Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Isolde Kurz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962812515 |
»Sie wiederzugeben ganz so wie sie war ist ein Wagnis. Kein Bild ist leichter zu verzeichnen als das ihrige. So ausgeprägt sind ihre Züge, so urpersönlich – ein einziger zu stark gezogener Strich, eine vergröberte Linie, und das Edelste und Seltenste was es gab kann zum Zerrbild werden. Und nicht nur die Hand, die das Bild zeichnet, muss ganz leicht und sicher sein, es kommt auch auf das Auge an, das es auffassen soll. Wer gewohnt ist, in Schablonen zu denken, findet für das nur einmal Vorhandene keinen Platz in seiner Vorstellung.« … »Die unbegreiflichsten Gegensätze waren in diesem Menschenbild zu einem einfachen und bruchlosen Ganzen zusammengeschweißt, dass man sich in aller Welt vergeblich nach einer ähnlichen Erscheinung umsehen würde. Von beiden Seiten blaublütig, mit allen Vorteilen einer verfeinerten Erziehung ausgestattet und doch so ursprünglich in dunkler Triebhaftigkeit. Diese Triebhaftigkeit aber gänzlich abgewandt vom Ich, was doch der Natur des Trieblebens zu widersprechen scheint! Was andere sich als sittlichen Sieg abringen müssen, der selbstlose Entschluss, das war bei ihr das Angeborene und kam jederzeit als Naturgewalt aus ihrem Inneren. Wenn ich mich umsehe, wem ich sie vergleichen könnte, so finde ich nur eine Gestalt, die ihr ähnelt, den Poverello von Assisi, der wie sie im Element des Liebesfeuers lebte und die freiwillige Armut zu seiner Braut gewählt hatte. Sein Sonnenhymnus hätte ganz ebenso jauchzend aus ihrer Seele brechen können. Auch in dem starken tierischen Magnetismus, der von ihr ausströmte, muss ihr der heilige Franziskus geglichen haben, denn um beide drängte sich die Kreatur liebe- und hilfesuchend. Kinder und Tiere waren nicht aus meines Mütterleins Nähe zu bringen. Auch das Irrationale und Plötzliche, was zum Wesen der Heiligen gehört, war ihr in oft erschreckendem Maße eigen.«
Dennoch, wie auch Feder oder Pinsel sich mühen, sie können von einer verschwundenen Gestalt nur die typischen Merkmale zurückrufen: das letzte, ganz einmalige Geheimnis der Individualität ist an das Leben geknüpft, an den Kreuzungspunkt des Geistigen mit dem Körperlichen, es west in allem Unwiederbringlichen, das der Gegenwart gehört, in Blick und Lachen, in Miene, Geste und Bewegung – Schriftzüge, die keine irdische Chronik festhält. Wie nach dem Zeugnis der Zeitgenossen der heilige Franziskus vor dem Papste Innozenz stehend aus Entzücken keinen Augenblick stillhalten konnte, sondern immer tanzend hin und her fuhr, dieses Bild bringt mir die quecksilberne Überbeweglichkeit meines Mütterleins aus ihren jungen Jahren ins Gedächtnis. Hätte dieses liebeglühende Herz nur einigen Sinn für den Wert einer fraulichen Heimstätte besessen, für die Wohltat der Ordnung und Harmonie, für ein wenig Maß und Takthalten, es wäre nirgends so wohnlich gewesen wie in ihrer Nähe. Dem aber widersprach das Sprunghafte ihres Wesens und ihre Franziskusnatur, die keinerlei Besitz wollte und kaum das Notdürftigste anders denn als lästiges Anhängsel empfand. Während alles Lebewesen sich unwiderstehlich zu ihr gezogen fühlte, Tiere, Kinder, junge Leute, ergriff das Unbeseelte bei ihrem Erscheinen alsbald die Flucht; das Wort von der»Tücke des Objekts« schien eigens für sie erfunden. Das Schreibzeug wanderte aus, Kaffeelöffel rotteten sich irgendwo zusammen, um nicht zum Frühstückstisch zu kommen, das ganze zum Dasein unentbehrliche Kleinvolk des Hausrats war um sie her in beständigem Aufruhr. Wenn ich mich mühte, Ordnung zu stiften, so wurde sie ärgerlich oder lachte mich aus: Wozu den Umstand um ein Nichts! Bequemlichkeiten verachtete sie, nicht aus asketischem Hochmut, sondern weil sie nichts damit anzufangen wusste. Ihr Anzug durfte weder Geld noch Zeit kosten und hatte nur den urtümlichsten Zweck, die Blöße zu decken. Sie sah durchaus nicht, was sie anzog, und versicherte aufs bestimmteste, dass die anderen es auch nicht sähen! Nur eines war ihr in späteren Jahren unleidlich: dass ihr Haar ergreiste, denn ihr starkes Lebensgefühl vertrug sich nicht mit der Vorstellung von Alter und Verfall, wie sie sich auch am liebsten mit jungen Menschen umgab. Sie schlang also ein schwarzes Schleiertuch ganz enge um die Stirn, was ihren von der Zeit und dem Geist immer mehr durchgemodelten Zügen zuletzt etwas ganz Übersinnliches gab. Damit man nicht glaube, dass die Mutter kahl sei, schob ihr gelegentlich einer der Söhne schnell einmal in Anwesenheit Fremder den Schleier weg, dass der Silberglanz aufschimmerte, wodurch sie sich jedoch geschädigt fühlte, denn sie wollte sich nicht alt wissen.
Wenn mein Vater gelegentlich halb scherzend äußerte, er halte es mit dem Mutterrecht der Urvölker, weil der Frau, die allen Schmerz und alle Last der Mutterschaft trage, auch das erste Recht an die Kinder zustehe, da war er sich schwerlich bewusst, dass es in der Tat ein Wiederaufleben jener urzeitlichen Zustände war, das in seinem Hause herrschte und auch über das künftige Geschick seiner Kinder entschied. Seine Gattin diente ihm mit Begeisterung und verehrte jedes seiner Worte als Orakel, aber ihre Kinder waren ihr Eigentum, das sie allein verwaltete, ihm nur so viel Mitverwaltung lassend, als es ihn bei seiner Arbeit nicht beschwerte. Er konnte auch nichts tun als abdanken, weil seine von den langen politischen, literarischen und wirtschaftlichen Kämpfen zerriebenen Nerven der Doppelaufgabe nicht mehr gewachsen waren. Auch war er ja sicher, dass ihr Einfluss der edelste war und aus den höchsten Gesichtspunkten geübt. Nicht, wie es sonst Frauenart ist, mit der Richtung auf den äußeren Erfolg, sondern einzig auf die höheren Werte. Sie erschwerte sogar ihren Kindern unbedenklich das ohnehin so schwierige bürgerliche Fortkommen, indem sie sie zur äußersten Unbeugsamkeit in allen grundsätzlichen Fragen erzog und sie damit von Anfang an mit der Welt, wie sie war, in Gegensatz brachte. Auf drei höchst eigenartig abgeprägte Söhne (ich spreche nicht von dem Jüngsten, Leidenden und von ihr Betreuten, bei dem es sich von selbst verstand) übertrug sie ihr Weltbild, auch wo es sich anders als beim Vater schattierte, durch eine zum Teil vorgeburtliche Beeinflussung. Noch bis ins dritte Glied dauerte unter gänzlich veränderten Lebensbedingungen in gewissem Sinne ihr Walten: sie gab oder ergänzte den Enkeln die Namen und wirkte auf ihre Erziehung soweit ein, dass sie auf ihren späteren, ganz anders verlaufenden Bahnen immer noch das Vorbild der Nonna (Großmutter), wenn auch nicht mehr wegweisend, so doch als stille Mahnung über sich fühlten.