Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Isolde Kurz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962812515 |
Waren meine Blütenträume von dem großen Gesellschaftssaal auch nicht gereift, so fehlte es doch nicht an edelster Geselligkeit. Da kamen außer Hildebrand und Böcklin, den der fantasievolle Maler Zurhelle zu begleiten pflegte, andere Spitzen der deutschen Kolonie: der gefeierte Essayist Karl Hillebrand und sein Freund Heinrich Homberger. Die beiden pflegte man zusammen zu nennen, weil sie in der gleichen Anschauungswelt lebten und den gleichen geistigen Acker bebauten. Bei näherem Hinschauen waren sie sich jedoch sehr unähnlich. Zu dem feinen Weltmann Hillebrand fühlte ich einen unüberbrückbaren Altersunterschied, der nicht von der Zahl der Jahre abhing. Im Auftreten an den Pariser Salons gebildet, jeder Rest von Kante oder Eigenart weggeschliffen, sehr verbindlich in der Form bei viel natürlichem Wohlwollen, alle Kultursprachen mit gleicher Eleganz und Vollkommenheit sprechend, hätte er seinem Äußern nach ein hoher Diplomat sein können. Auch so war er bei seiner gesellschaftlichen Stellung ein glänzender Vertreter des Deutschtums im Ausland und trotz seiner französischen Vergangenheit, seiner englischen Gattin und seiner Wahlheimat Italien mit jeder Herzensfaser deutsch. Aber er war der völlig fertige, im Denken ein für alle Male festgelegte, sich in nichts mehr wandelnde Geist, der seine Schranken geschlossen hatte und der auch dem einsamen, um Verständnis anpochenden Zaratustra die Tür nicht mehr auftat. Das ließ in mir trotz der schönen Menschlichkeit kein Gefühl der Befreiung in seiner Nähe aufkommen. Dass er von meines Vaters Werken nur die »Heimatjahre« schätzte und mit dem mächtigen »Sonnenwirt« nichts anzufangen wusste, bewies, dass er geistig an eine bestimmte literarische Spanne gebunden blieb, jenseits deren er nicht mehr mitging. Seine Werke, einst viel gelesen, stehen in meinem Bücherschrank; sie bieten eine weite, vielleicht etwas flache, den Geist seiner Epoche spiegelnde Überschau über Zeiten und Menschen, deuten aber nicht in fernere Tage hinüber. Das macht, er war nur Beschauer, nicht Seher und Dichter.
Mir bot er unverdientermaßen die Mitarbeit an seiner zweisprachigen Zeitschrift »Italia« an, in der deutsche und italienische Gelehrte sich über die großen Menschheitsfragen äußerten. Ich stand jedoch dieser ehrenden Aufforderung ratlos gegenüber, denn ich hatte noch nicht so viel selbstständig nachgedacht, um eine eigene Stellung zu den Dingen zu haben, und Fremdes mir aneignen und weitergeben lag nicht in meiner Art; ich musste zu dem allem erst durch das Leben kommen.
Besser verstand ich mich mit Homberger, in dem sich mit dem Denker ein Poet verband. Er nannte es die größte Gunst, die das Schicksal einem Sterblichen erweisen könne, wenn es ihn durch sein Werk Zeugnis ablegen lasse von seinem Wert. Ihm selber wurde diese Gunst nur in beschränktem Umfang zuteil: er litt an schweren inneren Hemmungen, die er auf den schlechten Stand seiner Gesundheit zurückführte, und die ihm nur wenig von dem reifen ließen, womit er sich beschäftigte. Aber seine dichterische Anlage ließ ihn nicht erstarren, und wenn auch seine formschönen Gedichte reine Gedankenlyrik waren, so warfen sie doch wärmere Lichter über die Dinge als die kühle Hillebrandsche Verstandeshelle. Nur hatte auch er nichts Unbewusstes in sich, er weckte es fort und fort auf, um sich Rechenschaft zu geben; so ließ der Denker dem Dichter keinen Raum. Dagegen brachte er aber auch nicht wie jener stets ein Fertiges, schon zu Ende Gedachtes, denn keineswegs stand ihm schon alles fest, er trat selber als Fragender den Fragen, die ihn erfüllten, gegenüber und fühlte sich durch Zustimmung aus fremdem Munde bestärkt und beglückt, besonders, wenn es der Mund Adolf Hildebrands war, dessen unbekümmerte Unmittelbarkeit ihn bezauberte. Zu Hause saß er dann vor seinem Gedankenwebstuhl und wob, was durch Gesprochenes und Gelesenes in ihm angeregt war, vollends in der Stille zu Ende. Aber – lag der Grund in ihm oder im Weltlauf? – es fiel ihm das fast unbegreifliche Los, dass er bei unausgesetzter geistiger Tätigkeit am Ende doch nur für seinen Nachlass gearbeitet hatte, einen Nachlass, der erst Jahrzehnte nach seinem Tod von seiner Witwe herausgegeben und von seinem Schwager Georg Karo feinsinnig eingeleitet wurde, aber wenig in die Öffentlichkeit drang. Ein so tiefes philosophisch-ästhetisches Schürfen wie etwa seine Untersuchungen über das berühmte Tagebuch des Genfer Philosophen Amiel dürfte weit und breit nicht seinesgleichen haben. Aber Hombergers Zeit war niemals und wäre es heute, wo alles in einem Sturm des Werdens und Vergehens fiebert, weniger denn je. Nur wenn gelegentlich ein abseitiger Grübler noch in irgendeiner Privatbibliothek auf ein Buch von Homberger stößt, so mag er sich wundern, was alles in einer windstillen und tatenfernen Zeit ein so fein unterscheidender Geist über Gedachtes zu denken fand. – Für die Wärme, mit der er die Erstausgabe meiner Gedichte in der von ihm geleiteten Wochenschrift »Die Nation« begrüßte, bleibe ich Hombergers Schatten für immer verpflichtet.
Ganz persönlich und mit vollem Herzen mir zugewendet war mein englischer Freund Charles Grant. Er lebte ständig in Deutschland als Lektor der englischen Sprache, verbrachte aber seine Ferienzeit in Florenz, wo er abwechselnd in den ihm nahe befreundeten Häusern Hildebrand und Hillebrand zu Gaste war. Mittelgroß, untersetzt, höchst temperamentvoll, mit schwarzem Haar und Bart und afrikanisch dunklem Gesicht, das zugleich stark gerötet war, schien er immerzu innerlich zu brennen. Sobald er zu reden anhob über Gegenstände, die ihn erfüllten, schlug es auch in der Tat wie Flammen aus ihm. Es hieß, sein Vater habe als britischer Missionar in Indien seine Mutter zuerst im Sarge gesehen, habe eine Leidenschaft für die Tote gefasst und hernach die Wiedererweckte zur Frau genommen. Der zarten und fantasievollen Art des Sohnes traute man gerne einen solchen besonderen Ursprung zu. Er brachte mir die neueren englischen Lyriker wie Dante, Gabriel Rossetti und Swinburne, die er leidenschaftlich liebte, wenn auch als selbstwillige Neuerer, die sie damals waren, mit etwas schlechtem Gewissen: I am afraid, I like them more than I ought, sagte er mit einem schalkhaften Seufzer, wahrscheinlich im Hinblick auf Hildebrand, den ästhetischen Diktator des Kreises, der diese Poesie ablehnte. Ich teilte Grants Bewunderung, besonders für Swinburne, in dem bei unwiderstehlicher Formgewalt etwas von der kalten Glut des gefallenen Engels zu lodern schien. Grant war im ganzen Umkreis der einzige, dem die Unwägbarkeit der lyrischen Dichtung Lebensluft bedeutete, wo die andern sich mit Literatur befassten! Seine eigenen Gedichte, deren er nur ein schmales Bändchen