Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Isolde Kurz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962812515 |
Was große Gelehrte wie Jakob Grimm und J. J. Bachofen über den chthonischen Urgrund des Weibes und ihr aus der Erdverbundenheit hervorgegangenes Übergewicht über das männliche Prinzip in der Vorzeit sagen, das findet man auch heute noch in den meisten alten Ehen. Der Mann ist der Eroberer der Natur, ihre Füllen und Gnaden aber hat die Frau zu verspenden. Hat er in seiner Vollkraft sich die Natur dienstbar gemacht, so beginnt er im Altern sein allmähliches Erliegen vor ihr zu ahnen, und nun klammert er sich an die Frau als an die der Natur immer vertraut Gebliebene, jetzt auch biologisch Stärkere – was keineswegs immer mit ihren meist jüngeren Jahren zusammenhängt – und sucht ihren Schutz. Die Frau wird zur Mutter des Mannes, und der Mutter hängt er wieder wie in der Kinderzeit am Kleid. Man sieht auf der Straße mehr alte Ehepaare wo die Frau den Mann stützt als umgekehrt. Wenn ein alterndes Paar sich untereinander Vater und Mutter nennt, so meint sie den Vater ihrer Kinder, er meint seine eigene Mutter. Eine Reihe der trefflichsten, männlichsten Männer sah ich im Alter die haltbedürftigen Söhne ihrer Frauen werden. Wenn es die Männer voraussähen, so würden sie begreifen, dass es nicht in ihrem Vorteil liegt, die Frau klein und schwach zu wollen, ganz abgesehen von dem Einfluss auf den Nachwuchs: denn wie ihre Frauen sind, so werden sie selbst am Ende ihrer Tage sein.
Die Frage hatte aber auch noch eine andere Seite, die über das Einzelschicksal hinaus ins Allgemeine wirkte. Da die Menschheit ein Ganzes ist und nur durch den Kunstgriff der Natur in zwei Hälften geteilt, um sie besser zu verbinden, so musste durch die Verkümmerung des einen Geschlechts das andere mitgeschädigt werden, und mittelbar die ganze Nation. Denn die Frau schafft das äußere Gepräge einer Kultur; sie ist die Erzieherin des Mannes zu Form und Schönheit, und ihr feinerer Tastsinn ist berufen, seine starre, abstrakte Sachlichkeit zu mildern. Es braucht nun einmal den Sporn des Eros um die Sitten zu verfeinern und das Leben zu veredeln. Der Mangel an Takt und äußerem Anstand, die Schroffheit, hinter der sich oft nur gesellschaftliche Unsicherheit verbarg, und was sonst noch das Ausland dem Deutschen vorwarf und zum guten Teil heute noch vorwirft, nachdem es mit diesen Dingen besser geworden – denn wie lange dauert es, bis eine geprägte Meinung sich berichtigt –, war in dem mangelnden gesellschaftlichen Einfluss der Frau begründet. Weshalb auch die deutsche Kultur nie imstande war, eine Gesellschaft mit bestimmtem äußerem Formcharakter zu bilden wie die romanische oder die angelsächsische und damit für den deutschen Menschen die kennzeichnende Silhouette zu prägen, die ihn einheitlich und gefällig von den Nachbarn abgehoben hätte. Dass er daheim die Form verschmähte, trieb ihn dazu, sie auswärts um so rückhaltloser zu bewundern und nachzuahmen. Weil er sich für sein Deutschtum kein gesellschaftsfähiges Kleid geschaffen hatte, legte er im Ausland das seine ab, und nahm – wie oft hat es mich gewurmt! – die äußere Form des Wirtsvolkes an.
In seinem Werk über das Mutterrecht sagt der große Bachofen über die gynäkokratische Weltperiode als die »Poesie der Geschichte«: »Sie wird dies durch die Erhabenheit, die heroische Größe, selbst durch die Schönheit, zu der sie das Weib erhebt, durch die Beförderung der Tapferkeit und ritterlichen Gesinnung unter den Männern, durch die Bedeutung, welche sie der weiblichen Liebe leiht, durch die Zucht und Keuschheit, welche sie von dem Jüngling fordert: ein Verein von Eigenschaften, die dem Altertum in demselben Lichte erschienen, in dem unsere Zeit die ritterliche Erhabenheit der germanischen Welt sich vorstellt. Wie wir so fragen jene Alten: Wo sind jene Frauen, deren untadlige Schönheit, deren Keuschheit und hohe Gesinnung selbst die Liebe der Unsterblichen weckten, hingekommen? – Wo aber auch jene Helden ohne Furcht und ohne Tadel, die ritterliche Größe mit tadellosem Leben, Tapferkeit mit freiwilliger Anerkennung der weiblichen Macht verbanden? Alle kriegerischen Völker gehorchen dem Weibe, sagt Aristoteles, und die Betrachtung späterer Weltalter lehrt das gleiche: Gefahren trotzen, jegliches Abenteuer suchen und der Schönheit dienen, ist ungebrochener Jugendfülle stets vereinte Tugend.« (Vorrede zum Mutterrecht S. 18).1
Und an anderer Stelle:
»Dass in der Herrschaft des Weibes und seiner religiösen Weihe ein Element der Zucht und Stetigkeit von großer Stärke enthalten war, muss besonders für jene Urzeiten angenommen werden, in denen die rohe Kraft noch wilder tobte, die Leidenschaft noch kein Gegengewicht hatte in den Sitten und Einrichtungen des Lebens und der Mann sich vor nichts beugte als vor der ihm selbst unerklärlichen zauberhaften Gewalt der Frau über ihn. Der wilden ungebändigten Kraftäußerung der Männer traten die Frauen als Vertreterinnen der Zucht und Ordnung, als verkörpertes Gesetz, als Orakel angeborener ahnungsreicher Weisheit wohltätig entgegen. Gern erträgt der Krieger diese Fessel, deren Notwendigkeit er fühlt. – – In dem Bewusstsein der in seine Hand gegebenen Herrschaft muss das Weib jener alten Zeit mit einer, späteren Weltaltern rätselhaften Größe und Erhabenheit erschienen sein. Der spätere Verfall seines Charakters hängt wesentlich mit der Beschränkung seiner Wirksamkeit