Origines verabscheute er; aber die Schriften des Clemens und Dionysius, des Athanasius und Basilius waren beständig in seinen Händen. Durch Theorie und Dispute wurde sein Glaube gestärkt und sein Verstand geschärft. In seiner Zelle lag er dem Studium der scholastischen Theologie ob und sann über jene allegorischen und metaphysischen Werke nach, deren Reste in sieben umfangreichen Foliobänden jetzt friedlich an der Seite ihrer Nebenbuhler schlummern. Cyrill betete und fastete in der Wüste, seine Gedanken jedoch blieben, sein Freund Isidor von Pelusium wirft ihm dies vor, immer an die Welt gefesselt. Der ehrgeizige Einsiedler gehorchte nur zu bereitwillig dem Rufe des Theophilus, der ihn in die tumultösen Städte- und Kirchenversammlungen berief. Mit Zustimmung seines Oheims übernahm er das Amt und erwarb bald den Ruf eines Volkspredigers. Seine stattliche Figur schmückte die Kanzel, seine klangreiche Stimme widerhallte in der Kathedrale, seine Freunde beeilten sich, den Beifall der Gemeinde zu leiten und zu unterstützen, und Schnellschreiber zeichneten seine Reden auf, die in ihrer Wirkung, wenn auch nicht ihrem Gehalte nach, mit jenen der atheniensischen Redner verglichen werden konnten. Der Tod des Theophilus erweiterte oder verwirklichte die Hoffnungen