Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962812515



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Zeit für sich sel­ber auf­neh­men und aus noch er­schwer­te­rer Stel­lung, der weib­li­chen her­aus, durch­füh­ren, be­vor sie mit ih­rer Sa­che auch der sei­ni­gen die­nen konn­te? Das zu hof­fen war Ver­mes­sen­heit, ich hoff­te es doch, wenn auch nur in ei­ner vor­schwe­ben­den Ah­nung, in ei­nem Licht­strahl, der aus ver­hüll­ter Zu­kunft her­über fiel: dass es den­noch so kom­men wer­de. Ich habe oft­mals in Zei­ten, wo ich nicht wuss­te, wo aus noch ein, der­glei­chen un­aus­schalt­ba­re in­ne­re Ge­wiss­heit ge­habt, dass mein Ziel ir­gend­wie mich fin­den wer­de, dass ohne ge­walt­sa­mes Drän­gen die Zeit sel­ber mir die Frucht rei­fen wer­de. In je­ner Nacht des 10. Ok­to­ber 1873 zu Tü­bin­gen, als mein Bru­der Ed­gar, da­mals ein blut­jun­ger Arzt, bei dem jäh­lings ge­schie­de­nen Va­ter al­lein die To­ten­wa­che hielt, ge­lob­te er ihm, dem er­erb­ten Na­men durch die ei­ge­ne Lauf­bahn Aus­zeich­nung zu er­wer­ben: er hat die­ses Ver­spre­chen in sei­nem pfeil­ge­ra­den si­che­ren Lauf glän­zend ge­löst. Ich blieb in mei­nen ma­gi­schen Kreis ge­bannt, wo die En­den bei­sam­men sind, und muss­te auf Ort und Stun­de war­ten, um das mei­ne, noch küh­ne­re, zu lö­sen.

      Der zwei­te hem­men­de Ein­fluss, der über mei­nem Le­ben stand, war mein Ge­schlecht. Kaum dürf­te je die Frau in Deutsch­land nied­ri­ger ge­stan­den ha­ben als im letz­ten Drit­tel des vo­ri­gen Jahr­hun­derts, in das mei­ne Ju­gend fiel. Dass es eine Bet­ti­na, eine Ka­ro­li­ne Schle­gel, eine Gün­de­ro­de, ge­ge­ben hat, Frau­en, von de­nen ihre Zeit, die ja auch die Zeit Goe­thes war, die Fär­bung mit emp­fing, das wirk­te nicht mehr nach, es lag als blo­ßer Wis­sens­stoff ein­ge­sargt in der Li­te­ra­tur­ge­schich­te. Eine Pf­licht zur Aus­bil­dung der Töch­ter kann­te we­der der Staat noch die Fa­mi­lie, es stand ganz bei den El­tern, ob und was sie die­se ler­nen las­sen woll­ten. In den bür­ger­li­chen Krei­sen, auch in den ge­bil­de­ten, so­weit sie nicht wohl­ha­bend wa­ren, be­gnüg­te man sich oft ge­nug da­mit, ih­nen die häus­li­chen Ar­bei­ten bei­zu­brin­gen und sie zu un­be­zahl­ten Dienst­bo­ten her­an­zu­zie­hen, be­son­ders wenn das Stu­di­um der Söh­ne die el­ter­li­chen Mit­tel er­schöpf­te. Und wenn auch bes­ser­ge­stell­te Häu­ser die ih­ri­gen zur Schnell­blei­che in ir­gend­ein fran­zö­sisch spre­chen­des In­sti­tut schick­ten, der Geist, der die Er­zie­hung durch­wal­te­te, blieb der glei­che. Er­wach­sen, hat­te ein sol­ches Mäd­chen kei­ne drin­gen­de­re Auf­ga­be, als sich nach dem künf­ti­gen Er­näh­rer um­zu­se­hen, der die Sor­ge für sie über­nahm und dem sie nun mit ih­rem gan­zen Sein zu die­nen, nach dem sie sich bis zur völ­li­gen Auf­ga­be ih­res ei­ge­nen gott­ge­schaf­fe­nen Selbst zu mo­deln hat­te. Der schar­fe Wett­be­werb auf dem Hei­rats­markt lähm­te je­des hö­he­re Stre­ben und verd­arb auch den weib­li­chen Cha­rak­ter. Selbst das hohe Amt der Mut­ter­schaft ver­moch­te ihn nicht mehr zu he­ben, denn wenn der Wett­lauf un­ter Zu­rück­drän­gung der Mit­be­wer­be­rin­nen ge­won­nen war, so be­gann er bald aufs neue und fast noch schär­fer um die Zu­kunft der her­an­wach­sen­den Töch­ter. Es fragt sich, ob nicht die phy­si­sche Mut­ter­schaft, die ihr He­gen und Sor­gen auf den Kreis der ei­ge­nen Ge­bur­ten be­schränkt, un­ter Um­stän­den dem hö­he­ren Mut­ter­tum im Wege ist: aus­schließ­lich auf einen Punkt ge­rich­te­te Lie­be macht lie­be­leer ge­gen die an­de­ren. Da­rum ge­hör­te wirk­li­che Frau­en­freund­schaft, ja, nur ein ech­tes Wohl­wol­len von Frau zu Frau zu den sel­tens­ten Aus­nah­men. So blieb nicht nur der Geist der Frau völ­lig un­ent­wi­ckelt und in einen um­lau­fen­den Kreis von Klei­nig­kei­ten ge­bannt, ohne Aus­sicht auf das Gro­ße und Gan­ze, auch ihr See­len­le­ben war ent­wür­digt und entadelt. Schlim­mer noch als der tat­säch­li­che Zu­stand war es, dass die­ses öde, ver­küm­mer­te Ge­bil­de als Ideal­bild der deut­schen Frau die bür­ger­li­che Ge­sell­schaft be­herrsch­te. Gehe ich fehl, wenn ich die Ge­stalt des Gret­chen da­für mit­ver­ant­wort­lich ma­che? Es ist ein selt­sa­mes Ver­häng­nis, dass ge­ra­de der Dich­ter, der dem We­sen der Frau am nächs­ten kam und es in viel­fa­chen Spie­ge­lun­gen am ech­tes­ten dar­ge­stellt hat, die Ge­stalt er­schuf und mit dem Schmelz der höchs­ten Poe­sie um­klei­de­te, die die deut­sche Frau um Jahr­hun­der­te zu­rück­wer­fen half. Der Gret­chen­kult war ein all­zu be­que­mer, man konn­te ihr in Hem­d­är­meln die­nen, sie stell­te kei­ne kul­tu­rel­le For­de­rung an den männ­li­chen Part­ner und er­höh­te sein Selbst­ge­fühl durch ihre tie­fe Un­ter­wor­fen­heit. Noch tönt mir aus Ju­gend­ta­gen das viel­ge­sun­ge­ne Braut­lied in die Ohren: »Mein ho­her Herr, du willst her­ab dich las­sen / be­se­li­gend zu dei­ner ar­men Magd.« Hei­ne da­ge­gen sang fri­vol: »Den Leib möcht ich noch ha­ben, / den Leib so zart und jung, / die See­le könnt ihr be­gra­ben, / hab sel­ber See­le ge­nung.« De­mü­ti­ge Magd oder Weib­chen – Leib ohne See­le – das mach­te der männ­li­che For­mungs­wil­le aus dem hand­li­chen Pla­sti­lin. Und das Pla­sti­lin kam ihm wil­lig ent­ge­gen, es war stolz auf sei­ne Hö­rig­keit die kei­ne Mühe kos­te­te, es trug sei­ne geis­ti­ge Ar­mut wie einen Schmuck, worin der Lie­bes­zau­ber steckt. Man­che gab sich so­gar aus Ge­fall­sucht är­mer und schwä­cher als sie war. Sie durf­te ja gar kei­nen geis­ti­gen Be­sitz mit in die Ehe brin­gen, sie hat­te das wei­ße Blatt zu sein, auf das der Mann sei­ne Schrift ein­trug. Eine Schrift, die auch wie­der zu lö­schen war im Fall ei­ner zwei­ten Ehe, denn sie pfleg­te nicht all­zu­tief ein­zu­drin­gen. Ih­rer Wiß­be­gier, wenn sie sol­che hat­te, wur­den alle Ge­gen­stän­de zer­klei­nert wie ei­nem Vö­gel­chen in den Schna­bel ge­steckt. Ich ken­ne eine Da­men­bü­che­rei aus dem vo­ri­gen Jahr­hun­dert, wo sich noch ein Ku­rio­sum be­fin­det, eine »Stern­kun­de für Da­men«! Alle Ge­brei­ten des Le­bens ge­hör­ten aus­schließ­lich und un­wei­ger­lich dem Man­ne, die Frau galt in der Ge­sell­schaft nur als sein An­häng­sel, auch wenn sie zu­fäl­lig die Be­deu­ten­de­re war; ver­wit­wet fiel sie in ihr Nichts zu­rück. Als Un­ver­mähl­te blieb sie le­bens­läng­lich miss­ach­tet und auf die Sei­te ge­scho­ben. Nur sel­ten ge­lang es ei­ner, durch große künst­le­ri­sche Leis­tung auf ir­gend­ei­nem Ge­bie­te die­sen Bann zu bre­chen. Sonst war es ein Kle­ben im Pech, mit lee­rem Kopf und un­ter­drück­ten Le­bens­in­stink­ten, im Her­zen nur die Angst, den rech­ten Zeit­punkt zu ver­pas­sen. Wie viel ein­fa­cher und na­tür­li­cher leb­te sichs doch im Vol­ke; bei Töch­tern aus gu­ten Häu­sern wa­ren Schwer­mut und Wahn­sinn kei­ne sel­te­ne Er­schei­nung. Da kam dann frei­lich der Mann als Er­lö­ser und konn­te nicht lan­ge dar­auf­hin an­ge­se­hen wer­den, ob er der Rech­te sei: die Sa­che war ei­lig, nach zwan­zig hör­te schon meist die Ju­gend auf, denn der Durch­schnitts­käu­fer ver­lang­te die fri­sche­s­te Ware. So blieb die Frau ein un­er­lös­ter Mensch und ein durch und durch ge­fälsch­tes Er­zeug­nis ei­ner falschen Zi­vi­li­sa­ti­on; ihr wah­res We­sen kann­te nie­mand, auch sie sel­ber nicht. – Von Schil­ler stammt der Auss­pruch, dass die Frau nicht nur kein geis­ti­ges Ei­gen­le­ben be­sit­ze, son­dern dass der Mann auch in ih­rem Geist kei­ne dau­ern­de Pflan­zung an­le­gen kön­ne. Goe­the hat ihr we­nigs­tens das Recht zu­ge­bil­ligt, da­bei zu sein, »wenn klu­ge Män­ner re­den«. Ver­ga­ßen die Dich­ter, dass am Auf­gang der Dich­tung ein Frau­en­na­me steht, vor dem das klas­si­sche Al­ter­tum sich neig­te, der ewi­ge Name Sapp­ho? Wo von der Ein­zi­gen eine Stro­phe laut wird, da ver­sin­ken die Jahr­tau­sen­de zwi­schen ihr und uns. Sie nennt ih­ren Quit­ten­baum, und wir hö­ren den lau­en Re­gen Io­ni­ens durch sei­ne Zwei­ge rau­schen; steht er nicht un­ten in un­se­rem Gar­ten? Die Grie­chen strit­ten nicht, ob sol­che Höhe der Frau er­reich­bar sei, sie lie­ßen die Wahr­heit der Er­schei­nung gel­ten. –