Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Isolde Kurz |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962812515 |
Wer bist du, holder Morgentraum, der zu mir spricht?
Zerreiße den Schleier vollends ganz und öffne die Augen, so wirst du mich erblicken.
Er richtete sich auf und schüttelte den Rest des Schlafes von sich. Es war nicht das erstemal, dass Stimmen beim Erwachen zu ihm sprachen, die aus seinem eigenen Inneren tönten.
Ich bin hier, du hast mich zuvor schon gesehen, aber nicht in dein Bewusstsein aufgenommen, schien es noch zu sagen.
Er sah sich um, im Zimmer war es helle, die ersten Strahlen der noch nicht sichtbaren Sonne stachen wie goldene Spieße hinter den Höhen hervor. Die Teppiche an den Wänden empfingen durch sie kein Leben mehr. Sie waren in der Tat recht schäbig und verstaubt und rechtfertigten die Klage des alten Gärtners über ihre Verkommenheit. Die ungleichen Größenmaße verrieten, dass die Sammlung einmal von den früheren Besitzern zu irgendeiner festlichen Gelegenheit vorübergehend hier aufgehängt worden war; dann hatte man versäumt, sie wieder zusammenzurollen und mitzunehmen, und hatte damit einen wertvollen Besitz zugrunde gehen lassen.
Die an der Nordwand, die besonders verblasst waren, hatten in ihrer Unbehilflichkeit etwas Rührendes, wenn sie auch die nächtliche Fantasmagorie nicht mehr heraufzubeschwören vermochten, mit Ausnahme des Francescazyklus, der eine meisterliche Hand verriet. Dagegen ließen ihn die besser erhaltenen an der Südwand völlig kalt, er begriff die Erregung nicht mehr, in die sie ihn versetzt hatten. Ihre Figuren erschienen ihm jetzt aufdringlich und verzeichnet, die Farben hart, ihre ganze Dämonie hatte im Sonnenaufgang die Kraft verloren. Seine Ione, wo war sie? Nicht mehr herauszufinden. In dem verlorenen Profil eines jungen Ehrenfräuleins meinte er eine schwache Spur von ihr zu erkennen. Aber wie ferne von der erlebten Gestalt. Nein, Ione war aus ihm selbst geboren, sie hatte nur in seinem Herzen gelebt.
Ganz an die Ecke der Fensterwand herangerückt und teilweise durch einen darunter aufgestellten niederen Zierschrank verdeckt, kam jetzt noch ein Teppichbild zum Vorschein: ein junges Weib mit nackten Schultern und Armen von der sinnlichen Schönheit venezianischer Renaissancefrauen, einen Kranz von Lorbeer im dunklen Haar. Sie neigt sich über einen bekränzten Altar, worauf in einer Schale ein menschliches Herz, das ihre, brennt, und gießt aus einem Fläschchen Öl zu. Auf dem Altar standen die lateinischen Worte: Et quid volo nisi ut ardeat. Links davon an einem blitzgespaltenen Lorbeerbaum lehnte eine Laute mit goldfarbenem Band. Im Hintergrund wurden die goldschimmernden Kuppeln von San Marco sichtbar mit einem Streifen Wassers dahinter und in noch fernerer Ferne zur Rechten auf einer sanft geschwungenen Anhöhe thronten die Zinnen eines Feudal-Schlosses.
Peregrinus staunte., er fuhr sich über die Augen: Bist du es, Gaspara Stampa, holde Nachtigall, die sich zu Tode sang? Unglücklichste aller Dichterinnen und Liebenden! Kann es sein, dass ich, frisch von der Lagunenstadt kommend, wo ich deiner gedachte und umsonst nach einer Spur deines kurzen, meteorgleichen Daseins fragte, dir hier oben in der weltabgelegenen Einsamkeit begegne. – Bist du es wirklich, Schlechtbelohnte, die ihrem undankbaren Geliebten für alle Kränkung, die ihr widerfuhr, die Unvergänglichkeit gab? Denn was wüsste die Nachwelt von einem Grafen Collaltino von Collalto, der einmal unter der vornehmen Jugend Venedigs als Löwe geglänzt hat, ohne den frisch gebliebenen Kranz deiner Sonette, womit du das Haupt des Liebelosen schmücktest! Wahrlich, königlicher als ein Pharao in seiner Pyramide liegt dieser herzensarme Graf im Buch deiner Lieder eingebettet und herübergerettet in einen Nachruhm, an den er ohne dich keinen Anspruch hätte.
Ja, du bist es, Gaspara. Die Wahrzeichen Venedigs im Hintergrund nennen den Ort deines Glücks und deiner Qual – und hier das Ziel deiner wehen Sehnsucht, das Stammschloss deines allzuhochgeborenen Geliebten, in dem du niemals hoffen durftest als Herrin zu wohnen. Denn niemals wird einer großen Liebenden zuteil, was nur den kühlen Herzen vorbehalten ist: durch die Liebe zu weltlicher Größe aufzusteigen. Und siehe, damit kein Zweifel bleibe, steht hier nicht der Name Anassilla, eingewirkt in das Goldband deiner Leier, dein Schäfername, den du nach dem lateinischen Namen des Flusses wähltest, der das Schloss der Collalto umspült, damit der Name dir Zeichen sei deiner gewollten Hörigkeit.
Ja, du bist es, williges Opfer der Leidenschaft. Du schenktest mit deiner Dichtung einem überreichen, aber in öder Ichsucht frierenden Jahrhundert die Schmerzen der Liebe als ihren schöneren Teil zurück. Mitten durch den grellen Chorus der ichbefangenen, ichtrunkenen Mitwelt stieg aus deiner Kehle wie Nachtigallenschluchzen das ewige Du des liebenden Weibes.
Anassilla, wie kam es, dass du mir immer im Sinne lagst, wenn ich die Tauben von San Marco fütterte? Wenn so ein schlankes sanftgurrendes Tierchen von seinem gewalttätigen Tyrannen, einem mächtig großen bösartigen Täuberich, begleitet oder verfolgt war, der ihm den Gang vorschrieb, es von den fetten Körnern wegdrängte und es eifersüchtig in der Runde trieb, da dachte ich, ob wohl die Seele der liebenden und alles duldenden Gasparina in einem dieser fügsamen Geschöpfe verkörpert sei und noch immer den Launen ihres ungütigen Gebieters diene.
Du dachtest richtig, fremder Wanderer, dass ich ihm weiter diene, wenn auch nicht im Federkleid eines Täubchens, antwortete es aus dem Bilde. Mein Herr, der Collaltino –.
Du nennst ihn noch immer deinen Herrn?
Meine Dichtung, die meine Liebe war, hat ihn mir zum Herrn gesetzt für alle Ewigkeit. Denn was wäre die Ewigkeit ohne die Liebe.
Gaspara, darf ein später Bewunderer deiner Dichtkunst dich fragen, wie diese Liebe begann, deren Allgewalt und Allduldsamkeit über jedes für uns Heutige fassbare Maß hinausgeht?
Meine Liebe, du fremder Mann, hat niemals begonnen. Sie war, bevor ich wurde, denn als ich die Stelle betrat, wo ich dem Collaltino begegnen musste, da flammte sie auf wie ein zuvor gelegter Brand. Vielleicht wirst du zu diesem Worte den Kopf schütteln. Aber frage die Größten, die von Liebe sangen, sie werden dir vielleicht eine Jahreszahl, einen Tag, eine Stunde nennen, aber von dem Ursprung ihrer Liebe haben sie damit nichts gesagt. Denn die Liebe ist früher als ihr irdischer Gegenstand, den sie schon von drüben her kennt. Sie wartet darauf, dass er in ihren Lichtkreis trete, um ihn zu fassen und für immer zu halten. So habe ich den Grafen geliebt, bevor ich ihn kannte. Als ich ihn zum ersten Mal nennen hörte, bebte mein Herz beim Klang seines Namens, als ob er mir etwas ganz Besonderes zu sagen hätte. Und es bebte, als ich die Auszeichnung,