Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962812515



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Wen­dig­keit ging er aus dem Wege. Spä­ter kam erst das Deut­sche dar­an, aber die Mut­ter­spra­che mach­te sei­ner Zun­ge noch mehr zu schaf­fen. Das Kind galt des­halb im Hau­se für un­be­gabt, be­son­ders sein Zio (On­kel) Ed­gar, der ge­wohnt war, alle Be­ga­bung in der Fa­mi­lie zu­erst sich auf sprach­lich-poe­ti­schem Ge­biet äu­ßern zu se­hen, glaub­te die­sem klei­nen Nef­fen we­nig Glanz für die Zu­kunft pro­phe­zei­en zu dür­fen. Ich wuss­te auch nicht, was von den An­la­gen mei­nes Lieb­lings den­ken, wenn ich sah, dass es der Non­na (Groß­mut­ter) nie ge­lang, ihm den Tro­ja­ni­schen Krieg, mit dem sie ihre sämt­li­chen Kin­der ent­zückt hat­te, auch nur zu Ende zu er­zäh­len und dass ich sel­ber sei­ne Auf­merk­sam­keit eben­so­we­nig durch ein Grimm­sches Mär­chen zu fes­seln ver­moch­te. Sei­ne Au­gen gin­gen wäh­rend­des­sen rund­um spa­zie­ren und blie­ben an al­len Ge­gen­stän­den hän­gen, nicht mit der Ge­dan­ken­lo­sig­keit des un­be­gab­ten son­dern mit der Unacht­sam­keit ei­nes an­der­wei­tig be­schäf­tig­ten Kin­des. Erst als er zu zeich­nen an­fing, er­kann­te man, wie ge­nau der Kna­be die sicht­ba­ren Din­ge in sich auf­ge­nom­men hat­te und wie bei ihm alle Wahr­neh­mung durch das Auge ging; hat­te er doch schon als An­dert­halb­jäh­ri­ger ein­mal vor ei­nem Wald­ein­gang sei­ne Groß­mut­ter, als sie ihn einen falschen Weg tra­gen woll­te, durch Schrei­en und Stram­peln auf den Irr­tum auf­merk­sam ge­macht. Beim Grö­ßer­wer­den gab er sich am liebs­ten mit Zeich­nen und Mo­del­lie­ren von Rit­tern zu Pfer­de ab und stol­zier­te dann auch selbst als Rit­ter durch den Gar­ten, bis ein­mal die Rit­ter­schaft mit ihm durch­ging, dass er wie ein rich­ti­ger klei­ner Or­lan­do fu­rio­so mit sei­nem höl­zer­nen Schlacht­schwert in un­se­rem herr­li­chen Li­li­en­beet wü­te­te und ei­nes der blü­hen­den Häup­ter ums an­de­re nie­der­leg­te, wo­nach er stolz vor sei­ne Mut­ter trat: Ich habe ge­kämpft und habe sie alle er­schla­gen. Ein Tag der Trau­er in den An­na­len des Hau­ses. Als er end­lich spre­chen lern­te, deutsch und ita­lie­nisch, ge­lan­gen sei­ner Un­schuld wahr­haft dä­mo­ni­sche Ein­fäl­le, wie sie ein ab­ge­feim­ter Ko­bold ger­ne auf ah­nungs­lo­se Kin­der­lip­pen legt. So ein­mal ge­gen den Kö­nig Karl von Würt­tem­berg, als die­ser den Win­ter mit sei­nem Hof­staat in Flo­renz ver­brach­te und un­se­res Tho­les war­mer Gön­ner und Spiel­ka­me­rad ge­wor­den war. Der Kna­be be­dräng­te ihn im­mer­zu, dass er ihm sei­ne Kro­ne zei­ge, und ei­nes Ta­ges frag­te er ihn mit al­lem Schmelz sei­nes Schmei­chel­stimm­chens: Bist du der Erl­kö­nig oder bist du der Kö­nig von das Kar­ten­spiel? – zwei Fra­gen, wie sie un­ter den ob­wal­ten­den Um­stän­den nicht an­züg­li­cher ge­stellt wer­den konn­ten. – Die­ser wohl­ge­sinn­te, um sei­ner Welt­fremd­heit wil­len viel­fach ver­kann­te Mon­arch war im­mer glück­lich, wenn er Mensch mit Men­schen sein konn­te. Als er den Klei­nen auf der Stra­ße zum ers­ten Male sah, ließ er den Wa­gen hal­ten und stieg sel­ber aus, um ihn zu be­grü­ßen. Siehst du, sag­te er ihm, wenn du ein Prinz wä­rest, so wür­de ich sit­zen­blei­ben, aber vor dem En­kel von Her­mann Kurz steigt der Kö­nig aus dem Wa­gen. Tho­le ließ sich sol­chen Vor­zug recht gern ge­fal­len, und als ihm sein Re­chen­leh­rer be­fahl, ihn mit Sie an­zu­re­den, ant­wor­te­te der Klei­ne un­be­denk­lich, wenn er zum Kö­nig Du sa­gen dür­fe, wer­de er zu ihm nicht Sie sa­gen. Sei­ne El­tern sag­ten von ihm da­mals, er habe das »bor­dier­te Hüt­lein« sei­nes Ur­u­r­ahns auf, je­nes Reut­lin­ger Se­na­tors mit dem spa­ni­schen Leib­fluch, der so viel auf sei­ne Wür­de hielt, dass er ein­mal ei­nem Gän­se­rich, der es wag­te ihn un­ter die­sem Ab­zei­chen an­zu­schnat­tern, mit sei­nem Ehren­de­gen den Kopf ab­hieb. Es hieß von die­sem bor­dier­ten Hüt­lein, dass es durch alle Fol­ge­ge­schlech­ter im­mer bei ir­gend­ei­nem Trä­ger des al­ten Na­mens wie­der habe zum Vor­schein kom­men müs­sen. In der jüngs­ten Ge­ne­ra­ti­on trug es un­ser Tho­le. Er ver­stand es treff­lich schon als Kind, sich zur Gel­tung zu brin­gen. Wenn ihm ein Wunsch ab­ge­schla­gen wur­de, so warf er sich zu Bo­den und schrie so lan­ge: Tho­le vuo­le! (Tho­le will!), bis er be­kam, was er ver­lang­te. Bei die­sem Kin­de war kein Auf­kom­men we­der ge­gen sei­ne Un­art noch ge­gen sei­ne Lie­bens­wür­dig­keit. Wenn die El­tern ein­mal fest­blie­ben, so be­eil­te sich die Non­na ihm den Wil­len zu tun.

      Ei­nes Ta­ges hat­ten wir al­le­samt in der Vil­la Gi­us­ti auf dem Ro­mi­to Be­such ge­macht. Auf dem Heim­weg, da sei­ne Mut­ter sein klei­nes Schwes­ter­chen trug, setz­te sich’s der fast vier­jäh­ri­ge Bub in den Kopf, auch ge­tra­gen zu wer­den, und zwar von mir. Er bat und bet­tel­te: Trag mich, trag mich, wenn ich groß bin, trag ich dich. Ich nahm ihn auf, und ob ich woll­te oder nicht, ich muss­te den schwe­ren Jun­gen, der sich an­klam­mer­te und nicht mehr von mei­nem Arm her­un­ter­ging, die wei­te Stre­cke vom Ro­mi­to bis in die Via del­le Por­te nuo­ve durch den Staub und die Mü­dig­keit des hei­ßen Som­mer­abends tra­gen, wo­bei er im­mer­zu sei­ne Ver­si­che­rung er­neu­er­te, mir, wenn er groß sei, den Dienst er­wi­dern zu wol­len. Als ich ihn end­lich zu Hau­se ab­stell­te, schärf­te ich ihm ein, dass ich ihn ganz ge­wiss zu sei­ner Zeit an die­ses Ver­spre­chen mah­nen wür­de!

      Als er her­an­zu­wach­sen be­gann und nun die Schul­ta­ge ka­men – jene Tage, von de­nen es bei ihm hieß: sie ge­fal­len mir nicht –, da leg­te un­ser Tho­le vor­erst gar kei­ne Ehre ein. In der deut­schen Schu­le von Flo­renz lern­te er nicht, streun­te her­um und gaff­te die Häu­ser an: dass er schon da­mals, so klein er war, die großen Kunst­denk­mä­ler, für die Kin­der sonst so früh kei­nen Sinn ha­ben, in sei­ne Vor­stel­lungs­welt auf­nahm, soll­te sich erst spä­ter er­wei­sen, zu­nächst be­un­ru­hig­ten sich die Freun­de des Hau­ses und dran­gen in mich den Va­ter zu war­nen; was soll­te denn ein­mal aus dem klei­nen Ta­ge­dieb wer­den? – Dies war die An­tritts­rol­le ei­nes Men­schen, der spä­ter nicht eine Mi­nu­te un­aus­genützt und un­aus­ge­kos­tet ließ, in­dem er die vier­und­zwan­zig Stun­den des Ta­ges durch Aus­deh­nung auf die dop­pel­te Zahl zu brin­gen wuss­te. Denn kaum wa­ren sei­ne El­tern mit ihm nach Mün­chen ge­zo­gen, um ihn dort in die stren­ge deut­sche Schul­ord­nung zu brin­gen, so er­wach­te in dem Kna­ben der bren­nen­de Ehr­geiz, der ihn durchs Le­ben füh­ren soll­te, »im­mer der Ers­te zu sein und vor­zu­stre­ben den an­dern«. Da­rin kam ihm nicht nur sei­ne star­ke Be­ga­bung und der rast­lo­se Ei­fer zu­stat­ten, son­dern auch der Vor­teil, dass er die Wei­te ei­ner schon in sich auf­ge­nom­me­nen ho­hen Kul­tur­welt in die en­gen Be­grif­fe der Schu­le mit­brach­te.

      Als Sech­zehn­jäh­ri­gen sah ich ihn bei ei­nem Be­such in Mün­chen wie­der, schön und schlank mit der schwin­gen­den Kraft sei­ner von der süd­li­chen Son­ne frü­he ge­schmei­dig­ten und jetzt schon in al­ler Art von Sport ge­üb­ten Glie­der. Und da er­gab sich’s, dass ihn die Zia an die Er­fül­lung sei­nes kind­li­chen Ver­spre­chens mah­nen konn­te. Ich hat­te durch die Lö­sung ei­nes Preis­rät­sels ein fei­nes Da­men­fahr­rad ge­won­nen, und na­tür­lich wurm­te mich’s nun, dass ich nicht fah­ren konn­te, weil we­der die en­gen Stra­ßen noch die an­stei­gen­den Hö­hen von Flo­renz zum Fah­ren­ler­nen sehr ge­eig­net wa­ren. Ich nahm da­her das Fahr­rad auf die Rei­se mit, und in Bo­gen­hau­sen wo ich ein ab­ge­le­ge­nes Land­gut be­wohn­te, hat­te nun der Nef­fe als Fahr­leh­rer Ge­le­gen­heit, den in der Kind­heit emp­fan­ge­nen Dienst zu ver­gel­ten, denn bei der An­zie­hungs­kraft, die je­der ra­gen­de Ge­gen­stand, sei es Baum oder Pfos­ten, auf den Fahr­schü­ler übt, lag die Zia je­den Au­gen­blick samt dem Fahr­rad in sei­nen Ar­men. Was war da­mals schon für ein ge­wand­ter, weltof­fe­ner, in vie­len Sät­teln ge­rech­ter Mensch aus dem klei­nen