Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962812515



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ab, ver­glich, und in­dem er je­dem ein­zel­nen recht zu ge­ben schi­en, be­frie­dig­te er alle und be­schwich­tig­te das ängst­li­che Mut­ter­herz. Für sol­chen Eier­tanz wa­ren die leich­ten ita­lie­ni­schen Füße wie ge­schaf­fen. An al­len un­se­ren Schick­sals­ta­gen war er hel­fend und teil­neh­mend oder mit­trau­ernd zu­ge­gen, und man kann wohl sa­gen, dass ohne ihn dem Fa­mi­li­en­le­ben ge­ra­de­zu ein Rad ge­fehlt hät­te.

      Dies war un­ser stän­di­ger Men­schen­kreis in der Via del­le Por­te nuo­ve. Spä­ter­hin trat noch ein an­de­rer Nor­di­ta­lie­ner, Freund Car­lo Fa­so­la, der Pro­fes­sor für deut­sche Spra­che und Li­te­ra­tur an der flo­ren­ti­ni­schen Hoch­schu­le, mit sei­ner streb­sa­men, aus Mün­chen ge­hol­ten Gat­tin hin­zu. Mir als Sprach­for­scher ein be­son­ders will­kom­me­ner Zu­wachs, weil er einen Be­reich mit mir ge­mein hat­te, auf den seit den Tü­bin­ger Ta­gen mei­nes Ernst Mohl nie­mand mehr ein­ge­gan­gen war. Aber glück­li­cher­wei­se war auch er kein Buch­ge­lehr­ter, son­dern ein großer Na­tur­freund, er brauch­te die Nähe der Schol­le und den Um­gang mit Tie­ren um sich wohl zu füh­len und leb­te dar­um im­mer au­ßer­halb der Stadt. Wenn er auf sei­nem lus­ti­gen Esels­wä­gel­chen an­ge­fah­ren kam, so brach­te er in sei­ner großen Ur­sprüng­lich­keit und stu­den­ti­schen Un­be­küm­mert­heit eine Wel­le von Land­luft mit, die er­qui­ckend war.

      An­der­seits strahl­te aus den be­ruf­li­chen Kämp­fen Ed­gars, der im­mer­zu mit der Ei­fer­sucht an­de­rer Frem­den­ärz­te und mit dem da­ma­li­gen me­di­zi­ni­schen Schlen­dri­an der Ein­hei­mi­schen zu rin­gen hat­te, auch so viel Un­ru­he in das per­sön­li­che Le­ben her­über, dass man mit­un­ter freund­schaft­li­che Be­zie­hun­gen plötz­lich zer­stört sah, ohne zu wis­sen, warum. Dies trug auch stets aufs neue dazu bei, mich vom ge­sel­li­gen Ver­kehr ab­zu­schnei­den, aber ich hat­te mei­ne Ar­beit, und mit­ten un­ter den Ge­stal­ten mei­ner Ein­bil­dungs­kraft be­rühr­ten mich die Ver­lus­te we­ni­ger.

      Aber was hilft es, die Blät­ter der Erin­ne­rung um­schla­gen, um die Spu­ren des ei­ge­nen Le­bens dar­in zu fin­den! Un­se­re wah­re Ge­schich­te steht nicht auf die­sen Blät­tern. Vi­el­leicht lebt kein tiefe­rer Mensch sei­ne wah­re Ge­schich­te. Die äu­ße­ren Vor­gän­ge sind es ja nicht, sie wer­fen höchs­tens ihre Schat­ten her­ein. Un­ser wah­res Le­ben geht im Un­aus­ge­spro­che­nen und Unaus­sprech­ba­ren, von uns sel­ber nicht Ge­wuss­ten vor. Wie wahr sagt Ril­ke: »Mit klei­nen Schrit­ten gehn die Uhren / Ne­ben uns­rem ei­gent­li­chen Tag.« Wo scheint un­ser ei­gent­li­cher Tag? In der in­ne­ren Hei­mat oder nir­gends. Wie der wach­sen­de Men­schen­keim in dem um­hül­len­den müt­ter­li­chen Frucht­was­ser, so wohnt und reift un­se­re See­le in ei­nem von oben mit­ge­brach­ten Ele­ment, das sie schüt­zend und ab­son­dernd um­gibt. Woraus es be­steht, ist uns sel­ber nicht be­kannt. Es wirkt nur als Ge­währ ei­ner hö­he­ren Ver­wandt­schaft und als tröst­li­ches Ge­fühl ih­rer Nähe. Aber die äu­ße­re Ent­spre­chung da­für wäre mehr, als der Mensch an Glück er­trü­ge, dar­um müs­sen den Tiefs­ten ihre ir­di­schen Freu­den im­mer aufs neue ge­nom­men wer­den.

      *

      Ich ver­brach­te im­mer noch mei­ne Tage auf der Biblio­te­ca na­tio­na­le, wälz­te Fo­li­an­ten und häuf­te Aus­zü­ge auf Aus­zü­ge. Denn je wei­ter ich kam, de­sto mehr be­griff ich, dass ge­nug noch nicht ge­nug war, und dass man ein Men­schen­le­ben über die­sen Stu­di­en ver­brin­gen konn­te. Die Biblio­the­ka­re gin­gen mir freund­lich zur Hand, wenn sie mich so un­ent­wegt mei­nen Platz am Da­men­tisch ein­neh­men sa­hen, wo sonst nur ab und zu ein jun­ges Mäd­chen auf­tauch­te, schnell einen heim­li­chen Brief hin­krit­zel­te und wie­der ver­schwand. Pas­qua­le Vil­la­ri, der an­ge­se­he­ne His­to­ri­ker, dem ich zu­wei­len im Haus Gu­er­rie­ri be­geg­net war, las in der Sa­pi­en­za öf­fent­lich über die­se Ge­gen­stän­de, und ich schrieb ge­wis­sen­haft nach, hat­te aber nicht viel Ge­winn da­von, denn was er las, war mir sach­lich schon be­kannt, zum Teil aus sei­nen ei­ge­nen Wer­ken, und mit sei­nen et­was bür­ger­lich-mo­ra­li­schen Maß­stä­ben be­fand ich mich nicht in Über­ein­stim­mung: die über­schau­en­de Grö­ße Burck­hardts ließ mich das Au­ßer­or­dent­li­che je­ner Zei­ten und Men­schen doch in an­de­rem Lich­te se­hen. So fühl­te ich mich mit mei­nem Text nur lang­sam vor­wärts. Ich war mei­nem ab­we­sen­den Mit­ar­bei­ter dank­bar, dass er mich nicht dräng­te. In dem Som­mer, der auf un­se­ren Haus­kauf folg­te, kam er nicht nach Flo­renz; sei­ne Brie­fe ent­hiel­ten wie­der viel Miss­mut und Welt­ver­nei­nung un­ter dunklen An­deu­tun­gen, die man auf schlech­ten Ge­sund­heits­zu­stand be­zie­hen muss­te. Aber ge­mein­sa­me Be­kann­te woll­ten ihn in gu­ter Ver­fas­sung